30-Kultur 3071 Krankenhausserien: The Making of
"Alphateam"
Von Fiktion und Realität in der Notaufnahme
Nichts deutet darauf hin, daß sich hinter den grauen Mauern des Hamburger Studios A3
eine voll funktionstüchtige Notarztaufnahmestation befindet: Außerdem steht ein
Notarztwagen ständig vor der Tür. Den Vergleich mit einer echten Notaufnahme muß die
SAT.1-"Hansaklinik" nicht scheuen: Den 15 Hauptdarstellern als
"Alphateam" stehen u.a. zwei OP-Säle, ein Schockraum, zwei Behandlungszimmer,
ein Röntgenraum und eine weitläufige Wartezone mit Rezeption zur Verfügung.
In der "Hansaklinik" stehen neben zwei Röntgengeräten auch 4 EKG¥s, 3
Narkoseeinheiten, 2 Ultraschallgeräte, eine komplette Laborausstattung, Defribrilatoren
sowie eine nagelneue Dialyseeinheit. Pro Folge wird das "Alphateam" mit ca. 6
Filmpatienten konfrontiert, viele von ihnen sind schwer verletzt und müssen operiert
werden.
Um Verletzungen und Operationen so lebensnah und detailgetreu wie möglich darstellen
zu können, braucht der Chef-Maskenbildner Peter Guttenberg nicht nur jede Menge Filmblut
(in 6 Monaten bis zu 40 Liter), sondern vor allem die Haut und Innereien von Schweinen -
beides eignet sich besser als Plastik für die Darstellung von Operationen. Darüberhinaus
stehen ihm Spezialanfertigungen wie Dummybabies oder Dummy-Schädeldecken zur Verfügung.
Für einen reibungslosen Ablauf mit rund 800 Episodendarstellern bis zur 52.Folge sorgt
ein Team aus 75 festen Mitarbeitern sowie ein spezielles Software-Programm. Wir haben uns
mit dem Produzenten Helmut Wietz unterhalten.
+ Herr Wietz, Krankenhausserien liegen voll im Trend. Halten Deutschlands
TV-Produzenten den Zuschauer für völlig krank?
* Die Leute wollen Geschichten sehen und hören. Wenn diese gut erzählt sind, liegen
wir voll im Trend, unabhängig davon, ob es sich um eine Krankenhausserie handelt. Da wir
heute ein sehr attraktionistisches Fernsehen haben, interessiert den Zuschauer eigentlich
nur das Gesprächsthema zwischen den Leuten im Film. Fernsehen ist keine Produktion,
sondern eine Reproduktion für Gefühle und Gedanken. Damit ist ein riesiges Spektrum
gegeben, von trivial bis zur Hochkultur, aber jede Erzählform ist auch legitim.
+ Für das Layout von "Alphateam" stand die US-amerikanische
Krankenhaus-Serie "Emergency-Room" Pate. Michael Chrichton und Steven Spielberg,
die Organisatoren dieser Doktorspiele (Süddeutsche Zeitung vom 8.11.1995), führen in
einem enormen Tempo Patientenschicksale auf und verbuchten prompt Rekord-Einschaltquoten
(rund 30 Millionen jede Woche in den Staaten). Doch in den USA ist bekanntlich alles
anders, so mußte dort auch die in Deutschland erfolgreiche "Schwarzwaldklinik"
floppen...
Welches Motto gilt bei Ihnen - deutsche Gründlichkeit oder lieber American Action oder
beides gepaart? ziehen die deutschen Zuschauer mit?
* In den USA ist ein ganz anderer Markt vorhanden: Der deutsche Markt für das
Fernsehen ist viel kleiner als der im englischsprachigen Raum, die finanziellen
Möglichkeiten sind demnach in Deutschland auch beschränkt. In den USA wird mit ganz
anderen Etats gearbeitet, nicht vergleichbar mit unseren Mitteln. Während bei uns 3 bis 4
"Fälle" pro Folge abgedreht werden, sind es bei "Emergency-Room" 10
bis 12 pro Folge. Weiterhin sind in den Staaten pro Folge 9 Drehtage angesetzt, wir
müssen unsere Folge nach 5 Tagen im Kasten haben. Außerdem spielen bei unseren
Produktionen die zwischenmenschlichen Beziehungen eine größere Rolle als bei den
amerikanischen Produktionen.
+ In Zeiten, wo im Kampf um Einschaltquoten Fernsehkanäle zu Fernsehkanülen geraten,
besteht insbesondere bei den "daily soaps" die Gefahr, Quantität statt
Qualität zu produzieren. Steht auch "Alphateam" unter Kostendruck, wo ja
parallel in zwei Studios abgedreht wird?
* Alphateam ist ja eine "weekly" wie z.B. die "Lindenstraße". Das
ist auch in finanzieller Hinsicht ein Unterschied zu den "daily soaps". Damit
werden die Fälle intensiver behandelt, die medizinische Glaubwürdigkeit steht im
Kompromiß mit dramaturgischen Erfordernissen im Vordergrund.
+ Getreu der Reform im Gesundheitswesen und der einhergehenden Modernisierung des
Gesundheitsbetriebes kann der Zuschauer beispielsweise in "OP ruft Dr.Bruckner"
immer wieder das Logo "Medical Center" als Erkennungszeichen entdecken. Die
"Hansaklinik de luxe" präsentiert sich dagegen in den Studiobauten in modernen,
freundlichen Farben statt kaltem Chrom und rostfreiem Stahl, gemäß dem geforderten Trend
nach humaneren Krankenhäusern. Welche Rolle spielt für die Serie "Alphateam"
das Corporate Design, kann die Innenausstattung der Hansaklinik Modell stehen für
Reality-Krankenhäuser?
* Der Designer hat bei uns auf bunt gesetzt, um den Wiedererkennungswert für den
Zuschauer zu garantieren.
+ Einige Krankenhaus-TV-Produktionen werden in ehemaligen Krankenhäusern durchgeführt
(z.B im ehemaligen Militärhospital in Berlin-Spandau), Alphateam dagegen ist eine reine
Studioproduktion, allerdings bislang auch die aufwendigste. Fehlt da trotz der
professionellen Studiobauten von Production-Designer Toni Lüdi (Szenenbild unter anderem
für "Lindenstraße", "Der Zauberberg"; "Der Totmacher")
nicht der typische Krankenhaus-Geruch für die nötige Authentizität?
"Das ist wiederum eine Kostenfrage: Für "Emergency Room" wurden
gebrauchte Krankenhauseinrichtungen erworben und im Studio eingebaut. Bei uns wäre ohne
die zahlreiche Sponsorenleistung die medizintechnische Ausstattung von
"Alphateam" nicht möglich gewesen.
+ "Alphateam" hat zur Versorgung der Filmpatienten allein medizintechnische
Geräte im Wert von 3,5 Millionen Mark zu stehen, alles gesponsort. Dabei wurden teilweise
gebrauchte Bestände verwendet, damit der Set nicht zu "clean" wirkt.
Doktern die Ärzte aber nicht trotzdem an der Realität vorbei, z.B. unter Wegnahme der
für Fernsehansprüche zu unattraktiven typischen Routinearbeiten oder emotional
belastenden Aspekte, etwa die Begleitung sterbender Patienten?
* Bei uns werden nicht nur Ausnahmesituationen dargestellt; da "Alphateam"
aber eine reine Notaufnahme ist, besteht die Gefahr, daß uns der Stoff für die Fälle
ausgeht. Dennoch sind wir bemüht, vor allem medizinische Glaubwürdigkeit zu
transportieren und innerhalb von 45 Minuten zu erzählen. Uns steht im Rahmen der
medizinischen Beratung eine OP-Schwester sowie ein Arzt zur ständigen Beratung zur
Verfügung; außerdem hat der Autor einen separaten medizinischen Berater. Wenn aus
filmischen Gründen ein Tempowechsel erfolgt oder Abläufe verkürzt werden müssen, sind
einige Szenen allerdings medizinisch weniger korrekt.
Dennoch muß es so echt wie möglich aussehen; was noch lange nicht heißt, daß wir
auch hier einer Schwangeren einer "echten" Sonografie unterziehen - das ist und
bleibt Sache der echten Ärzte.
+ Die Chirurgie gilt als Königsdisziplin - auch bei "Alphateam?
* Viele dargestellte Behandlungsarten gehören eigentlich nicht in eine Notaufnahme;
wir haben z.B. thematisch zuviel Kopf-OP dabei, aber unsere Ärzte müssen eben ein
bißchen Helden sein. Das Spektrum in der Notaufnahme ist relativ eingeschränkt, hier
steht aber eher das menschliche Drama im Vordergrund. Wenn es inhaltlich gar nicht mehr
stimmt, dann erfolgt die Überweisung ins imaginäre Haupthaus.
+ In der Komparserie werden für Krankenhausserien wie z.B. "auf alle Fälle
Stefanie" teilweise gezielt Op-Schwester ausgesucht und eingesetzt, damit spezielle
Einstellungen wie Handgriffe und Wortwechsel professioneller klingen. Wie gut sind die
Alphateam-Protagonisten auf Ihre Rollen als medizinisches Personal vorbereitet worden?
* Wir haben beispielsweise auch eine Ärztin dauerhaft als Komparsin, die bei uns
verhältnismäßig mehr verdient als AiP. Bei den Protagonisten gab es trotz Schulung von
Ethicon anfangs Schwierigkeiten, z.B. wenn Spritzen falsch gesetzt wurden. Eine
einigermaßene Glaubwürdigkeit ist wichtig für die Dramaturgie.
Allerdings gibt es einige talentierte Schauspieler, die können den richtigen
"Schnitt" sofort. Wenn nicht, dann sind Kaschierungen erforderlich per Schnitt.
+ Eine Frage an die medizinische Beratung von "Alphateam": Wie gut verträgt
man die Kluft zwischen fachlichem Anspruch und filmkünstlerischen Anforderungen? Gibt es
manchmal Trouble in der Regie?
* Zum Beispiel der Mundschutz, im OP ja zwingend, war ein Problem: Man erkennt ja die
Leute nicht mehr.
+ Könnten Sie sich vorstellen, mit dem Alphateam im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit
eines "echten" Krankenhauses an einer Life-Veranstaltung mitzuwirken -
Schauspieler als Profis mit dem nötigem dramaturgischen Know how, die im Teamwork dem
Laien das Geschehen im OP so realistisch wie möglich nahebringen und so wirklich einen
Blick hinter die Kulissen gewähren...
Da müßte man die einzelnen Schauspieler mal befragen. Unser Maskenbildner Peter
Guttenberg präpariert beispielsweise für ärztliche Lehrfilme, so geschehen für die
endoskopische Chirurgie.
+ Alphateam - ein Weg, um den potentiellen Patienten die Angst vor kalter
Medizintechnik und gestreßten Ärzten zu nehmen?
* Von meiner Seite schlecht zu beurteilen: In dem Augenblick, wo man selbst betroffen
ist, sieht man die ganze Sache natürlich ganz anders.
+ Vielen Dank für die freundliche Auskunft.
Zitierweise dieses Beitrages:
Redaktionsdienst gesundheit-online
Text: Das Interview führte Andreas Frädrich im August 1997
(Hinweis: Textumfang 4 DIN A4-Seiten)
Bild 3071a: Alphateam - das OP-Team im Einsatz
Bild 3071b: Die Wartezone der "Hansaklinik" mit Blick zum Altbau
Bild 3071c: Ein Verbrennungsopfer mit "schwersten Verbrennungen" aus der Hand
des Chefmaskenbildners Peter Guttenberg
Bild 3071d: Durchblick vom Waschraum zum OP der "Hansaklinik
Bild 3071e: Sendetermin vom 31.07.97, "Spritztour"; Anna (Tokessa
Möller-Martinius, liegend) ist von ihren beiden Freunden Tom und Kalle in die Notaufnahme
gebracht worden. Beim Röntgen stellt Dr.Pacek (Moritz Lindbergh, M.) fest, daß sie neben
einer verletzten Achilles-Sehne eine Wirbelfraktur hat. Außerdem leidet sie unter einem
Schleudertrauma. Als ihre Mutter (Hildegard Hötte, l.) eintrifft, versucht Oberpfleger
Brennecke (Uwe Karpa, l.) gerade, das Mädchen zu beruhigen.
Bild 3071f: Sendetermin vom 7.08.97, "Vollgas"; Der 23jährige Mike (Kerem
Demirörs, v.) wird nach einem Motorradunfall in die Notaufnahme gebracht. Notärztin
Dr.Dehning (Nicole Boguth, r.) informiert Dr.Pacek (Moritz Lindbergh, l.) über alles
wesentliche.
Bild 3071g: Sendetermin vom 5.06.1997, "Herzversagen"; Chefarzt Dr.Schirmer
(Franz-Hermann Hanfstingl, M.) lernt die Notaufnahme aus Patientensicht kennen, als er
nach einem schweren Herzinfarkt eingeliefert wird. Dr. Carstens (Oliver Hermann, r.),
Oberschwester Marion (Simone Ritscher-Krüger), 2.v.r.), Dr. Schaller (Karen Böhne,
2.v.l.), Gisela (Marlies Engel, 3.v.l.) und Dr. Scheu (Hermann Toelke, l.) kümmern sich
um ihren Chef.
Bild 3071h: Alphateam - die Lebensretter im OP: Dr.Elke Gassner (Heike Schroetter, M.)
die neue Chefärztin der Notaufnahm,e und Dr. Pacek (Moritz Lindbergh, l.) sowie
Dr.Carstens (Oliver Hermann, r.).
Bild 3071i: Sendetermin vom 9.10.1997, "Workaholic"; Sylvia Schäfer (Renate
Rysopp, l.) hat beim Squaredance von ihrem Mann ein Messer in den Oberschenkel bekommen:
Sie wollten Messerwerfen vorführen. Dr.Maibach (Mila Mladek, M.) und Yasmin (Ilknur
Boyraz, r.) leiten die Behandlung ein.
Bild 3071j: Sendetermin vom 21.08.1997, "Ecstasy"; Dr. Franz Pacek (Moritz
Lindbergh, M.) versucht sein bestes um die Hand des Cellisten zu retten.
Schwesternschülerin Katja (Ciara Schoras, l.) und OP-Schwester Barbara (Keta Burowa, r.)
assistieren.
Zitierweise sämtlicher Bilder: