30-Kultur
3080 Als Woltersdorf noch Hollywood war
3080b Vom Werdegang einer Ausstellung
Harry Piel sitzt am Nil und wäscht seine Glatze mit Persil
Was liegt näher, als das sich ein Bestattungunternehmer als Schriftsteller mit
vergangenen Zeiten beschäftigt? Ein- und Ausgraben ist seine Berufung, und so hat Gerald
Ramm, geborener Woltersdorfer, bereits 7 Bücher verfaßt. Seit vielen Jahren betreibt der
Ingenieur der Elektrotechnik Heimatforschung auf frühgeschichtlichen Gebiet, publiziert
aber auch mal über jüngere geschichtliche Thematiken und wird auch augenblicklich vom
Munitionsbergungsdienst mit der Identifizierung von Weltkriegsopfern beauftragt.
"Der Stoff aus dem die Träume sind - der Stoff, die Nitrozellulose: Aus ihm
stellte man den Rohfilm her und die Bomben des 1.Weltkrieges", drängte es Ramm so im
Vorwort zu seinem Buch und wußte: "Die Devise der Artillerie ist auch die der
Filmleute gewesen: Was beleuchtet ist, ist entdeckt. Gerade erst waren die Rauchschwaden
der letzten Schlachten verzogen, noch waren längst nicht alle Vermißten und Gefallenen
gezählt, noch nicht die Kriegsgefangenen in die Heimat zurückgekehrt, da zog schon ein
ganz anderer, ziviler Hauch in das Markendorf Woltersdorf Schleuse am östlichen Rande der
Reichshauptstadt - der Film."
Die Gemeinde Woltersdorf erlebte in den 10er und 20er Jahren eine stürmische Zeit, die
heute allgemein mit dem Wort "Boom" umschrieben wird. Idyllisch inmitten von
Wasser, Wald und Kalksteinbrüchen gelegen, war Woltersdorf ohnehin schon beliebtes
Ausflugsziel der Berliner Großstädter gewesen. Außer per pedes oder per Schiff oder
Kahn (berühmt waren auch die Ausflugslokale an der Woltersdorfer Schleuse) konnte man die
Gemeinde ab 1913 auch mit der neuerrichteten Straßenbahn ab Rahnsdorf erreichen. Das
Kurhaus Woltersdorf bot neben erholsamer Ruhe und weitläufigen Spaziernmöglichkeiten
auch eine beachtliche medizinisch-therapeutische Behandlung.
Die Beschaulichkeit aber wich 1919 dem Trubel. In den märkischen Sand ließ der
Regisseur und Produzent Joe May eine künstliche Filmstadt stampfen: In Woltersdorf
entstand eine gewaltige Kulissenstadt, knapp 30 Fußballfelder groß, die damals
prächtigste in Europa. Hier wurden über 50 Filme gedreht, darunter so berühmte wie der
"Der Tiger von Eschnapur".
Unvergessen und fest verbunden mit dem Namen May-Filmstadt in Woltersdorf bleibt der
Film "Das Indische Grabmal", der vom fast vergessenen Filmpionier Joe May
(geb.1880 in Wien, +1954 in Hollywood) mit einer gigantischen Kulissenstadt inszeniert
wurde. Heute entdecken nur noch Insider die Spuren von einst, zerstört wurden im
2.Weltkrieg und in während der DDR-Zeit fast vollständig sämtliche Kulissenbauten.
Was ist übriggeblieben, kann der unbedarfte Spaziergänger noch hoffen, auf
"antike" Säulenreste, einen Riesenbuddha oder gar Tempelbauten zu stoßen?
Was ist mit dem Elefantenschuppen, dieser schon längst abgerissen, aber kann der
posthistorische Katastrophentourist noch die Fußabdrücke der schweren Bewohner abtasten,
die sich einst im frischen Estrich verewigten?
Keine Reste von verschnörkelten Vasen in den Vorgärten, keine Säulenstückchen oder
marmorne Bodenfliese dient auch bei Gerald Ramm als Briefbeschwerer, vielleicht aber
schlummert in irgendeinem gutgemeinten Betonfundament noch ein halbes Dutzend Säulen...
Die Regisseure Harry Piel und Joe May drehten bis 1932, als May als
"Nichtarier" ins amerikanische Exil gehen mußte, zahlreiche Abenteuer- und
Sensationsfilme mit gepfefferten Skandalen und Skandälchen und erreichten mit dem Film
"Das Indische Grabmal" ein danach nie wieder erreichte Niveau, oft von den
Kritikern verschrien, aber unangefochtener Höhepunkt der Kinokultur. Der Filmarchitekt
Martin Jacoby-Boy und die Darstellungskunst von May¥s Ehefrau Mia, geleitet durch die
hervorragende Kameraführung, hatte diesen Film zum Welterfolg gemacht.
Heute ist nur noch Hollywood in aller Munde, und in Woltersdorf, "The Lost
World"? "Der weiße Hai" durfte nie im Woltersdorfer Kalksee schwimmen.
Amerikanisch in der Großzügigkeit der Anlage, deutsch in der Gründlichkeit der
Ausführung bis ins kleinste Detail, lautete ein Werbespruch, den Joe May dazumal für
sein Unternehmen geprägt hatte.
In der Weltbühne erschien im Dezember 1919 ein Tucholsky-Ausspruch, der die Filmstadt
Woltersdorf sogar in die literarische Aufbereitungsecke filmischer Besonderheit rückte:
"Das Kino schläft. Laßt mich verweilen bei diesen Sternen, filmomorph. Es schläft
in sieben Teilen der Herr der Welt in Woltersdorf."
Keine Frage, denn kein Weg war zu weit nach Woltersdorf, wo sogar über ein
afrikanisches Dorf verfügt werden konnte: Hans Schomburg, ein früherer Afrikaforscher
und Hobbyregisseur, baute unter Verwendung May¥scher Kulissenelemente mit seinem
Architekten Kolumbs ein großes Afrikanerdorf am Kalksee, um seiner Neigung, afrikanische
Sujets zu verfilmen, volle Bestätigung zu verschaffen. Schomburg sammelte dazu sämtliche
sogenannter Filmbörsen-Neger, so daß eine immense Menge von Schwarzen das Dorf
authentisch bevölkerten.
So wurden Schwarze Hauptakteure in Woltersdorfer und Rüdersdofer Alltag und sorgten
bei den "Einheimischen" für mancherlei Be- und Verwunderung: Fast gehörte es
manchmal zum guten Ton, sich mit einem "Neger" zu unterhalten.
Letzte Woche war Ramm bei Frau Knoch zum 100.Geburtstag, keineswegs in böser Absicht,
denn viel alte Woltersdorfer haben nette Erinnerungen zu seinem Buch beitragen können,
und Frau Knoch kannte so die junge Schomburg noch. Aber der Film, darin sind sich die
meisten immer noch einig, "schickte sich nicht" - er galt schlichtweg als
unfein.
"Der Welt Größter Film (sic!)", so in dem Journal "Der Film" von
1921, existiert nur noch in ganz wenigen Köpfen, heute kann man nur noch träumen von
tollen Zeiten auf den Rüdersdorfer Kalkfelsen, dem Kalksee und wahrhaft traumhaften
Filmkritiken: "Und nun stürzen über die berauschte und entsetzte Seele des
Künstlers wie ein ungeheurer Alpdruck die fliehenden Gestaltungen einer exotischen
Welt".
Für alle, die auch der Gedanke an vergangene Zeiten weiterhin nicht losläßt, denen
sei ein Ausflug bei Berlin ans Herz gelegt in den Woltersdorfer Aussichtsturm mit Aus- und
Einsichten in die ständige Filmausstellung.
Die Vergangenheit lehrt uns die Zukunft, und an welchem Ort sorgt man sich nicht mehr
um die Zukunft als in einem Krankenhaus? Davon zeugt außerdem eine historische
Fotoausstellung im Eingangsbereich des Evangelischen Krankenhauses
"Gottesfriede".
Viele Reden sind schon gesprochen worden, doch die wenigsten wissen um die
Vorbereitungen einer historischen Fotoausstellung. Ich habe daher abschließend an dieser
Stelle den Berliner Historiker Volker Hütte gebeten, uns den Werdegang einer Ausstellung
zu schildern.
Literaturhinweise:
"Als Woltersdorf noch
Hollywood war", von Gerald Ramm (1996)
"Deutsche Spielfilme von
den Anfängen bis 1933", Ein Filmführer, hrsg. Günther Dahlke, Günter Karl im
Henschel Verlag Berlin 1988.
Text: Andreas Frädrich, übrigens Urenkel des Filmarchitekten Karl Vollbrecht, der
gemeinsam mit Otto Hunte unter Fritz Lang u.a. bei "Metropolis", "Die
Nibelungen" als Erbauer des Drachen sowie den Kulissenbau für "Das Indische
Grabmal" gestaltete.
Bilder:
Bild 3080l: Postkartenformat
Bild 3080m: Für die Filmaufnahmen "Das Indische Grabmal" stellte der Zirkus
Sarrasani zahlreiche Zirkustiere zur Verfügung...
Bild 3080n: Kulissentempel zum "Tiger von Eschnapur" in der Woltersdorfer
Filmstadt 1921
Bild 3080o: Diese Aufnahme stammt aus den 50er Jahren und dokumentiert Reste der
legendären Filmstadt in Woltersdorf. Die Ruinen wurde kurze Zeit später abgetragen.
Zitierweise der Bilder 3080l bis 3080o:
Foto: Archiv Gerald Ramm
Vom Werdegang einer Ausstellung
Historische Fotogafieausstellung dokumentiert die wechselhafte Geschichte eines
beliebten Kur- und Ausflugsortes und seines Krankenhauses
Am 5.September 1997 war die offizielle Eröffnung der Fotoausstellung "Woltersdorf
in frühen Fotografien". Ausstellungsort ist der Eingangsbereich des Evangelischen
Krankenhauses "Gottesfriede", Schleusenstr.50 in Woltersdorf bei Erkner. Sie ist
zum einen die Fortsetzung einer im Krankenhaus gepflegten Ausstellungstradition, zum
anderen aber ist es das erste, ausschließlich von Unternehmen finanzierte Kulturereignis
in diesem Haus, zu der sogar überraschenderweise die brandenburgische Sozialministerin
Regine Hildebrandt kam.
Bei den Exponaten handelt es sich um 50 Reproduktionen, das heißt von alten Postkarten
und Fotografien abgelichtete und anschließend vergrößerte Exemplare, sowie um drei alte
Original-Fahrpläne der Woltersdorfer Straßenbahn. Es sind Motive aus den Jahren 1900 bis
1960 zu sehen. Der Schwerpunkt liegt dabei in den 20er Jahren, was auch damit
zusammenhängt, daß im Jahr 1926 das EC-Bundeshaus in die Räumlichkeiten des alten
Woltersdorfer Sanatoriums, des heutigen Evangelischen Krankenhauses umzog. Damals wurde
Altes und Entstehendes sorgfältig fotografisch dokumentiert, und dementsprechend reich
ist das Fotomaterial. beim Betrachten des gesammelten Originale entschieden sich die
Organisatoren für fünf Themenbereiche der Ausstellung:
1)Vom Sanatorium und Kurhaus Woltersdorfer Schleuse zum "Haus Gottesfriede"
2)Fotos zur Geschichte des EC-Bundeshauses
3)Fotos zur Geschichte von Woltersdorf
4)Woltersdorfer Typen
5)Woltersdorfer Verkehrswege
Die Fotografien werden ergänzt durch Anmerkungen auf insgesamt fünf, den einzelnen
Themenbereichen zugeordneten Informationstafeln. Die schriftlichen Informationen können
erfahrungsgemäß nur bedingt einen historischen Bezug zu den Fotografien herstellen, sie
sollen vielmehr unterstützend wirken und einen groben Zusammenhang herstellen. Unterhalb
der Fotos ist jeweils eine Textzeile angebracht. In ihr finden Sie zumeist eine örtliche
und zeitliche Zuordnung. Falls eine zeitliche Zuordnung nicht gesichert erschien, haben
die Ausstellungsleiter dies mit Kürzel o.J.(ohne Jahresangabe) versehen. Insgesamt war
die Qualität der Original-Fotos beachtlich. Auch die Fotografen der 20er Jahre
beherrschten ihr Handwerk, wie besonders bei einigen Innenaufnahmen des früheren
Kurhauses zu sehen ist.
Die Reproduktion der Originale übernahm Alexander Damaschun, Berlin. Unterstützt
wurden beide in ihrer Tätigkeit vom Berliner Grafiker Norbert Grimm.
Insgesamt 35 Unternehmen, größtenteils aus dem unmittelbaren Einzugsgebiet, haben
durch ihre Spende die Ausstellungskosten übernommen. Als kleine Gegenleistung des
Krankenhauses sind alle Firmen, die uns bei diesem Projekt unterstützt haben, auf der
letzten Seite eines ausstellungsbegleitnden Flyers erwähnt. Die Unternehmen, die den
sogenannten "Sponsorenbeitrag" leisteten, findet man zusätzlich auf der
Spnsorentafel inmitten der Ausstellung. Für das nächste halbe Jahr werden die 53
Exponate nun den Eingangsbereich des Krankenhauses zieren und den einen oder anderen
Besucher an die große Woltersdorfer Vergangenheit erinnern.
Text: Volker Hütte, Berliner Historiker, hat sich auf Ausstellungen im
Gesundheitswesen spezialisiert
Zitierweise dieser Beiträge:
Redaktionsdienst gesundheit-online
(Hinweis: Textumfang 4x DIN A4-Seiten)