Dokumentation: Qualitätssicherung in der MedizinBücher zum Thema aussuchenBücher zum Thema aussuchen

Die Veröffentlichung hier im Internet erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch den Verlag Eckardt, Berlin, der diese Texte auch als Supplement zu "Klinik & Forschung" herausgibt.. H. Eckardt Verlag, Grossgörschenstr. 5, D-10827 Berlin, Germany.

Die Situation des Qualitätsmanagements in deutschen Krankenhäusern

J. A. Bijkerk, Herdecke

1 Die historisch gewachsenen Strukturen im Gesundheitswesen erfordern eine "Übersetzung" industrieller Qualitätsmanagementmethoden.

Anders als in der Industrie ist die Frage nach Qualitätsmanagement nicht die Folge einer Entwicklung im Markt, sondern eine vom Gesetzgeber festgelegte Anforderung. Diese wurde 1989 im SGB V mit dem §137 zur Qualitätssicherung in stationären Einrichtungen verankert. In der Praxis fehlte jedoch der inhaltliche Antrieb, diese in der einen oder anderen Form umzusetzen. Dieses Motiv war erst mit der Einführung der neuen Bundespflegesatzverordnung gegeben, als Fallpauschalen, Sonderentgelte und Abteilungspflegesätze konkret wurden: Die Qualitätswelle begann erst Mitte 1994.

Bei den bis dahin im Gesundheitswesen praktizierten Formen der Qualitätssicherung hat die Frage der Effektivität im Mittelpunkt gestanden. Effektivität ist hier im Grunde die Frage des professionellen, adäquaten Handelns und basiert auf berufsethischen Überlegungen; sie erinnert damit an die präindustriellen Qualitätsnormen der Zünfte. Fachverbände, Prüfungskommissionen, Fort- und Weiterbildung, sie alle richteten das Hauptaugenmerk primär auf das Handeln des Professionelles [1]. Hierbei war die Frage nach der Finanzierbarkeit bislang im Wesentlichen sekundär. Auch in den heute noch gültigen Krankenhausstrukturen finden wir eine Orientierung an den einzelnen Professionen und nur sekundär an den übergreifenden Geschäftsprozessen.

Die Bestrebungen, insbesondere von Seiten des Gesetzgebers und den Kostenträgern externe Qualitätskontrollen (z.B. bei Fallpauschalen und Sonderentgelte) einzuführen, haben einen grundsätzlich anderen Ausgangspunkt als die professionellethischen Überlegungen der unmittelbar Betroffenen. Sie stimulieren Ablehnung gegenüber von sachfremden Experten definierten Qualitätsbestrebungen, die meistens zwangsläufig als Fremdbestimmung erlebt werden. Der Begriff "Qualität" erfährt so eine Diskreditieren.

Die Betonung der Kontrolle und das ihr gegenüber empfundene Mißtrauen verzögern die Einführung von wirklich effektiven, und auf Effizienzverbesserung ausgerichteten Qualitätsbestrebungen. Abgesehen von der Aufgabe, ein Bewußtsein für die abteilungsübergreifenden Prozesse zu wecken, muß den Professionals gegenüber nicht selten auch der mit Qualitätsmanagement verbundene Begriff der "Kontinuierlichen Verbesserung " ins rechte Licht gerückt werden.

Externe Kontrollen konzentrieren sich hauptsächlich auf das Handeln der Professionals. Sie haben damit die Tendenz bestehende Strukturen und deren Ineffizienz zu verstärken. Bei der Umsetzung von Qualitätsmanagementsystemen wie TQM, UQM und KVP, die sich in der Industrie bewährt haben, müssen diese Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Unüberlegte Umsetzungsversuche können zu großen innerbetrieblichen Widerständen und Problemen führen. Kleine Schritte sind hier die sicherste Methode, ohne zu stolpern voranzukommen.

2 Im Krankenhaus ist, wie in allen professionellen Organisationen, eher von einer Anspruchshierarchie als einer Verantwortungshierarchie die Rede.

Wegen der Strukturen ist die Koordination im Krankenhaus ein grundsätzliches Problem. In der Industrie gibt es zwar auch Koordinationsprobleme zwischen Abteilungen, doch durch die Organisationsform mit einer deutlichen Verantwortungshierarchie werden diese meistens mittels eines gemeinsamen Vorgesetzten ausgeglichen.

Aufgrund professioneller Orientierung fehlt im Krankenhaus eine deutliche und einheitliche Verantwortungshierararchie. Die Endverantwortung ist so in letzter Instanz in der Krankenhausleitung angesiedelt und wird von Personen herbeigeführt, die in diese Leitungsposition berufen wurden, um (laut Gesetz) die Interessen der eigenen Berufsgruppe zu vertreten. Damit basiert die Hierarchie im Gesundheitswesen eher auf Macht und Ansehen als auf der Endverantwortung für bestimmte integrierte Prozeßvorgänge. Man könnte deshalb im Gegensatz zu einer Verantwortungshierarchie von einer Anspruchshierarchie sprechen.

Um Mißverständnisse zu vermeiden:

Sicher übernehmen Pflegedienstleitung, Verwaltung, Chefärzte und andere Verantwortung. Diese beschränkt sich jedoch auf die Aktivitäten der eigenen Berufsgruppe und beinhaltet nicht die Endverantwortung für den Gesamtprozeß. Dadurch werden Koordinationsprobleme häufig überhaupt nicht registriert, geschweige denn behoben. Im Prozeßverlauf werden damit zuweilen jene Schnittstellen zu Bruchstellen, wo professionelles, qualitätsorientiertes Handeln zu Enttäuschungen führt.

3 Beispiele

  • Die Verfügbarkeit von Betten auf einer von der Anästhesie geleiteten Intensivabteilung beeinträchtigt die OP-Planung am OP-Tag selbst. Wie kommt aber eine zuverlässige Bettenplanung zustande, wenn zwar im Durchschnitt jeden Tag eine Notaufnahme erfolgt, es aber auch passiert, das über mehrere Tage keine Notaufnahme erfolgt? Kurzfristige Interessen stehen hier im Widerspruch zur übergeordneten, rationalen Überlegung.
  • Der Sozialdienst wird erst informiert, nachdem klar ist, daß ein Patient entlassen werden kann. Die Entlassung erfolgt somit verspätet unter Zeitdruck und wird suboptimal vorbereitet. Psychiater, Therapeuten, Pflege und Sozialdienst streiten sich, wer für die daraus resultierende verlängerte Verweildauer verantwortlich ist. Die Kassen beklagen die "Drehtür Psychiatrie".

4 In professionellen Organisationen klafft eine Lücke zwischen der Verantwortung für das professionelle Handeln und Prozeßverantwortung.

Wir haben im Krankenhaus Schwierigkeiten, den "Owner of the Problem" oder auf deutsch: den Prozeßverantwortlichen zu definieren. Nicht zuletzt spielen hier berufs- und standesrechtliche Fragen eine zentrale Rolle. Dies soll kein Plädoyer für die neue Funktion eines Abteilungsmanagers sein: Hierdurch würde der Bedeutung der professionellen Orientierung von Pflege und Ärzte nicht Rechnung getragen und vermutlich ein neuer Kriegsschauplatz eröffnet. Weil es letztendlich um die Koordination geht, ist es denkbar, für bestimmte Aufgaben ein oder zwei Koordinatoren zu benennen, die für diese Aufgabe unter Umständen teilweise freigestellt sind. Dabei ist die Frage, welche Art von Koordination gebraucht wird.

Aufgrund von Dominanz im Bereich industrieller Organisationstheorien ist Koordination durch einen gemeinsamen Vorgesetzten zu einer Art Axiom geworden. Es gibt jedoch eine Reihe weiterer Koordinationsmethoden, die wir unbewußt nutzen. Setzen wir diese Methoden bewußt ein, ist es sehr wohl möglich, ohne gemeinsamen "Chef" zu koordinieren sowie zielstrebig, effektiv und effizient zu arbeiten.

5 Koordination stellt Kernprozesse in den Vordergrund

Zur Lösung von Koordinationsproblemen stehen uns eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung [2].

  • Gegenseitige Abstimmung - die einfachste und privat am meisten benutzte Methode, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Auch im Gesundheitswesen greifen wir gern darauf zurück.
  • Durch einen Vorgesetzten (wie oben beschrieben).
  • Durch Standardisierung der Abläufe, z. B. Tagesabläufe, Notfallprozeduren, tägliche, wöchentliche oder quartalsweise Besprechungen.
  • Durch Festlegung der gewünschten Ergebnisse, Röntgenbilder, Laborbefunde, Dokumentation. Alle sind nur dann effizient nutzbar, wenn die Ergebnisse in sich immer konsistent sind.
  • Durch gleiche Normen und Fertigkeiten. Dies dürfte im Gesundheitswesen die meist genutzte Form der Koordination sein. Fachausbildung, Berufserfahrung, Fort- und Weiterbildung: Dies alles dient dazu, mit einem Minimum an Weisung durch den Vorgesetzten das gewünschte professionelle Resultat zu erzielen.

Was alle Methoden, mit Ausnahme der Koordination durch einen Vorgesetzten, gemeinsam haben, ist, daß sie nur effektiv sind, wenn die Kernprozesse deutlich und klar umrissen sind. Hierbei sind unter Kernprozessen alle Abläufe rund um die Patientenbehandlung zu verstehen. Sind diese Prozesse unklar, dann wirken alle diese Methoden kontraproduktiv, angefangen bei unnötigem Bürokratismus bis hin zu sozial desintegrierenden Vorgänge im Sinne von Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Berufsgruppen. Ist aber der Prozeßablauf klar, dann ist auch die Wahl der Koordinationsmethode klar [3].

6 Externe Qualitätskontrolle auf ein Minimum reduzieren - Freiwillige Beteiligung an Qualitätsvergleichen und Veröffentlichung der Ergebnisse stimulieren

Es ist erforderlich, zu vermitteln, daß Qualitätsmanagement gerade eine Hilfe, wenn nicht sogar die Vorbedingung dafür ist, professionelles Handeln zu seiner vollen Entfaltung kommen zu lassen.

Die Methoden des Qualitätsmanagements bieten gute Ansatzpunkte, einen solchen Prozeß zu unterstützen. Vorbedingung ist jedoch, daß die Unternehmensleitung eine entsprechende Unternehmensphilosophie entwickelt. Danach ist die Frage zu erörtern, wo und mit welchem Projekt erste Erfahrungen gesammelt werden sollen. Obgleich ein solcher Prozeß mehrere Jahre in Anspruch nimmt, ist es der beste Weg, die Anerkennung von Patienten, niedergelassen Ärzten und Kostenträger zu erwerben. Das ist die einzig wirkliche Sicherung der Existenz, auch in unsicheren Zeiten.

Literatur
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[1], [2] Henry Mintzberg, Mintzberg über Management, Kapitel 10, Die Professionelle Organisation; Gabler Verlag

[3] Hierin liegt der Vorteil von DIN­ISO 9000. Nur führt die Beschreibung der Prozeßabläufe und das Festlegen von Verantwortungsbereiche an sich noch nicht zu eine Qualitätsverbesserung. Diese muß auch dann noch durch ein Überarbeiten der Verantwortungs­ und Koordinationsstruktur erarbeitet werden.

Autor:

MHA Jacob. A. Bijkerk, BMC, Augustastraße 14-16, 58313 Herdecke

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