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1250 Interview mit Dr. Hans Jürgen Ahrens, Vorsitzender des Bundesvorstands der AOK
1250 Interview mit Dr. Hans Jürgen Ahrens, Vorsitzender des Bundesvorstands der AOK

Frage: Herr Dr. Ahrens, im BIRKENBLATT Nr. 9 attackieren Eckard Arens und Weinfried Gutmann vom Caritasverband Wuppertal die Krankenkassen heftig: Die derzeitige Vergütungspolitik, so die beiden Autoren, laufe “den hohen Anforderungen an eine qualitativ gute und sichere Pflege völlig zuwider”. Und weiter: ”Die ambulanten Pflegedienste erfahren in den letzten Monaten die Vergütungspolitik der Kranken- und Pflegekassen hauptsächlich durch eine ständige Senkung der Gebührensätze”. Sind die Vergütungsvereinbarungen ihrer Ansicht nach noch fair im Sinne einer guten Pflegequalität?

Dr. Ahrens: Die AOK hat sich in den letzten Jahren verstärkt dafür eingesetzt - und dies mit Erfolg - daß Qualitätsanforderungen für die Erbringung von Pflegeleistungen in den Verträgen mit den Pflegediensten verankert wurden. Zur Zeit werden auf Bundesebene Verhandlungen zwischen den Krankenkassen und den Pflegeverbänden geführt, mit dem Ziel, auch für die häusliche Krankenpflege einheitliche Qualitätsmaßstäbe und eine einheitliche, aus medizinisch-pflegerischer Sicht sinnvolle Beschreibung der Leistungen zu vereinbaren. Den Kassen geht es nicht darum, wie in dem Artikel behauptet wird, “ihre gesetzlich vorgeschriebenen Krankenkassenleistungen zu reduzieren” oder Leistungen auszugrenzen, sondern darum, daß der Versicherte die im Einzelfall erforderliche und fachlich kompetente Pflege zu wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen erhält. über die Umsetzung des im Gesetz enthaltenen Wirtschaftlichkeitsgebots bestehen jedoch zwischen den Pflegediensten und den Kassen nicht selten unterschiedliche Auffassungen. In den Verhandlungen haben als gleichberechtigte Partner die Pflegedienste und die Kassen die unter Umständen schwierige Aufgabe, für beide Seiten einen akzeptablen Kompromiß auszuhandeln und damit einen Vertragsabschluß zu erzielen. Für die Kassen ist entscheidend, daß die vertraglichen Regelungen einerseits eine gute Versorgung ihrer Versicherten gewährleisten und andererseits aber auch die Kosten in Grenzen halten, um eine nicht vertretbare weitere Belastung ihrer Beitragszahler - und damit der Solidargemeinschaft - zu vermeiden. Vergütungsverhandlungen sind mit dem Ziel zu führen, leistungsgerechte Preise zu vereinbaren und nicht primär das Einkommen der Pflegedienste zu sichern.

Frage: Die Autoren bemängeln weiterhin, daß auch kleinste und intimste Pflegetätigkeiten seit dem vorigen Jahr wie mit der Stoppuhr gemessen vorgenommen werden müssen, um die Zeitvorgaben einhalten zu können. Ist das Modulsystem der Pflegekassen tatsächlich das optimale Abrechnungssystem?

Dr. Ahrens: Ich freue mich, daß ich mit dieser Frage Gelegenheit habe, auf eine leider weit verbreitete Fehlinterpretation des Modulsystems antworten zu können. Die Autoren in dem o. g. Artikel gehen nämlich auch noch einen Schritt weiter und stellen einen Gegensatz zwischen ganzheitlicher Pflege und dem Modulsystem her. Wir haben im Gegenteil mit dem Modulsystem das Leistungsspektrum der Pflegeversicherung so zusammengefaßt wie die Leistungen im Pflegeprozeß im Sinne einer ganzheitlichen Pflege sinnvollerweise zusammen erbracht werden. Die nicht selten unter finanziellen Aspekten geforderte Aufteilung in Einzelleistungen wird aus unserer Sicht der Situation der Pflegebedürftigen nicht gerecht. So erhält beispielsweise das Modul “Morgentoilette” die Leistungen, die normalerweise im Zusammenhang mit der morgendlichen Körperpflege erforderlich sind, also nicht nur das Waschen und Zähneputzen, sondern auch das Kämmen/ Rasieren und das Anziehen. Die Leistungen, die zu einem Modul gehören, sind im einzelnen beschrieben. Dies ist aus unserer Sicht deshalb wichtig, weil damit das Leistungsspektrum deutlich wird und der Pflegebedürftige entscheiden kann, welche Leistungen der Pflegedienst für ihn erbringen soll und welche die Familie oder die Nachbarin für ihn übernimmt. Ziel dieses Systems ist somit, einerseits dem Versicherten die Wahl der Leistung zu eröffnen, andererseits aber auch Transparenz zu schaffen über das, was die Pflegedienste erbringen und dann mit der Pflegekasse abrechnen.

Frage: Die Gesamtbedürftigkeit des kranken Menschen wird bei der Pflegeversicherung bedingt durch das Modulsystem, nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Könnte es nicht sein, daß dadurch der kranke Mensch häufiger in stationäre Einrichtungen eingewiesen werden muß (sogenannter “Drehtüreffekt”)?

Dr. Ahrens: Das Modulsystem beinhaltet das mit dem Pflege-Versicherungsgesetz gesetzlich festgeschriebene Leistungsspektrum. Sicherlich ist es wichtig, wie die Autoren in ihrem Bericht schreiben, “etwas mehr Zeit für ein Gespräch” zu haben und “sich um kleine Alltagsprobleme kümmern zu können”, beispielsweise dem Pflegebedürftigen auch beim Briefeschreiben behilflich zu sein. Diese Leistung sieht das Pflege-Versicherungsgesetz allerdings nicht vor und es ist fraglich, ob solche Leistungen durch eine solidarisch finanzierte Sozialversicherung getragen werden könnten. Die Pflegeversicherung ist keine Vollkaskoversicherung. Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen das soziale Umfeld entlasten, können es aber keineswegs ersetzen.

Frage: In den nächsten Jahren wird es noch einmal eine “Milliardenspritze” des AOK-Bundesverbandes an die Berliner AOK geben. Wie lange noch könnte die Berliner AOK bezuschußt werden? Kann Berlin überhaupt in absehbarer Zukunft ohne Zuschüsse auskommen?

Dr. Ahrens: Die gesetzlichen Krankenkassen haben jetzt mit dem Berliner Senat eine Vereinbarung getroffen, mit der die Gesundheitsversorgung in Berlin wirtschaftlicher gestaltet werden soll. Gemeinsam mit dem Senat arbeiten alle gesetzlichen Krankenkassen jetzt an der Umsetzung dieser Vereinbarung, die vor allem im Krankenhausbereich Effizienz bringen soll. Durch diese Reformen soll die medizinische Versorgung in Berlin an die Strukturen vergleichbarer deutscher Großstädte angeglichen werden. Wenn diese Maßnahmen gelingen, dann wird Berlin mittelfristig auch ohne Unterstützung aus ganz Deutschland angemessene Beitragssätze für ausgezeichnete Gesundheitsversorgung bieten können.

Text: Werner Jahnke und Volker Hütte

Das Interview wurde in der Berliner Zeitschrift "Birkenblatt Nr.10" publiziert.

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