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1999 Macht das Internet süchtig? Vom Verschwinden einer vertrauten Welt...

Buch dazu anzeigenHidden Dangers of the Internet : Using It Without Abusing It , Gregory L. Jantz, Ann McMurray, Taschenbuch - 180 Seiten (August 1998) Harold Shaw Publications

Buch dazu anzeigenCaught in the Net : How to Recognize the Signs of Internet Addiction-And a Winning Strategy for Recovery Kimberly S. Young, Gebundene Ausgabe - 256 Seiten (März 1998) Wiley
! Amazon.de Verkaufsrang 211.341 - Durchschnittliche Leserbewertung: ***** (von 5 Sternen) ; Zahl der Rezensionen: 6

Buch dazu anzeigenDesktop Yoga : The Anytime, Anywhere Relaxation Program for Office Slaves, Internet Addicts, and Stressed-Out Students Julie T. Lusk, Taschenbuch - 176 Seiten (November 1998) Perigee Books
! Durchschnittliche Leserbewertung: ***** (von 5 Sternen) ; Zahl der Rezensionen: 3

1999 Macht das Internet süchtig?
Vom Verschwinden einer vertrauten Welt...

Seit die "New York Times" im Februar 1995 in einem Artikel über die Gefahr der Internet-Sucht (internet-addition) aufklärte, finden sich schon Vorschläge im Netz, eine verbindliche Symptomatik festzulegen:

a) Schläft jemand im Schnitt weniger als 4 Stunden, damit er länger online sein kann?
b) Beschweren sich Freunde, der Partner oder der Arbeitgeber über die häufige Netznutzung?
c) Werden wichtige soziale Aktivitäten vernachlässigt?
d) Muß jemand ständig an Internet denken, auch wenn er offline ist?
e) Die Versuche, die Aktivitäten im Internet zu reduzieren, vergeblich bleiben?
f) Die Rechnung für Kommunikationsgebühren ebenfalls für schlaflose Nächte sorgt.

Weltweit beschäftigen sich Psychologen, inwieweit Internet-User vom "Stoff", den unsinnigen und sinnvollen trudelnden und scheinbar endlos zur Verfügung stehenden Informationen, abhängig sind. Auf der Grundlage von Selbstauskünften einer willkürlich ausgewählter Internet-Fans gegenüber einer Kontrollgruppe wurde im Rahmen einer Studie
a) kein einziger Beleg dafür gefunden, daß das Internet ein Tummelplatz vereinsamter Menschen ist und
b) sogenannte User nicht in die soziale Isolation geraten.
c) Dennoch: 20% der befragten Personen gaben an, daß sie häufiger länger im Netz bleiben, als sie ursprünglich vorhatten.
d) Es zeigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen der Anzahl realer und virtueller Bekanntschaften.
e) Einige surfen im Internet, obwohl sie in der realen Welt durchaus etwas wichtigeres zu tun hätten.
f) Wenige können beim Surfen ihre alltäglichen Sorgen vergessen.
g) Auch typisch: Es baute sich keine "Spannung" auf, nach ein oder zwei Tagen offline(=trocken) wieder online gehen zu müssen.

Gehören Sie oder ein Bekannter zu einer gefährdeten Gruppe? Man liest doch von Einzelfällen, wo Menschen tatsächlich vorm PC umgekippt sind und in den frühen Morgenstunden ins Krankenhaus eingeliefert werden mußten, womöglich nachdem ihnen wegen unbezahlter Telefonrechnungen der Zugang ins world wide web geperrt wurde.

Wir haben eine schlechte Nachricht: Die Suchtberatungsstellen im Internet übergehen dieses Thema völlig. Vielleicht haben wir aber auch nicht ausreichend recherchiert, da wir uns der Suchtgefahr, eine nützliche Information ausfindig zu machen, nicht aussetzen wollten.

Apropos: Wie groß ist die Gefahr für Neueinsteiger? Da wird - endlich - Tag und Nacht im Internet gesurft, entferntesten Bekannten eine Email geschrieben und jede neuste Internet-Adresse ausprobiert.

Wie groß ist aber die Gefahr für Nichteinsteiger! Können Sie es auch nicht mehr ertragen, im Fernsehen, in den Stellenangeboten oder auf der Verpackung vornedran von diesen ominösen drei Buchstaben belästigt zu werden: Die drei www, bekannt von den Notrufsäulen:
1) Was ist passiert, daß man Ihre Homepage nicht im Internet anschauen kann?
2) Wann ist es schon passiert, daß Sie das Thema Internet nicht berührt?
3) Wo ist es passiert, daß Sie beim Einstellungssgespräch zugeben mußten, vom Internet keinerlei Ahnung zu haben?

Nun ist auch eine Frage der Art der feilgebotenen Informationen, die eine Sucht begünstigen, zum Beispiel die Sehnsucht, Informationen beliebig zu erhalten und zu verbreiten: In China beispielsweise wird es immer schwieriger, world wide, also ungehindert zu surfen. Mittels moderner Technik werden die Datenströme auf Schlagwörter hin systematisch untersucht und zensiert.

Die Suche/Sucht nach Informationen bestimmt das Leben einiger Menschen, denn sie leben davon: Wissen ist Macht. Haben Sie schon von einem Informations-Broker gehört, der mit dem Handel von Informationen sein täglich Brot verdient?

Schwerkranke und verzweifelte Menschen auf der "Suche/t nach Informationen" hoffen: Die Hoffnung, von einer neuartigen, erfolgversprechenden Operationsmethode zu erfahren oder einfach Hilfe zu erhalten, Zuspruch oder Gleichgesinnte kennenzulernen. Vielleicht den ersehnten Lebensgefährten? Überhaupt ist das Internet eine Schicksalsgemeinschaft.

In dem Essay "Jenseits vom Lustprinzip" beschreibt Freud den Fall eines Babys, das auf das Verschwinden der Mutter mit einem symbolischen Spiel reagiert: Das Baby läßt eine Spule an einem Faden über den Rand des Kinderbettes gleiten und sagt dabei "oh" (soviel wie "fort"). Als es die Spule mit dem Faden zurückholt, sagt das Baby "ah" (soviel wie "da"). Das reale Verschwinden der Mutter, worüber das Baby nicht herrschen kann, verwandelt das Baby auf der symbolischen Ebene von einem Mangel in einen Triumph. Ähnlich wie beim Internet: Der gelungene und zügige Aufbau einer Homepage erfüllt den Internet-Profi mit Freude ("ah"), oder mit Enttäuschung über eine Fehlermeldung ("oh"), mit Begeisterung, Informationen auf dem Bildschirm nach Belieben verschwinden oder wieder erscheinen zu lassen.

Ein gewisses Immaterialisierungsunbehagen kennt jeder, der sein Konto mit Hilfe seiner Kreditkarte überzogen hat. Informationen aus irgendeinem Ort der Welt können einen ins Schwitzen bringen. Schalten Sie irgendeinen Bildschirm mal an, können die richtigen Zeichen zum Beispiel in Form von Lottozahlen aber auch Ihr Leben angenehm verändern. Sind Sie also nicht auch auf der Suche, auch ein Süchtiger? Die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort! Zur Informationsgesellschaft zu gehören, heißt immer weniger Zeit zu haben. Und Zeit ist Geld. Eine Umfrage hinsichtlich einer vermeintlichen Internetsucht zum Beispiel in Afrika gibt Klarheit:

a) Viele konnten hierzu keine Angaben machen, da sie niemals eine Chance haben werden, ein entsprechendes Bildungsniveau zu erreichen.
b) Das Internet setzt sich in vielen afrikanischen Staaten durch: Die Chancen des Internets für eine positive Beeinflussung von Wirtschaft und Entwicklung werden dabei höher bewertet als in manchen westlichen Industrienationen.
c) Das subjektive Verständnis von Zeit beinhaltet, das das Internet keinerlei Gefahr der Zeitverschwendung beinhaltet.
d) Für viele hundert Millionen Menschen gilt: Der globalisierte Fortschritt ist gar keiner.

Es liegt in unserer Gesellschaft des Überflusses, das es eben keinen wirklichen Luxus mehr gibt: Es ist eben nicht das, was ich zuviel habe und entbehren kann, sondern es ist die Entbehrung, die ich brauche.

Die Erfahrung des Mangels und der Entbehrung ist die grundlegende Erfahrung eines Süchtigen: Erst durch den Entzug wird die Gewohnheit zur Angewohnheit. Der Rausch ist ein uraltes Phänomen - neuzeitlich ist seine Pathologisierung: Die pharmakologischen Süchte führen allein durch ihre Giftwirkung auf chemischen Wege zu einer völligen Zerrüttung des Kranken, wie es andere Formen der Sucht nur indirekt tun: Die Spielsucht, die Geltungssucht, die Putz- und Arbeitssucht und die Eifersucht. Das "Ich" des Süchtigen wird periodisch überschwemmt von Triebdurchbrüchen und reagiert danach mit verschärften Einsatz des Gewissens: "Ich wollte doch weniger Zeit im Internet verbringen".

Manchmal, kommt Ihnen vielleicht das Bild eines pickligen Informatikers in den Sinn, der seine einsamen Nächte im Internet verbringt oder mit "virtuellen Freunden" emailt?

Die Zahl der Dinge im Universum hat sicherlich in den letzten zwei Jahrhunderten enorm zugenommen. Dennoch, haben Sie nicht manchmal das Gefühl, als würden die Dinge verschwinden? Die Zahl der Menschen hat sich seit der Mitte des 19.Jahrhunderts, wo erstmals eine Milliarde Menschen die Erde bevölkert, bis heute vervielfacht. Alles vermehrt sich, alles wächst in einem derartigen Ausmaß, daß die Grenzen des Wachstums sichtbar werden. In der Tat, vieles verschwindet. Was in Wirklichkeit verschwindet, ist die historische Erscheinungsform der Dinge der Welt. Ursache der Transformation dieser Welt ist die industrielle Revolution, von ihrer mechanischen-dampfmaschinellen Ära bis zur gegenwärtigen elektronisch-orbitalen Phase. Wenn der Unterschied zwischen Landschaft und Landkarte verschwindet und der Mensch nicht mehr weiß, steht er in der Wüste oder befindet er sich auf einer simulierten Landkarte, verschwindet natürlich auch das Land selbst und verfällt die Realität insgesamt.

Hat das Auto noch meinen Körper von einem Ort zum anderen bewegt, wird es in der virtuellen Realität möglich werden, meinen Körper, ohne real fortbewegt zu werden, als digitales Double an einen anderen Ort zu bewegen. Teile des Körpers werden schon seit 150 Jahren maschinell verdoppelt, zum Beispiel durch die Fotokamera das Bild, die Stimme durch Tonbandaufzeichnung und durch den Roboter (Android) kann der ganze Körper gedoubelt werden.

Das Internet als System beinhaltet alle Voraussetzungen, sämtlichen technische Annehmlichkeiten miteinander zu vereinen und zu kontrollieren. Wer sehnt sich nicht danach? Mit dieser Apparatur werden Sie voraussichtlich in 20 Jahren konfrontiert:

Sie besitzen einen Multi-Fernseher mit Internetfunktionen, mit Funktionen und Zugriff auf Video, Stereoanlage, Hausalarm- und Klimaanlage, Kontrolle des Kühlschranks. Sie buchen Ihre Reise, indem Sie innerhalb einer Reisereportage aus einer Filmeinstellung heraus sich für Ihr Reiseziel entscheiden. Sie erledigen Ihren Bürojob von zu Hause aus. Sie können über Ihr Fernsehgerät natürlich auch faxen, bildtelefonieren und es ist auch eine virtueller Anrufbeantworter integriert: Ich bin zur Zeit nicht da, aber Sie können meinem Abbild eine Nachricht hinterlassen. Wenn Sie Hunger haben, können Ihre Pizza am Bildschirm zusammenstellen und über den Strichcode verfolgen, wie die Zutaten gewachsen oder gezüchtet worden sind. Der Pizzalieferant vor Ihrer Haustür ist real, oder sind Sie etwa immer noch auf der Homepage Ihres Pizzaservice vertieft, wo der Internetclip Ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen läßt?

Doch wie auch beim Artikel in der "New York Times", der ursprünglich als ironischer Beitrag zu verstehen war, liegen Ernst oder Spaß sehr nah beieinander: Einzelfälle, bei denen Symptome einer Internet-Sucht festzustellen sind, werden von den Psychologen selbstverständlich ernst genommen. Oder sind wir etwa alle nicht ein wenig internetsüchtig?

Internet-Tip: Bekenntnis eines Süchtigen unter http://www.nref.com/4.html
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