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Erfahrungsbericht: Stand 20.03.2002

Dieser Bericht wurde uns von einer Betroffenen zur Verfügung gestellt. Er wird hier im Original wiedergegeben.

 

Hallo, ich heiße Petra, bin 39 Jahre alt und Mutter von 3 Kindern im Alter von 10, 14 und 16 Jahren. Ich bin Hausfrau. Im August 1992 erlitt ich einen Schlaganfall.

In den letzten Jahren habe ich oft bemerkt, wie verzweifelt und mutlos mancher Mensch nach einem solchen Schicksalsschlag wird. Weil es mir anfangs genauso erging, wünsche ich mir, dass diese Zeilen solche Menschen erreichen und ihnen etwas Mut und Stärke verleihen können.

Ich weiß, dass alle neurologischen Krankheiten anders verlaufen, und dass ein junger Mensch eher in der Lage sein wird, mit diesem Umstand fertig zu werden und es als „neue" Chance ansieht.

Ich bin auch heute noch nicht vollkommen in Ordnung, meine Stimme hat sich total verändert, was dazu führt, dass ich am Telefon oft gefragt werde, ob ich erkältet sei. Mein linker Arm ist mir augenblicklich nur zum Abstützen eine Hilfe. Ich bin auch schon wieder in der Lage, Flaschen und Einmachgläser, die ich gut umfassen kann, zu öffnen. Seit Juni diesen Jahres kann ich meine Schuhe selbständig binden. Bis zu diesem Zeitpunkt gelang mir dies nur mit der sogenannten Einhänderschleife. Kleinigkeiten, die erst dann, wenn man sie nicht problemlos ausführen kann, wichtig werden, denn für Gesunde stellen diese Tätigkeiten belanglose Kleinigkeiten dar.

Nun werde ich von Anfang an erzählen und hoffe, nichts entscheidendes auszulassen. Am 4.8.1992 hatten wir uns auf die Einschulung meiner Tochter Carina gefreut, und auch der freundliche Tag schien die Feierlichkeiten in Schulaula und Kirche gelingen zu lassen. Meine Schwiegereltern kamen am späten Vormittag und gratulierten zum bevorstehenden Ereignis. Nach einer Tasse Kaffee und ein paar Fotos für das Album traten sie den Heimweg an, wonach ich das Mittagessen vorbereiten konnte. Nebenbei räumte ich noch im Hause auf, denn Besuch bringt Unordnung meist mit sich. Anschließend fütterte ich meinen 10 monatigen Sohn.

Plötzlich wurde mir auf ganz sonderbare Weise übel, und ich bemerkte sofort, dass es sehr außergewöhnlich war. Ich stieß einen Schrei aus, der meinem Mann sofort klar machte, dass Gefahr in Verzug sei. Kurz vor meiner Ohnmacht legte ich noch meinen Sohn auf den Boden. Im nächsten Augenblick war ich auch schon dort, wo der Mensch Angst erfährt.

Der von meinem Mann unverzüglich alarmierte Arzt erkannte die Lage der Situation sofort und rief die Flugrettung. Per Hubschrauber wurde ich in die Klinik nach Fulda gebracht, die nächste klinische Versorgung vom Vogelsberg aus. Dort verbrachte ich einige Tage im Koma. Der Schlaf ging über in eine sogenannte Halbwachphase, an die ich mich nunmehr gar nicht bis sehr schlecht erinnere. Träume und Gesichter blieben haften, doch kann ich nicht mehr zuordnen, ob ich sie im Traum oder in der Realität sah. Ein Traum beschwörte alle meine Lebensgeister herauf, ein Traum, in dem ich den Kleinen auf einem Friedhof herum krabbeln sah. Ich bin überzeugt davon, dass mir meine Kinder die Kraft schenkten, mich soweit voran zu arbeiten, dass ich mich heute wieder unauffällig in das tägliche Leben integriert habe.

Damals sah die Prognose der Ärzte anders aus, und meiner Familie wurde mitgeteilt, das es durchaus wahrscheinlich sei, dass ich mein weiteres Leben im Rollstuhl würde verbringen müssen. Daraufhin verkaufte mein Mann unser Haus im Vogelsberg und der Mann meiner Mutter baute für uns einen ehemaligen Getreidespeicher zum rollstuhlgerechten Wohnhaus aus. Breite Türen, ebenerdige Dusche, Griffe neben den Toiletten und an der Badewanne waren speziell ausgerichtete Hilfsmittel, die mir mein Leben in der ersten Zeit nach meiner Entlassung erleichterten. Weil die Wohnung sich über zwei Etage erstreckte, wurde ein gebrauchter Treppenlift gekauft und montiert. Das waren tolle Aussichten.

11 1/2 Monate verbrachte ich in Klinik und Rehabilitation. Eine notwendige Zeit, mich auf mein weiteres Leben vorzubereiten. Als ich von Fulda nach Bad Zwesten verlegt wurde, konnte ich weder sprechen, noch mich bewegen. Und dafür bin ich dem Personal dort sehr dankbar, dass ich nach dieser Zeit, zwar anfangs noch eingeschränkt, aber ich war soweit wieder hergestellt, dass ich für mich selber sorgen konnte. Nach einigen Wochen in der Hardtwaldklinik stellte sich dann heraus, dass ich auf der linken Seite des Körpers gelähmt war, die Rechte konnte ich nach kurzer Zeit wieder gut gebrauchen. Nun stellten sich einige Fragen. Wie zieht man sich mit einer Hand einen Socken an, oder wie bekommt man die Zahncreme auf die Zahnbürste? Wie bindet man die Schuhe, oder schmiert sich ein Brot? Das sind für Otto Normalverbraucher sehr banale Fragen, für jemanden, der auf einmal dies nicht mehr alles machen kann sind das sehr wichtige Dinge.

Neben Krankengymnastik kümmerten sich noch liebevoll die Ergo-Abteilung, die Logopädie, sowie die Neuropsychologie um meine Defizite, mit gutem Erfolg. Ich muss ehrlich sagen, oft habe ich gedacht, was soll das denn jetzt, habe aber, weil ich nichts sagen konnte, immer mitgemacht. Im Nachhinein weiß ich, dass all diese sonderbaren Übungen notwendig waren, man muss alles wieder lernen wie ein kleines Kind und alles baut aufeinander auf. Jede auch noch so eigenartige Übung hat seinen Sinn.

Nach einigen Monaten bin ich dann noch zur Hippotherapie. War schon ein irres Gefühl, wieder auf einem Pferd zu sitzen. Damit soll, glaube ich, die Muskulatur im Rumpfbereich gestärkt werden. Nach einiger Zeit war das die Anwendung, die ich am liebsten mochte.

Eine sehr negative Erinnerung an meine Zeit in Fulda ist das Stehbett. Als ich in der Wachphase war, wurde ich, wenn ich mal nicht schlief, auf ein Stehbett gebunden, um die Muskulatur nicht ganz erschlaffen zu lassen. Dort blieb ich dann immer mindestens 10 Minuten. Nach einigen Minuten hat dann immer mein Kreislauf verrückt gespielt, aber da ich mich nicht äußern konnte, weder durch Gesten, noch durch Sprache, musste ich diese Tortour über mich ergehen lassen. Da es ein sehr heißer Sommer war, habe ich jedes mal Schweißausbrüche gehabt und war hinterher total fertig.

Ein witziges Andenken habe ich aber auch noch. Ich konnte ja auch nicht schlucken und das wurde immer wieder ausprobiert. Die Schwestern dachten sich, sie tun mir was Gutes, indem sie es mit Schokoladenpudding probieren, den esse ich zwar, aber sehr ungern. So kam das Zeug immer wieder postwendend zurück und ich konnte mich nicht mitteilen, dass ich darauf nun wirklich keine Lust hatte. Wäre ja auch egal gewesen, schlucken konnte ich ja sowieso nicht.

Dann bin ich nach fast 5 Wochen nach Bad Zwesten in die Hardtwaldklinik verlegt worden. Da ging dann der Stress erst richtig los (positiv gesehen ). Die ersten Wochen fand ich ganz grauenvoll, nämlich die Zeit, als ich mich noch nicht bewegen konnte. Es ist ganz schlimm, wenn man alles versteht, aber nicht antworten kann. Man liegt in seinem Bett und kann sich nicht bewegen, bekommt alles nur übers Ohr durch eine geschlossene Tür mit oder durchs offene Fenster. Ich hatte mein Zimmer in Richtung Haupteingang und man konnte nur anhand immer wieder kehrender Geräusche erahnen, welche Uhrzeit gerade sein könnte. Etwas schräg unterhalb des Haupteinganges befindet sich der Fussballplatz, von wo am späten Nachmittag und abends bis es dunkel wurde, fröhliche Menschen und das Treten des Fußballes vernehmen konnte. Da wusste ich dann, dass es schon nach 16.00 h sein musste. Ab und zu war auch mal ein Gewitter zu hören, oder Patienten auf dem Gang, von denen ich den Namen wusste, hatte sie aber noch nie gesehen.

Noch eine schlimme Erinnerung war die Sache mit dem Absauger. Manchmal war die Ansammlung von Schleim im Rachen so stark, und da ich selber nicht in der Lage war zu schlucken, musste das hin und wieder abgesaugt werden, was jedesmal sehr unangenehm war, aber sein musste.

Dann kam die Zeit, als mich die Krankengymnasten, anfangs noch im Zimmer, später dann in deren Räumlichkeiten, immer wieder auf die Beine gestellt haben, was mir zu Anfang ziemlich auf den Kreislauf schlug. Auch die Ergotherapeuten und die Logopädie kamen zu Anfang aufs Zimmer.

Irgendwann war dann die Zeit, als ich wieder schlucken konnte. Zuerst gab es alles in Breiform, und alles sah gleich aus. Nach einer Weile konnte ich auch wieder feste Kost zu mir nehmen. Da ich ja sehr lange keine Süßigkeiten essen konnte, hatte ich natürlich einen totalen Heißhunger darauf. Da hatte ich irgendwann das „Mon-Cheri"-Erlebnis. Über meinem Bett war eine Ablage, auf die ich mit der rechten Hand greifen konnte. Am Nachmittag brachte irgend jemand eine große Schachtel Mon- Cheri mit, und die stand da nun. Nach dem Abendessen haben sich die Schwestern und Pfleger um ihre Patienten gekümmert und anschließend eine Übergabe an den Nachtdienst gemacht. Die Zeit habe ich genutzt, mich über diese Schachtel herzumachen. Ich habe den Inhalt komplett aufgegessen. Da ich zu dieser Zeit noch ziemlich ungeschickt mit meiner rechten Hand war, war hinterher das ganze Bett verschmiert und ich hatte einen Schwips. Nach der Übergabe hatte Schwester Brigitte nochmal nach mir geschaut und war total entsetzt über diese Schweinerei. Auf diesem Wege im nachhinein Entschuldigung für mein schlechtes Benehmen.

Ein grauenhaftes Erlebnis war die Tatsache, dass irgendwann mal jemand vom Amtsgericht da war, um eine Vormundschaft in die Wege zu leiten. Ich konnte zu dieser Zeit noch nicht sprechen und einen Kommunikator hatte ich auch noch nicht. Da zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest stand, ob ich noch ganz dicht in der Birne bin oder nur noch dummes Zeug mache, war das sicherlich in Ordnung. Die Entmündigung wurde ja auch nach kurzer Zeit wieder aufgehoben. Aber schlimm war`s trotzdem. Zumal man ja selber das Gefühl hat „normal"zu sein. Ich hatte ja die erste Zeit nicht kapiert, was los war. Ich habe oft gedacht: was für ein furchtbarer Traum, der muss doch bald mal zu Ende sein. Bis ich dann gemerkt habe, dass das kein Traum war. Das war dann die Ernüchterung, die damit endete, dass ich einen kompletten Tag in Tränen aufgelöst war, danach aber, Gott sei Dank, kaum mehr einen üblen Gedanken hatte und versucht habe, nur positive Gedanken zu haben.

Das ist nicht möglich. Man hat immer mal wieder einen Tag, an dem einem alles nutzlos erscheint und man kein Vorankommen sieht. Ich denke, solch Tage soll man sich auch zugestehen, nach jedem Tief, folgt auch wieder ein Hoch. Klar war da die Angst,was wird mal sein, wirst du mal wieder ordentlich laufen können, oder dich um deine Familie kümmern können. Wirst du nirgendwann mal wieder ein „normales"Leben führen, oder muss dir immer jemand helfen? Aber all diese Fragen waren zwar da, doch in erster Linie nicht so wichtig. Ich habe mich nie allein gefühlt, hatte immer meine Familie im Hintergrund, bei der ich immer das Gefühl hatte, nie allein mit all meinen Sorgen zu sein.

Doch da ich gerade bei der Familie bin, gehe ich noch etwas auf ein anderes Thema ein. Es ist sicherlich ganz lieb gemeint, wenn einem am Anfang ganz viele Sachen abgenommen werden. Aber wenn das von Dauer ist, neigt man zur Bequemlichkeit. Es ist ja so einfach, wenn jemand zum Kartoffel schälen kommt, dabei kann man das mit Hilfe eines Fixierbrettes auch selber machen. Man braucht zwar etwas länger ( zumindestens am Anfang, mitterweile bin ich genauso schnell mit einer Hand, wie ein anderer mit zwei Händen) da hilft halt nur eine andere Zeiteinteilung. Ich habe mir auch viel helfen lassen und habe gemerkt, als mein Mann auszog, wie viel ich allein konnte. Jetzt mache ich es halt und fühle mich ziemlich gut dabei. Kam zwar mit einiger Verzögerung, aber es kam.

Dann kam irgendwann die Zeit, als ich am, Wochenende das erste Mal nach Hause durfte. Oh welche Freude. Nur hatte ich nicht damit gerechnet, dass ich das Auto fahren nicht mehr vertragen würde. Alles was ich zum Frühstück zu mir nahm, kam wieder zurück. Es war jedesmal eine Tragödie. Irgendwann fingen die Schwestern an, mir Tropfen zu geben. Nach einer Weile habe ich mich so vor diesen Tropfen geekelt, dass mir schon beim Gedanken daran übel wurde. Aber das hat sich nach 2-3 Jahren auch gegeben, die Übelkeit beim Auto fahren, meine ich.

Wir hatten damals einen Hund. Ich werde diese unbändige Freude niemals vergessen, als er mich nach Monaten zum ersten Mal sah. Ich bin in der Nähe von Bad Zwesten groß geworden und so ergab es sich, dass ich einige nette Freunde und ehemalige Schulkollegen aus der Jugendzeit wiedersehen konnte, die in der Hardtwaldklinik als Krankengymnasten, Pfleger oder Schwestern beschäftigt waren. Schlimm war die Zeit, in der die Blasenfunktion trainiert wurde. Da ist man ein erwachsener Mensch und macht in die Hose oder ins Bett, weil man nicht einhalten kann, oh wie demütigend. Zur Belustigung meiner Kinder kam ich am Wochenende immer mit Riesenpampers an. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, es normalisiert sich alles wieder und heute ist wieder alles in Ordnung.

Die ersten Jahre bei meiner Familie waren sehr schön, anstrengend zwar, aber es gab auch immer etwas Neues. Allerdings war ich durch meine eingeschränkte Selbstständigkeit ziemlich ans Haus gebunden. Da ich zu Anfang ja auch noch kein Auto fuhr, hatte ich sehr wenig Kontakt zur Außenwelt und „die Decke viel mir auf den Kopf", eine große Unzufriedenheit machte sich breit.

Anfang des Jahres 1994 überlegte ich, wie ich diesen Zustand ändern könnte. Ich äußerte dann mal, dass ich Spaß an einem kleinen Laden haben könnte. Gesagt - getan. Da wir auf einem Grundstück leben, auf dem es sehr viele leer stehende Gebäude gibt (ehemaliger Bauernhof ), wurde auch gleich ein Raum dafür ausgedacht, der sich im nachhinein aber als ungeeignet rausstellte da man nur mit großen Schwierigkeiten eine Heizung installieren konnte. Da wir in unserem Haus eine Doppelgarage hatten, wurde diese halbiert und mit einigen Umbauten hatte ich meinen kleinen Laden. So eröffnete ich im September 94 einen Second-Hand-Shop für Kindersachen. Ich habe damit nichts verdient, aber das war ja auch nicht Sinn und Zweck der Sache. Mir hat das viel Spaß gemacht und der Kontakt zu anderen Menschen hat mir sehr gut getan. Juchhu, die Welt hatte mich wieder.

Als ich mich dann in 97` von meinem Mann trennte, wurde es mir zu viel und ich habe im August 97 wieder geschlossen. Ich war es übrigens, die die Scheidung gewünscht hat. Nachdem ich aus dem Krankenhaus kam, hatte sich bis Ende 96 so eine Oberflächlichkeit eingeschlichen und ich war nicht bereit, so weiter zu machen. Es war zwar Achtung vorhanden, aber ich hatte jahrelang das Gefühl, alles geschieht nur, weil er sich dazu verpflichtet fühlte, wir waren ja schließlich verheiratet. Wir waren beide noch so jung, warum sollten wir beide nicht die Chance haben, nochmal neu anzufangen? Ich habe zu diesem Schritt sehr lange gebraucht, die Angst zu versagen war sehr groß. Aber Familie und Freunde ( ich meine richtige Freunde ) haben mir jederzeit ihre Hilfe angeboten, und ich wusste, darauf konnte ich mich verlassen. Ich habe es auch so auf die Beine gestellt und kaum Hilfe in Anspruch nehmen müssen, die Kinder waren mir dabei oft eine große Hilfe, wir waren nach kurzer Zeit ein eingespieltes Team.

Am deutlichsten wurde mir das, als wir unsere erste Flugreise gemacht haben. Ich hatte den Wunsch, mit den Kindern einige Tage Urlaub zu machen. Der Gedanke, ob ich dazu in der Lage sei, mit der Behinderung und 3 Kindern einen Urlaub zu machen, war eine wahre Herausforderung. Im Oktober 97 gab es nur eine Woche Herbstferien und ich habe mir gedacht, genau die richtige Zeit das zu testen. Wenn es gut geht, o.k und wenn nicht, auch nicht schlimm, eine Woche geht schnell vorüber. Also ging ich in ein Reisebüro und habe mich nach einem behinderten geeigneten Hotel erkundigt. Zuvor hatten wir uns schon auf Mallorca als Reiseziel geeinigt. Das Fräulein da war sehr nett und hilfsbereit (überhaupt habe ich gemerkt, dass jeder nett und hilfsbereit ist, wenn man ihn freundlich anspricht und um Hilfe bittet) und hat mir ein geeignetes Hotel empfohlen. Alles war ebenerdig, zu den Appartements gab es an allen Ecken einen Aufzug und an jeder Treppe eine Rampe (also auch für Rollstuhlfahrer geeignet). Da sie den Manager kannte, wurde ein Fax geschickt, mit der Bitte, ein geeignetes Appartement zu reservieren. Auch beim Reiseveranstalter wurde Bescheid gegeben und so stand in Palma de Mallorca am Flughafen ein Mann mit Kofferwagen bereit, der mir beim Gepäck helfen sollte. Das Appartement lag ganz nah an der Rezeption, mit Blick auf den Pool. So hatte ich die Kids (damals 6, 9 + 11) immer im Blickfeld. Super!

Da alles so gut geklappt hat, haben wir das im Frühling darauf wiederholt, diesmal 14 Tage. Wir haben auch einige Ausflüge mit gemacht. Am schönsten war die Jeep-Safari. Erst habe ich gedacht, die Kinder haben keinen Spaß daran. Den ganzen Tag durch die Gegend zu tuckern, aber falsch gedacht, gejauchzt haben sie, wenn es durch 30 cm tiefe Schlaglöcher ging.

Wenn man nach einigen Monaten die wichtigsten Dinge zur Selbstversorgung erlernt hat, stellt man sich oft die Frage, wie man dies und jenes machen soll, und im nachhinein bin ich oft sprachlos, was man für Fantasie entwickelt. Ich hatte nun noch den Vorteil eine Ergotherapeutin zur Bekannten zu haben, die mir einige Tipps gab. So z. B.der Tipp beim Betten beziehen 2 große Klammern (solche wie bei Überbrückungskabeln) an der Oberseite zu verwenden und den Bezug dann einfach nach unten ziehen. Oder die Bänder der Küchenschürze einfach mit Knopf und Lochgummi zu ersetzen. Oft wurde ich gefragt, wie hängst du deine Wäsche auf. Klar, wenn man den einen Arm nicht heben kann, ist das schon schwierig. Aber anstatt einer Wäschespinne oder Leine gibt`s halt einen kleinen Wäscheständer. Jetzt, nach fast 8 Jahren, (und darauf bin ich ganz stolz) schaffe ich auch das Aufhängen an einer Wäschespinne. Man kann nicht unterscheiden, ob es jemand mit 2 gesunden Händen aufgehängt hat. Am besten geht`s mit kurzen Klammern.

Viele Menschen haben nach einem Schlaganfall Probleme mit den Augen oder haben Doppelbilder. Das hatte ich Gott sei Dank nicht und so habe ich mir die Zeit in der Reha mit viel lesen vertrieben. Aber es gab da noch andere Sachen, die ich ausprobieren musste. So klappte es zum Beispiel prima mit puzzeln oder sticken. Sogar stricken konnte ich, allerdings nur rechte Maschen und das hat mir keinen Spaß gemacht. Ich habe mir ein kleines Hölzchen in Stricknadelgröße ausfräsen lassen und das mit der Nadel mit einer Schraubklemme am Tisch befestigt. Den Faden konnte ich mit der linken Hand halten. Die Maschen hat mir meine Mutti aufgenommen, das habe ich nicht auf die Reihe gebracht. Dann gab es Phasen, da habe ich nur Kreuzworträtsel oder andere Denkaufgaben gemacht.

Das erste Jahr habe ich nur im Rollstuhl gesessen. Da ich in einer sehr bergigen Gegend wohnte, hat mir die Kasse einen E - Rolli genehmigt. So kam ich in den Genuss von 2 Rollstühlen, den Faltrolli für drinnen, den E-Rolli für draußen. Ich kann mich noch sehr gut an meine erste Fahrt mit dem E-Rolli erinnern. Das war von der Krankengymnastik in der Hardtwaldklinik hoch auf Station. E-Rolli fahren ist am Anfang nicht so einfach. Die Lenkbewegungen lassen sich mit denen eines LKW vergleichen. Bei der Fahrt in den Aufzug bin ich erstmal allen Leuten über die Füße gefahren. Zu Hause kam dann mein damals 2-jähriger Sohn und liebte es, bei mir auf dem Schoß zu sitzen und auf dem Hof herum zu düsen oder spazieren zu fahren. Da hat er jedesmal gejauchzt vor Vergnügen. Wir wohnten auf 2 Etagen und daher hatte ich zu Anfang auch einen Treppenlift. Es war das größte Vergnügen für die Kids damit rauf und runter zu fahren. Meine Küche zu Hause haben wir so umgebaut, dass ich bequem mit dem Rolli darunter fahren konnte und genügend Platz zum arbeiten hatte. Heute wird dieser Platz zur Lagerung von Leergut, Einkaufskorb etc. genutzt.

Was mir noch empfohlen wurde, ich aber nie hatte, war ein Backofen mit Backwagen. Später, als ich etwas länger auf den Beinen sein konnte, hatte ich einen Rollator mit Korb und Tablett. Das war äußerst praktisch, denn damit konnte ich einkaufen gehen und zu Hause der Tisch war immer ruckzuck abgeräumt. Zu Anfang kam die Ergo-Therapeutin noch zu mir nach Hause und hat mit mir das Einkaufen geübt. Danach gab es noch einen Stock, den ich aber nur für Wegstrecken im Freien nutze oder in großen Räumen zur Sicherheit ( z.B. bei uns in der Festhalle oder im Speiseraum bei Reha-Aufenthalten).

Ein schrecklicher Gedanke ist der an die Gummistrümpfe. Ich sehe ja ein, dass es sein muss, aber da 1992 ein ziemlich heißer Sommer war, waren die Dinger sehr unangenehm. Dabei waren die weißen Strümpfe aus der Klinik ja noch angenehm. Richtig schlimm wurde es erst nach meiner Rückkehr aus der Reha-Klinik. Da habe ich so dicke, braune aus dem Sanitätshaus bekommen und diese Abhängigkeit von meinem Mann, der mir die Dinger jeden Morgen anzog, war fürchterlich. Da habe ich dann so lange geübt, bis ich in der Lage war, sie alleine anzuziehen.

In 1995 durfte ich dann wieder Auto fahren. Hatte ich am Anfang Schiss. Ich kann mich noch gut an meine ersten Fahrversuche erinnern. Ich hatte damals einen Chrysler Grand Voyager. Frau Mertin, meine Ergotherapeutin, saß neben mir und hat Blut und Wasser geschwitzt. War ja auch irgendwie klar, das Auto war ja auch viel zu groß für mich. Ich hatte dann einen 205 Peugeot und der hatte dann eine gut Größe zum üben. Klar, die Umstellung mit dem Lenkknauf war schon riesig,auf die Automatik würde ich, auch wenn ich es könnte, nicht mehr verzichten. Was war das damals ein unbeschreiblich schönes Gefühl mich wieder alleine fortbewegen zu können. Damit war der größte Schritt zur Unabhängigkeit getan. Heute fahre ich einen Minivan ind ich fahre gern und meine sagen zu können, auch sicher.

Lange Zeit habe ich Schuhe vom Orthopädischen Schuhmacher getragen. Das waren vielleicht Dinger! Ich habe jetzt eine Schiene, die ich in jedem Schuh tragen kann. Ich ziehe jetzt auch wieder Kleider und kurze Hosen an, die ich doch lange Zeit gemieden habe, da ich sehr eitel bin.

Ich nehme seit 1993 ASS-Tabletten. Man hat mir zu Anfang sicherlich gesagt, dass man dadurch stärker blutet, ich hatte das aber vergessen ( kam zu Anfang auch öfter vor ). Dann hatte ich eine kleine Wunde am Bein, und das hat geblutet und geblutet und hörte nicht mehr auf, und ich habe mich gewundert, bis mir jemand sagte, dass das von den Tabletten kommt. Nun weiß ich Bescheid und weiß, dass alle blutenden Wehwehchen etwas länger bluten.

Was mir ziemlich auf den Nerv geht, ist die Tatsache, dass alle älteren, öffentlichen Gebäude an nur einer Seite einen Handlauf haben. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, aber zu Anfang war es schon recht schwer, sich mit einem Übergriff zu halten.

Ich habe in den letzten Jahren einige Frauen mit Schlaganfällen kennen gelernt und man kommt öfters auch auf das Thema Sex zu sprechen. Sicherlich ist bei jedem zu Beginn der Gedanke da, als Frau oder als Mann nichts mehr zu taugen und ich habe die Erfahrung gemacht, dass das bei vielen auch so bleibt und sie es nach Jahren noch nicht ertragen können, angepackt zu werden. Auch ich hatte diese Gedanken und hatte große Angst vorm ersten Sex mit meinem damaligen Mann. Aber mit der Zeit habe ich diese Ängste ablegen können und habe gemerkt, dass man auch seinen Spaß mit Einschränkungen daran haben kann. Nur Mut!

Ganz große Schwierigkeiten hatte und habe ich heute noch beim Laufen im Freien. Am Anfang konnte ich keinen Schritt ohne Begleitperson machen. Später hatte ich für kurze Strecken einen Stock. Heute laufe ich kurze Strecken auch ohne Hilfe. Im allgemeinen kann ich nur sagen, dass die Tagesform und wie ich mich fühle, eine sehr große Rolle spielen. Einmal bin ich irre gut drauf und dann geht alles viel leichter, ein anderes Mal geht es mir nicht so gut, dann klappt`s auch mit dem Laufen nicht so gut. Anhand der Reaktionen beim Laufen, weiß ich auch immer im voraus wenn sich eine Erkältung oder eine andere Krankheit anmeldet. Am schlimmsten sind Situationen mit großem Menschenandrang. Vor einigen Jahren hatte ich überhaupt keine Chance die Spastik in den Griff zu bekommen, heute kann ich etwas besser damit umgehen. Eine Besserung habe ich erfahren, nachdem ich in der Hardtwaldklinik im letzten Jahr an einer Selbstsicherheitsgruppe teilgenommen habe.

Kurz und gut, ich bin immer neu darüber überrascht, wie stark Seele und Körper zusammen arbeiten. Durch die vielen Aufenthalte in der Hardtwaldklinik habe ich mittlerweile einige gute Bekannte mit MS oder anderen Krankheiten. Es ist nur immer etwas schwierig zu sehen, wie bei den meisten der Verlauf immer schlimmer wird. Nach einem Schlaganfall kann es doch durch Eigeniniative nur besser werden, oder?

 

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