Hallo, ich heiße Petra, bin 39 Jahre alt
und Mutter von 3 Kindern im Alter von 10, 14 und 16 Jahren. Ich bin Hausfrau. Im August
1992 erlitt ich einen Schlaganfall.In den letzten Jahren habe ich oft bemerkt, wie
verzweifelt und mutlos mancher Mensch nach einem solchen Schicksalsschlag wird. Weil es
mir anfangs genauso erging, wünsche ich mir, dass diese Zeilen solche Menschen erreichen
und ihnen etwas Mut und Stärke verleihen können.
Ich weiß, dass alle neurologischen Krankheiten anders verlaufen, und dass ein junger
Mensch eher in der Lage sein wird, mit diesem Umstand fertig zu werden und es als
neue" Chance ansieht.
Ich bin auch heute noch nicht vollkommen in Ordnung, meine Stimme hat sich total
verändert, was dazu führt, dass ich am Telefon oft gefragt werde, ob ich erkältet sei.
Mein linker Arm ist mir augenblicklich nur zum Abstützen eine Hilfe. Ich bin auch schon
wieder in der Lage, Flaschen und Einmachgläser, die ich gut umfassen kann, zu öffnen.
Seit Juni diesen Jahres kann ich meine Schuhe selbständig binden. Bis zu diesem Zeitpunkt
gelang mir dies nur mit der sogenannten Einhänderschleife. Kleinigkeiten, die erst dann,
wenn man sie nicht problemlos ausführen kann, wichtig werden, denn für Gesunde stellen
diese Tätigkeiten belanglose Kleinigkeiten dar.
Nun werde ich von Anfang an erzählen und hoffe, nichts entscheidendes auszulassen. Am
4.8.1992 hatten wir uns auf die Einschulung meiner Tochter Carina gefreut, und auch der
freundliche Tag schien die Feierlichkeiten in Schulaula und Kirche gelingen zu lassen.
Meine Schwiegereltern kamen am späten Vormittag und gratulierten zum bevorstehenden
Ereignis. Nach einer Tasse Kaffee und ein paar Fotos für das Album traten sie den Heimweg
an, wonach ich das Mittagessen vorbereiten konnte. Nebenbei räumte ich noch im Hause auf,
denn Besuch bringt Unordnung meist mit sich. Anschließend fütterte ich meinen 10
monatigen Sohn.
Plötzlich wurde mir auf ganz sonderbare Weise übel, und ich bemerkte sofort, dass es
sehr außergewöhnlich war. Ich stieß einen Schrei aus, der meinem Mann sofort klar
machte, dass Gefahr in Verzug sei. Kurz vor meiner Ohnmacht legte ich noch meinen Sohn auf
den Boden. Im nächsten Augenblick war ich auch schon dort, wo der Mensch Angst erfährt.
Der von meinem Mann unverzüglich alarmierte Arzt erkannte die Lage der Situation
sofort und rief die Flugrettung. Per Hubschrauber wurde ich in die Klinik nach Fulda
gebracht, die nächste klinische Versorgung vom Vogelsberg aus. Dort verbrachte ich einige
Tage im Koma. Der Schlaf ging über in eine sogenannte Halbwachphase, an die ich mich
nunmehr gar nicht bis sehr schlecht erinnere. Träume und Gesichter blieben haften, doch
kann ich nicht mehr zuordnen, ob ich sie im Traum oder in der Realität sah. Ein Traum
beschwörte alle meine Lebensgeister herauf, ein Traum, in dem ich den Kleinen auf einem
Friedhof herum krabbeln sah. Ich bin überzeugt davon, dass mir meine Kinder die Kraft
schenkten, mich soweit voran zu arbeiten, dass ich mich heute wieder unauffällig in das
tägliche Leben integriert habe.
Damals sah die Prognose der Ärzte anders aus, und meiner Familie wurde mitgeteilt, das
es durchaus wahrscheinlich sei, dass ich mein weiteres Leben im Rollstuhl würde
verbringen müssen. Daraufhin verkaufte mein Mann unser Haus im Vogelsberg und der Mann
meiner Mutter baute für uns einen ehemaligen Getreidespeicher zum rollstuhlgerechten
Wohnhaus aus. Breite Türen, ebenerdige Dusche, Griffe neben den Toiletten und an der
Badewanne waren speziell ausgerichtete Hilfsmittel, die mir mein Leben in der ersten Zeit
nach meiner Entlassung erleichterten. Weil die Wohnung sich über zwei Etage erstreckte,
wurde ein gebrauchter Treppenlift gekauft und montiert. Das waren tolle Aussichten.
11 1/2 Monate verbrachte ich in Klinik und Rehabilitation. Eine notwendige Zeit, mich
auf mein weiteres Leben vorzubereiten. Als ich von Fulda nach Bad Zwesten verlegt wurde,
konnte ich weder sprechen, noch mich bewegen. Und dafür bin ich dem Personal dort sehr
dankbar, dass ich nach dieser Zeit, zwar anfangs noch eingeschränkt, aber ich war soweit
wieder hergestellt, dass ich für mich selber sorgen konnte. Nach einigen Wochen in der
Hardtwaldklinik stellte sich dann heraus, dass ich auf der linken Seite des Körpers
gelähmt war, die Rechte konnte ich nach kurzer Zeit wieder gut gebrauchen. Nun stellten
sich einige Fragen. Wie zieht man sich mit einer Hand einen Socken an, oder wie bekommt
man die Zahncreme auf die Zahnbürste? Wie bindet man die Schuhe, oder schmiert sich ein
Brot? Das sind für Otto Normalverbraucher sehr banale Fragen, für jemanden, der auf
einmal dies nicht mehr alles machen kann sind das sehr wichtige Dinge.
Neben Krankengymnastik kümmerten sich noch liebevoll die Ergo-Abteilung, die
Logopädie, sowie die Neuropsychologie um meine Defizite, mit gutem Erfolg. Ich muss
ehrlich sagen, oft habe ich gedacht, was soll das denn jetzt, habe aber, weil ich nichts
sagen konnte, immer mitgemacht. Im Nachhinein weiß ich, dass all diese sonderbaren
Übungen notwendig waren, man muss alles wieder lernen wie ein kleines Kind und alles baut
aufeinander auf. Jede auch noch so eigenartige Übung hat seinen Sinn.
Nach einigen Monaten bin ich dann noch zur Hippotherapie. War schon ein irres Gefühl,
wieder auf einem Pferd zu sitzen. Damit soll, glaube ich, die Muskulatur im Rumpfbereich
gestärkt werden. Nach einiger Zeit war das die Anwendung, die ich am liebsten mochte.
Eine sehr negative Erinnerung an meine Zeit in Fulda ist das Stehbett. Als ich in der
Wachphase war, wurde ich, wenn ich mal nicht schlief, auf ein Stehbett gebunden, um die
Muskulatur nicht ganz erschlaffen zu lassen. Dort blieb ich dann immer mindestens 10
Minuten. Nach einigen Minuten hat dann immer mein Kreislauf verrückt gespielt, aber da
ich mich nicht äußern konnte, weder durch Gesten, noch durch Sprache, musste ich diese
Tortour über mich ergehen lassen. Da es ein sehr heißer Sommer war, habe ich jedes mal
Schweißausbrüche gehabt und war hinterher total fertig.
Ein witziges Andenken habe ich aber auch noch. Ich konnte ja auch nicht schlucken und
das wurde immer wieder ausprobiert. Die Schwestern dachten sich, sie tun mir was Gutes,
indem sie es mit Schokoladenpudding probieren, den esse ich zwar, aber sehr ungern. So kam
das Zeug immer wieder postwendend zurück und ich konnte mich nicht mitteilen, dass ich
darauf nun wirklich keine Lust hatte. Wäre ja auch egal gewesen, schlucken konnte ich ja
sowieso nicht.
Dann bin ich nach fast 5 Wochen nach Bad Zwesten in die Hardtwaldklinik verlegt worden.
Da ging dann der Stress erst richtig los (positiv gesehen ). Die ersten Wochen fand ich
ganz grauenvoll, nämlich die Zeit, als ich mich noch nicht bewegen konnte. Es ist ganz
schlimm, wenn man alles versteht, aber nicht antworten kann. Man liegt in seinem Bett und
kann sich nicht bewegen, bekommt alles nur übers Ohr durch eine geschlossene Tür mit
oder durchs offene Fenster. Ich hatte mein Zimmer in Richtung Haupteingang und man konnte
nur anhand immer wieder kehrender Geräusche erahnen, welche Uhrzeit gerade sein könnte.
Etwas schräg unterhalb des Haupteinganges befindet sich der Fussballplatz, von wo am
späten Nachmittag und abends bis es dunkel wurde, fröhliche Menschen und das Treten des
Fußballes vernehmen konnte. Da wusste ich dann, dass es schon nach 16.00 h sein musste.
Ab und zu war auch mal ein Gewitter zu hören, oder Patienten auf dem Gang, von denen ich
den Namen wusste, hatte sie aber noch nie gesehen.
Noch eine schlimme Erinnerung war die Sache mit dem Absauger. Manchmal war die
Ansammlung von Schleim im Rachen so stark, und da ich selber nicht in der Lage war zu
schlucken, musste das hin und wieder abgesaugt werden, was jedesmal sehr unangenehm war,
aber sein musste.
Dann kam die Zeit, als mich die Krankengymnasten, anfangs noch im Zimmer, später dann
in deren Räumlichkeiten, immer wieder auf die Beine gestellt haben, was mir zu Anfang
ziemlich auf den Kreislauf schlug. Auch die Ergotherapeuten und die Logopädie kamen zu
Anfang aufs Zimmer.
Irgendwann war dann die Zeit, als ich wieder schlucken konnte. Zuerst gab es alles in
Breiform, und alles sah gleich aus. Nach einer Weile konnte ich auch wieder feste Kost zu
mir nehmen. Da ich ja sehr lange keine Süßigkeiten essen konnte, hatte ich natürlich
einen totalen Heißhunger darauf. Da hatte ich irgendwann das
Mon-Cheri"-Erlebnis. Über meinem Bett war eine Ablage, auf die ich mit der
rechten Hand greifen konnte. Am Nachmittag brachte irgend jemand eine große Schachtel
Mon- Cheri mit, und die stand da nun. Nach dem Abendessen haben sich die Schwestern und
Pfleger um ihre Patienten gekümmert und anschließend eine Übergabe an den Nachtdienst
gemacht. Die Zeit habe ich genutzt, mich über diese Schachtel herzumachen. Ich habe den
Inhalt komplett aufgegessen. Da ich zu dieser Zeit noch ziemlich ungeschickt mit meiner
rechten Hand war, war hinterher das ganze Bett verschmiert und ich hatte einen Schwips.
Nach der Übergabe hatte Schwester Brigitte nochmal nach mir geschaut und war total
entsetzt über diese Schweinerei. Auf diesem Wege im nachhinein Entschuldigung für mein
schlechtes Benehmen.
Ein grauenhaftes Erlebnis war die Tatsache, dass irgendwann mal jemand vom Amtsgericht
da war, um eine Vormundschaft in die Wege zu leiten. Ich konnte zu dieser Zeit noch nicht
sprechen und einen Kommunikator hatte ich auch noch nicht. Da zu diesem Zeitpunkt noch
nicht fest stand, ob ich noch ganz dicht in der Birne bin oder nur noch dummes Zeug mache,
war das sicherlich in Ordnung. Die Entmündigung wurde ja auch nach kurzer Zeit wieder
aufgehoben. Aber schlimm war`s trotzdem. Zumal man ja selber das Gefühl hat
normal"zu sein. Ich hatte ja die erste Zeit nicht kapiert, was los war. Ich
habe oft gedacht: was für ein furchtbarer Traum, der muss doch bald mal zu Ende sein. Bis
ich dann gemerkt habe, dass das kein Traum war. Das war dann die Ernüchterung, die damit
endete, dass ich einen kompletten Tag in Tränen aufgelöst war, danach aber, Gott sei
Dank, kaum mehr einen üblen Gedanken hatte und versucht habe, nur positive Gedanken zu
haben.
Das ist nicht möglich. Man hat immer mal wieder einen Tag, an dem einem alles nutzlos
erscheint und man kein Vorankommen sieht. Ich denke, solch Tage soll man sich auch
zugestehen, nach jedem Tief, folgt auch wieder ein Hoch. Klar war da die Angst,was wird
mal sein, wirst du mal wieder ordentlich laufen können, oder dich um deine Familie
kümmern können. Wirst du nirgendwann mal wieder ein normales"Leben führen,
oder muss dir immer jemand helfen? Aber all diese Fragen waren zwar da, doch in erster
Linie nicht so wichtig. Ich habe mich nie allein gefühlt, hatte immer meine Familie im
Hintergrund, bei der ich immer das Gefühl hatte, nie allein mit all meinen Sorgen zu
sein.
Doch da ich gerade bei der Familie bin, gehe ich noch etwas auf ein anderes Thema ein.
Es ist sicherlich ganz lieb gemeint, wenn einem am Anfang ganz viele Sachen abgenommen
werden. Aber wenn das von Dauer ist, neigt man zur Bequemlichkeit. Es ist ja so einfach,
wenn jemand zum Kartoffel schälen kommt, dabei kann man das mit Hilfe eines Fixierbrettes
auch selber machen. Man braucht zwar etwas länger ( zumindestens am Anfang, mitterweile
bin ich genauso schnell mit einer Hand, wie ein anderer mit zwei Händen) da hilft halt
nur eine andere Zeiteinteilung. Ich habe mir auch viel helfen lassen und habe gemerkt, als
mein Mann auszog, wie viel ich allein konnte. Jetzt mache ich es halt und fühle mich
ziemlich gut dabei. Kam zwar mit einiger Verzögerung, aber es kam.
Dann kam irgendwann die Zeit, als ich am, Wochenende das erste Mal nach Hause durfte.
Oh welche Freude. Nur hatte ich nicht damit gerechnet, dass ich das Auto fahren nicht mehr
vertragen würde. Alles was ich zum Frühstück zu mir nahm, kam wieder zurück. Es war
jedesmal eine Tragödie. Irgendwann fingen die Schwestern an, mir Tropfen zu geben. Nach
einer Weile habe ich mich so vor diesen Tropfen geekelt, dass mir schon beim Gedanken
daran übel wurde. Aber das hat sich nach 2-3 Jahren auch gegeben, die Übelkeit beim Auto
fahren, meine ich.
Wir hatten damals einen Hund. Ich werde diese unbändige Freude niemals vergessen, als
er mich nach Monaten zum ersten Mal sah. Ich bin in der Nähe von Bad Zwesten groß
geworden und so ergab es sich, dass ich einige nette Freunde und ehemalige Schulkollegen
aus der Jugendzeit wiedersehen konnte, die in der Hardtwaldklinik als Krankengymnasten,
Pfleger oder Schwestern beschäftigt waren. Schlimm war die Zeit, in der die
Blasenfunktion trainiert wurde. Da ist man ein erwachsener Mensch und macht in die Hose
oder ins Bett, weil man nicht einhalten kann, oh wie demütigend. Zur Belustigung meiner
Kinder kam ich am Wochenende immer mit Riesenpampers an. Es ist aber nur eine Frage der
Zeit, es normalisiert sich alles wieder und heute ist wieder alles in Ordnung.
Die ersten Jahre bei meiner Familie waren sehr schön, anstrengend zwar, aber es gab
auch immer etwas Neues. Allerdings war ich durch meine eingeschränkte Selbstständigkeit
ziemlich ans Haus gebunden. Da ich zu Anfang ja auch noch kein Auto fuhr, hatte ich sehr
wenig Kontakt zur Außenwelt und die Decke viel mir auf den Kopf", eine große
Unzufriedenheit machte sich breit.
Anfang des Jahres 1994 überlegte ich, wie ich diesen Zustand ändern könnte. Ich
äußerte dann mal, dass ich Spaß an einem kleinen Laden haben könnte. Gesagt - getan.
Da wir auf einem Grundstück leben, auf dem es sehr viele leer stehende Gebäude gibt
(ehemaliger Bauernhof ), wurde auch gleich ein Raum dafür ausgedacht, der sich im
nachhinein aber als ungeeignet rausstellte da man nur mit großen Schwierigkeiten eine
Heizung installieren konnte. Da wir in unserem Haus eine Doppelgarage hatten, wurde diese
halbiert und mit einigen Umbauten hatte ich meinen kleinen Laden. So eröffnete ich im
September 94 einen Second-Hand-Shop für Kindersachen. Ich habe damit nichts verdient,
aber das war ja auch nicht Sinn und Zweck der Sache. Mir hat das viel Spaß gemacht und
der Kontakt zu anderen Menschen hat mir sehr gut getan. Juchhu, die Welt hatte mich
wieder.
Als ich mich dann in 97` von meinem Mann trennte, wurde es mir zu viel und ich habe im
August 97 wieder geschlossen. Ich war es übrigens, die die Scheidung gewünscht hat.
Nachdem ich aus dem Krankenhaus kam, hatte sich bis Ende 96 so eine Oberflächlichkeit
eingeschlichen und ich war nicht bereit, so weiter zu machen. Es war zwar Achtung
vorhanden, aber ich hatte jahrelang das Gefühl, alles geschieht nur, weil er sich dazu
verpflichtet fühlte, wir waren ja schließlich verheiratet. Wir waren beide noch so jung,
warum sollten wir beide nicht die Chance haben, nochmal neu anzufangen? Ich habe zu diesem
Schritt sehr lange gebraucht, die Angst zu versagen war sehr groß. Aber Familie und
Freunde ( ich meine richtige Freunde ) haben mir jederzeit ihre Hilfe angeboten, und ich
wusste, darauf konnte ich mich verlassen. Ich habe es auch so auf die Beine gestellt und
kaum Hilfe in Anspruch nehmen müssen, die Kinder waren mir dabei oft eine große Hilfe,
wir waren nach kurzer Zeit ein eingespieltes Team.
Am deutlichsten wurde mir das, als wir unsere erste Flugreise gemacht haben. Ich hatte
den Wunsch, mit den Kindern einige Tage Urlaub zu machen. Der Gedanke, ob ich dazu in der
Lage sei, mit der Behinderung und 3 Kindern einen Urlaub zu machen, war eine wahre
Herausforderung. Im Oktober 97 gab es nur eine Woche Herbstferien und ich habe mir
gedacht, genau die richtige Zeit das zu testen. Wenn es gut geht, o.k und wenn nicht, auch
nicht schlimm, eine Woche geht schnell vorüber. Also ging ich in ein Reisebüro und habe
mich nach einem behinderten geeigneten Hotel erkundigt. Zuvor hatten wir uns schon auf
Mallorca als Reiseziel geeinigt. Das Fräulein da war sehr nett und hilfsbereit
(überhaupt habe ich gemerkt, dass jeder nett und hilfsbereit ist, wenn man ihn freundlich
anspricht und um Hilfe bittet) und hat mir ein geeignetes Hotel empfohlen. Alles war
ebenerdig, zu den Appartements gab es an allen Ecken einen Aufzug und an jeder Treppe eine
Rampe (also auch für Rollstuhlfahrer geeignet). Da sie den Manager kannte, wurde ein Fax
geschickt, mit der Bitte, ein geeignetes Appartement zu reservieren. Auch beim
Reiseveranstalter wurde Bescheid gegeben und so stand in Palma de Mallorca am Flughafen
ein Mann mit Kofferwagen bereit, der mir beim Gepäck helfen sollte. Das Appartement lag
ganz nah an der Rezeption, mit Blick auf den Pool. So hatte ich die Kids (damals 6, 9 +
11) immer im Blickfeld. Super!
Da alles so gut geklappt hat, haben wir das im Frühling darauf wiederholt, diesmal 14
Tage. Wir haben auch einige Ausflüge mit gemacht. Am schönsten war die Jeep-Safari. Erst
habe ich gedacht, die Kinder haben keinen Spaß daran. Den ganzen Tag durch die Gegend zu
tuckern, aber falsch gedacht, gejauchzt haben sie, wenn es durch 30 cm tiefe Schlaglöcher
ging.
Wenn man nach einigen Monaten die wichtigsten Dinge zur Selbstversorgung erlernt hat,
stellt man sich oft die Frage, wie man dies und jenes machen soll, und im nachhinein bin
ich oft sprachlos, was man für Fantasie entwickelt. Ich hatte nun noch den Vorteil eine
Ergotherapeutin zur Bekannten zu haben, die mir einige Tipps gab. So z. B.der Tipp beim
Betten beziehen 2 große Klammern (solche wie bei Überbrückungskabeln) an der Oberseite
zu verwenden und den Bezug dann einfach nach unten ziehen. Oder die Bänder der
Küchenschürze einfach mit Knopf und Lochgummi zu ersetzen. Oft wurde ich gefragt, wie
hängst du deine Wäsche auf. Klar, wenn man den einen Arm nicht heben kann, ist das schon
schwierig. Aber anstatt einer Wäschespinne oder Leine gibt`s halt einen kleinen
Wäscheständer. Jetzt, nach fast 8 Jahren, (und darauf bin ich ganz stolz) schaffe ich
auch das Aufhängen an einer Wäschespinne. Man kann nicht unterscheiden, ob es jemand mit
2 gesunden Händen aufgehängt hat. Am besten geht`s mit kurzen Klammern.
Viele Menschen haben nach einem Schlaganfall Probleme mit den Augen oder haben
Doppelbilder. Das hatte ich Gott sei Dank nicht und so habe ich mir die Zeit in der Reha
mit viel lesen vertrieben. Aber es gab da noch andere Sachen, die ich ausprobieren musste.
So klappte es zum Beispiel prima mit puzzeln oder sticken. Sogar stricken konnte ich,
allerdings nur rechte Maschen und das hat mir keinen Spaß gemacht. Ich habe mir ein
kleines Hölzchen in Stricknadelgröße ausfräsen lassen und das mit der Nadel mit einer
Schraubklemme am Tisch befestigt. Den Faden konnte ich mit der linken Hand halten. Die
Maschen hat mir meine Mutti aufgenommen, das habe ich nicht auf die Reihe gebracht. Dann
gab es Phasen, da habe ich nur Kreuzworträtsel oder andere Denkaufgaben gemacht.
Das erste Jahr habe ich nur im Rollstuhl gesessen. Da ich in einer sehr bergigen Gegend
wohnte, hat mir die Kasse einen E - Rolli genehmigt. So kam ich in den Genuss von 2
Rollstühlen, den Faltrolli für drinnen, den E-Rolli für draußen. Ich kann mich noch
sehr gut an meine erste Fahrt mit dem E-Rolli erinnern. Das war von der Krankengymnastik
in der Hardtwaldklinik hoch auf Station. E-Rolli fahren ist am Anfang nicht so einfach.
Die Lenkbewegungen lassen sich mit denen eines LKW vergleichen. Bei der Fahrt in den
Aufzug bin ich erstmal allen Leuten über die Füße gefahren. Zu Hause kam dann mein
damals 2-jähriger Sohn und liebte es, bei mir auf dem Schoß zu sitzen und auf dem Hof
herum zu düsen oder spazieren zu fahren. Da hat er jedesmal gejauchzt vor Vergnügen. Wir
wohnten auf 2 Etagen und daher hatte ich zu Anfang auch einen Treppenlift. Es war das
größte Vergnügen für die Kids damit rauf und runter zu fahren. Meine Küche zu Hause
haben wir so umgebaut, dass ich bequem mit dem Rolli darunter fahren konnte und genügend
Platz zum arbeiten hatte. Heute wird dieser Platz zur Lagerung von Leergut, Einkaufskorb
etc. genutzt.
Was mir noch empfohlen wurde, ich aber nie hatte, war ein Backofen mit Backwagen.
Später, als ich etwas länger auf den Beinen sein konnte, hatte ich einen Rollator mit
Korb und Tablett. Das war äußerst praktisch, denn damit konnte ich einkaufen gehen und
zu Hause der Tisch war immer ruckzuck abgeräumt. Zu Anfang kam die Ergo-Therapeutin noch
zu mir nach Hause und hat mit mir das Einkaufen geübt. Danach gab es noch einen Stock,
den ich aber nur für Wegstrecken im Freien nutze oder in großen Räumen zur Sicherheit (
z.B. bei uns in der Festhalle oder im Speiseraum bei Reha-Aufenthalten).
Ein schrecklicher Gedanke ist der an die Gummistrümpfe. Ich sehe ja ein, dass es sein
muss, aber da 1992 ein ziemlich heißer Sommer war, waren die Dinger sehr unangenehm.
Dabei waren die weißen Strümpfe aus der Klinik ja noch angenehm. Richtig schlimm wurde
es erst nach meiner Rückkehr aus der Reha-Klinik. Da habe ich so dicke, braune aus dem
Sanitätshaus bekommen und diese Abhängigkeit von meinem Mann, der mir die Dinger jeden
Morgen anzog, war fürchterlich. Da habe ich dann so lange geübt, bis ich in der Lage
war, sie alleine anzuziehen.
In 1995 durfte ich dann wieder Auto fahren. Hatte ich am Anfang Schiss. Ich kann mich
noch gut an meine ersten Fahrversuche erinnern. Ich hatte damals einen Chrysler Grand
Voyager. Frau Mertin, meine Ergotherapeutin, saß neben mir und hat Blut und Wasser
geschwitzt. War ja auch irgendwie klar, das Auto war ja auch viel zu groß für mich. Ich
hatte dann einen 205 Peugeot und der hatte dann eine gut Größe zum üben. Klar, die
Umstellung mit dem Lenkknauf war schon riesig,auf die Automatik würde ich, auch wenn ich
es könnte, nicht mehr verzichten. Was war das damals ein unbeschreiblich schönes Gefühl
mich wieder alleine fortbewegen zu können. Damit war der größte Schritt zur
Unabhängigkeit getan. Heute fahre ich einen Minivan ind ich fahre gern und meine sagen zu
können, auch sicher.
Lange Zeit habe ich Schuhe vom Orthopädischen Schuhmacher getragen. Das waren
vielleicht Dinger! Ich habe jetzt eine Schiene, die ich in jedem Schuh tragen kann. Ich
ziehe jetzt auch wieder Kleider und kurze Hosen an, die ich doch lange Zeit gemieden habe,
da ich sehr eitel bin.
Ich nehme seit 1993 ASS-Tabletten. Man hat mir zu Anfang sicherlich gesagt, dass man
dadurch stärker blutet, ich hatte das aber vergessen ( kam zu Anfang auch öfter vor ).
Dann hatte ich eine kleine Wunde am Bein, und das hat geblutet und geblutet und hörte
nicht mehr auf, und ich habe mich gewundert, bis mir jemand sagte, dass das von den
Tabletten kommt. Nun weiß ich Bescheid und weiß, dass alle blutenden Wehwehchen etwas
länger bluten.
Was mir ziemlich auf den Nerv geht, ist die Tatsache, dass alle älteren, öffentlichen
Gebäude an nur einer Seite einen Handlauf haben. Mittlerweile habe ich mich daran
gewöhnt, aber zu Anfang war es schon recht schwer, sich mit einem Übergriff zu halten.
Ich habe in den letzten Jahren einige Frauen mit Schlaganfällen kennen gelernt und man
kommt öfters auch auf das Thema Sex zu sprechen. Sicherlich ist bei jedem zu Beginn der
Gedanke da, als Frau oder als Mann nichts mehr zu taugen und ich habe die Erfahrung
gemacht, dass das bei vielen auch so bleibt und sie es nach Jahren noch nicht ertragen
können, angepackt zu werden. Auch ich hatte diese Gedanken und hatte große Angst vorm
ersten Sex mit meinem damaligen Mann. Aber mit der Zeit habe ich diese Ängste ablegen
können und habe gemerkt, dass man auch seinen Spaß mit Einschränkungen daran haben
kann. Nur Mut!
Ganz große Schwierigkeiten hatte und habe ich heute noch beim Laufen im Freien. Am
Anfang konnte ich keinen Schritt ohne Begleitperson machen. Später hatte ich für kurze
Strecken einen Stock. Heute laufe ich kurze Strecken auch ohne Hilfe. Im allgemeinen kann
ich nur sagen, dass die Tagesform und wie ich mich fühle, eine sehr große Rolle spielen.
Einmal bin ich irre gut drauf und dann geht alles viel leichter, ein anderes Mal geht es
mir nicht so gut, dann klappt`s auch mit dem Laufen nicht so gut. Anhand der Reaktionen
beim Laufen, weiß ich auch immer im voraus wenn sich eine Erkältung oder eine andere
Krankheit anmeldet. Am schlimmsten sind Situationen mit großem Menschenandrang. Vor
einigen Jahren hatte ich überhaupt keine Chance die Spastik in den Griff zu bekommen,
heute kann ich etwas besser damit umgehen. Eine Besserung habe ich erfahren, nachdem ich
in der Hardtwaldklinik im letzten Jahr an einer Selbstsicherheitsgruppe teilgenommen habe.