Die Veröffentlichung hier im Internet erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch den Verlag Eckardt, Berlin, der diese Texte auch als Supplement zu "Klinik & Forschung" herausgibt.. H. Eckardt Verlag, Großgörschenstr. 5, D-10827 Berlin, Germany. Einweisungspraxis und Krankenhausverweildauer: Wohin geht die Reise?E. Swart, Magdeburg Einleitung Auf den Krankenhaussektor entfallen rd. ein Drittel aller Ausgaben des Gesundheitswesens, derzeit mehr als 90 Milliarden Mark im Jahr. Dennoch ist er durch eine breite Intransparenz charakterisiert. Die amtliche Krankenhausstatistik, die Jahresberichte der gesetzlichen Krankenkassen sowie der jährlich erscheinende Krankenhausreport enthalten nur hochaggregrierte Angaben zu Versicherten, Leistungs- und Verwaltungsausgaben sowie Beiträgen. Auch Daten zur Zahl der Krankenhausfälle und Pflegetage und zu Diagnosen finden sich ausschließlich in sehr verdichteter Form. Allen Veröffentlichungen ist zudem gemeinsam, daß ihre Zahlen zum publizierten Zeitpunkt bereits zwei bis drei Jahre alt ist. Detailliertere Daten zu Einweisungshäufigkeit, Krankheitshäufigkeiten und die Art ihrer medizinischen Versorgung, Determinanten der Verweildauer und anderen Aspekten der stationären Versorgung finden sich in diesen Periodika kaum. Derartige Informationen sind aber unabdingbare Voraussetzung für die Planung und Gestaltung einer leistungsfähigen, morbiditäts- und bedarfsorientierten sowie wirtschaftlichen Krankenhausversorgung. Die Krankenhausplanung auf Landesebene läßt sich dagegen lediglich durch die Extrapolation des Status Quo charakterisieren. Dieses Defizit betrifft auch die geriatrische Versorgung älterer und alter Menschen ab 65 Jahre. Dies ist um so bedauerlicher, als die absehbare Bevölkerungs- und Morbiditätsentwicklung (vgl. den Beitrag von A. Weber in diesem Heft) eine Umkehr des sehr schematischen Planungsansatzes und unbedingt eine deutliche Erhöhung geriatrischer Versorgungsangebote erfordert. Im Krankenhausplan von Sachsenanhalt für 1996 sind jedoch von insgesamt 6.700 internistischen Betten nur 105 für den Schwerpunkt Geriatrie ausgewiesen. Auf welche Daten könnte sich die Krankenhausplanung aber stützen, wenn die genannten Datenquellen für eine Einschätzung der "wahren" Morbidität und der Entwicklung des stationären Versorgungssektors ungeeignet sind. Neben speziellen Surveys zur Morbidität der Bevölkerung und der Inanspruchnahme von Gesundheitseinrichtungen, die zwar aufwendig sind, angesichts der Bedeutung der Problematik aber durchaus angemessen wären, bieten sich die umfangreichen Prozeßdaten der Krankenkassen als Datenquelle an. Material und Methode Zur Untersuchung der Einweisungshäufigkeit und Krankenhausverweildauer bei Versicherten im Rentenalter (65 Jahre und älter) wurden alle in den Jahren 1994 und 1995 abgeschlossenen Krankenhausfälle der AOK Magdeburg der herangezogen. Die AOK Magdeburg (insgesamt 580.000 Versicherte; Stand Mitte 1995) ist die größte gesetzliche Krankenkasse im Bezirk Magdeburg. Etwa die Hälfte der Einwohner im nördlichen Sachsenanhalt ist bei ihr krankenversichert. Die personenbezogenen Prozeßdaten zu jedem einzelnen Krankenhausfall enthalten folgende Angaben: Alter und Geschlecht des Versicherten, sämtliche Diagnosen (ICD 9, dreistellig), behandelndes Krankenhaus, Fachabteilung, Einweisungs- und Entlassungsanlaß sowie Krankenhausverweildauer. Ergebnisse Die Einweisungshäufigkeit bei allen Versicherten der AOK Magdeburg hat von 2.406 Fällen pro 10.000 Versicherte im Jahr 1994 um 7,6 % auf 2.588 Fälle 1995 zugenommen. Gleichzeitig sank die durchschnittliche Krankenhausverweildauer von 13,6 Tage auf 12,8 Tage (ß6,3 %). Die globale Entwicklung bei den älteren Versicherten verläuft parallel: Anstieg der Fallzahl von 3.569 Fällen (1994) um 7,9 % auf 3.852 (1995) bei einer Verringerung der durchschnittlichen Verweildauer von 16,7 auf 15,5 Tage (ß7,5 %). Tab. 1: Krankenhausfälle, Krankenhaustage und durchschnittliche Verweildauer 1995 bei Versicherten im Alter von 65 Jahren und älter
# pro 10.000 Versicherte; Quelle: AOK Magdeburg 1995 *) durchschnittlich in Tagen Das absolute Pflegetagevolumen hat im letzten Jahr bei allen Versicherten um 4,0 %, bei den Versicherten im Rentenalter um 4,8 % abgenommen. Die Einweisungshäufigkeit ist durch eine deutliche regionale Variabilität innerhalb des Einzugsbereichs der AOK Magdeburg gekennzeichnet [2]. Bezüglich aller Versicherter liegt die Zahl der Einweisungen zwischen 2.392 und 3.046 Fällen in den einzelnen Geschäftsstellen, bei den Pflegetagen zwischen 30.674 und 36.253. Bei den Versicherten im Rentenalter ist die Variabilität noch stärker ausgeprägt (Tab. 1). Die stationäre Versorgung älterer Menschen zeichnet sich durch eine Konzentration auf wenige Hauptdiagnosen aus: Lediglich 27 Diagnosen umfassen bereits mehr als 50 % aller Fälle der Versicherten über 64 Jahre. Bei jedem zweiten Patient wurden neben der Hauptdiagnose noch weitere Begleit und / oder Folgeerkrankungen registriert. Beim Blick auf führende Diagnosen fällt die Heterogenität der krankenhausspezifischen Verweildauern auf. Die Spannweite bei Mittelwerten und Medianen ist hoch (Tab. 2) Neben Selektionseffekten zwischen den Krankenhäusern hinsichtlich
Schweregrad und Ausmaß der Komorbidität kommen hier auch Management- (und
Qualitäts?)unterschiede der Krankenhäuser bei der Versorgung älterer Menschen zum
Ausdruck Diskussion Der Krankenhaussektor im Bereich der AOK Magdeburg ist durch eine beträchtliche Dynamik gekennzeichnet, wobei sich die Effekte steigender Einweisungszahlen und sinkender Verweildauern weitgehend kompensieren. Die Ergebnisse lassen gewisse Zweifel an einer gleichmäßigen Krankenhausversorgung älterer Versicherter hinsichtlich Umfang, Bedarfsgerechtigkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit aufkommen. Ursachen für die Heterogenität in regionalen Pflegetagevolumina lassen sich sowohl im ambulanten Sektor, der die Einweisungshäufigkeit maßgeblich bestimmt, als auch im stationären Sektor finden, der den größten Einfluß auf die Krankenhausverweildauer hat. Tab. 2: Krankenhausverweildauern im Jahr 1995 bei häufigen Diagnosen älterer Versicherter (65 Jahre und älter)
AZ= Anhaltszahl, SPMW= Spannweite Mittelwert, SPMD = Spannweite Median; KH # nur Fälle aus Kliniken mit mindestens 25 Fällen im Jahr 1995; Quelle: AOK Magdeburg 1995 Trotz eines gewissen globalen Bettenüberhangs gibt es in ländlichen Gebieten und besonders in der Geriatrie noch Defizite in der stationären Versorgung. Die Analyse von GKV-Prozeßdaten vermag Ansatzpunkte für eine Verbesserung der geriatrischen Versorgung aufzuzeigen. Eine isolierte Betrachtung hierbei allein des stationären Sektors ist jedoch nicht ausreichend, da es strukturelle Abhängigkeiten zwischen ambulantem und stationärem Sektor gibt. Augenmerk verlangt besonders die 1995 gegenüber 1994 deutlich gestiegene Einweisungshäufigkeit älterer Versicherter. Hier ist eine zum Teil komplementäre Versorgungsfunktion der Krankenhäuser in strukturell schwachen Gebieten im nördlichen Sachsenanhalt zu beobachten. Die Analysen sind Teil einer umfassenden Krankenhausfallanalyse [1], die in ein regelmäßiges und systematisches Krankenhausberichtswesen münden soll. Darin sollte der geriatrischen Versorgung ein besonderer Augenmerk gewidmet werden. Insgesamt ist für eine umfassende Bewertung des Krankenhaussektors zu wünschen, daß der ß 301 SGB V, der den Datentransfer zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen regelt, endlich abschließend umgesetzt wird, und daß Daten aus vor- und nachgelagerten Versorgungssektoren hinzugezogen werden können. GKV-Prozeßdaten eignen sich durchaus für eine kleinräumige Analyse des Einweisungsgeschehens und der Krankenhausverweildauer. Über diese Transparenz und ein Feedback der Daten an die Krankenhäuser kann und sollte ein besserer fachlicher Austausch der Krankenhäuser untereinander und je nach Fragestellung unter Einbeziehung von Leistungserbringern anderer Sektoren und der Kostenträger mit dem Ziel einer besseren stationären Versorgung angestrebt werden. Derartige empirische Daten können helfen, die Krankenhausplanung stärker am medizinischen Bedarf und an der "wahren" Morbidität der Zielbevölkerung auszurichten. An die geriatrische Versorgung älterer und alter Menschen knüpfen sich auf Basis dieser Ergebnisse eine Reihe von Fragen, für die bislang eine befriedigende Antwort noch aussteht, z.B:
Literatur [1] Robra BP, Böhlert I, Dembski U et al (1996): Krankenhausfallanalyse - Die stationäre Versorgung von Versicherten der AOK Magdeburg. St. Augustin: AsgardVerlag [2] Swart E, Böhlert I, Jakobs P at al. (1996): Analyse regionaler Unterschiede der Krankenhaushäufigkeit und Berechnungstagevolumina. Das Gesundheitswesen 58: 1015 Autor Dr. Enno Swart, Institut für Sozialmedizin, Otto-von-Guericke-Universität, Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg
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