4305 Medizinstudenten berichten - Erfahrungsberichte vom Praktischen Jahr
im europäischen Ausland / Griechenland Als PJ'ler in
Griechenland: Mein Kampf mit den Behörden (1995)
Ich absolvierte mein chirurgisches Tertial im Rahmen des
ERASMUS-Programmes an der E'Chirurgischen Klinik des Ippokrates Krankenhauses der
Aristoteles Universität Thessaloniki. Völlig unbedarft ging ich an die Sache an, da ich
dachte, ERASMUS ist ein EG-Programm, da gibt es keine Probleme! Aber weit gefehlt! Schon
vor meiner Abreise, als ich beim hessischen Landesprüfungsamt in Frankfurt/ Main anrief,
wurde meine Euphorie leicht gedämpft. Ich bekam nämlich die Auskunft: "Sie brauchen
eine Bescheinigung der Universität, daß sie ordentlicher Student waren und ein Zeugnis
vom ausbildenen Arzt (d.h. Klinikleiter) über Art und Dauer (ganztägig, Fehlzeiten etc.)
der Ausbildung, Fortbildungsveranstaltungen und Tätigkeitsnachweis ( die ungefähr der
Tätigkeit eines PJ'ler in Deutschland entsprechen sollten). Und das alles in der
Landessprache und in Deutsch, da das Landesprüfungsamt Griechisch nicht lesen bzw.
verstehen kann". Auf meine Bemerkung, dann würde doch auch die Bescheinigung in
Deutsch ausreichen, antwortete man: "Nein, es muß die Landessprache sein!"
Nach ein paar Telefongesprächen und Briefwechseln mit griechischen
Medizinstudenten, die im ERASMUS-Programm mitarbeiteten, wobei sie mir sagten, Wohnheim,
Sprachkurs etc. sollte ich am besten vor Ort regeln und ausgestattet mit einem Merkblatt
vom Landesprpüfungsamt, stieg ich in den Flieger, dem Abenteuer entgegen, denn auch
Thessaloniki ging es nicht ohne Probleme ab.
Bei meiner Ankunft wurde ich von einer Studentin abgeholt. Wir fuhren zu
ihr, tranken erst mal einen Kaffee und unterhielten uns über den nächsten Tag. Sie
wollte mir die Uni zeigen und mich kurz zu den wichtigsten Stellen begleiten.
Am nächsten Morgen ging es los: Zuerst zum ERASMUS-Büro der
Universität, dort sollte ich ein Zimmer im Wohnheim bekommen. Aber leider gab es
Probleme; es kämen nämlich zur Zeit zu viele ERASMUS-Studenten und einige wären noch
nicht aus ihren Zimmern ausgezogen und außerdem sei zur Zeit eine internationale Messe.
Kurz und gut, im Moment sei kein Zimmer im Wohnheim frei und ich müßte für 1-2 Wochen
in einem Hotel schlafen. Mit diesem Hotel hatte die Uni einen Vertrag, so daß es für
Studenten billiger war. Nachteil: Keine Küche, kein Kühlschrank, kein Schreibtisch, alle
paar Tage ein neuer Mitbewohner und natürlich teurer als das Wohnheim.
Nachdem wir also mein Gepäck im Hotel abgegeben hatten, fuhren wir weiter
zur Klinik, um mich beim Professor vorzustellen. Danach besuchten wir noch die
Sprachschule, denn man will ja sein Griechisch auch verbessern, außerdem sollte der Kurs
für Studenten kostenlos sein. Leider lief der Kurs schon und der nächste fing erst ca. 1
Monat später an und war dann am Vormittag, wo ich eigentlich in der Klinik sein sollte.
Der Kurs sollte zudem ca. 150 ECU kosten. Das war also die zweite Enttäuschung an diesem
Tag. Das Angebot, mir einen Privatlehrer für einen Vorzugspreis von 60 bis 80DM für die
Doppelstunde zu nehmen, lehnte ich mit dem Gedanken an meinem dünnen Studentenetat
dankend ab. Mit dem Versprechen, daß man sich etwas bemühen würde, einen Kurs am
Nachmittag einzurichten, wurde ich verabschiedet.
Am nächsten Tag dann mein erster Tag in der Klinik. Etwas verloren stand
ich im Flur, als ein Oberarzt auf mich zukam und mich fragte, ob ich der "Neue"
sei. Dann führte er mich in ein Zimmer, stellte mich den zwei anwesenden Studentinnen
vor, sagte, daß eine von ihnen auch aus Deutschland komme und sich um mich kümmern
würde und verschwand. Diese Studentin war eine Griechin, die in Erlangen studierte und
ebenfalls ihr chirurgisches Tertial in Thessaloniki machte. Sie erklärte mir zuerst den
Tagesablauf.
- Beginn 8.00 Uhr morgens, Eintragen in das Anwesenheitsbuch
- ins zugeteilte Zimmer gehen, bei "seinem" Patieneten Puls,
Blutdruck messen
- Befunde in die Kurven schreiben
- Kaffeetrinkenderweise warten auf die Visite
- Visite (bis zu drei nacheinander: Oberarzt<Ass.Prof<Prof)
- Eventuell in Ambulanz oder OP und zugucken
- bei Neuaufnahmen Anamnese machen oder Kaffee trinken
- 2x die Woche "Weiterbildung" (entsprach ungefähr unserer
Chirurgie-Vorlesung), falls der Dozent Zeit und Lust hatte
- Ende 13.30 Uhr, Austragen nicht vergessen
Dann stellte sie mich den anderen Studenten vor. Wir waren anfangs (mit
mir) 12 Studenten (bei max. 19 Patienten). Je 2 bis 3 von uns waren für ein Zimmer
zuständig und wurden zum Teil auch bei den Visiten zu "ihrem" Patienten
gefragt. Nach der Hälfte meines Tertials wechselten die griechischen Studenten und wir
waren dann sage und schreibe 22 Studenten auf Station. Dazu kamen 8 bis 9 Assistenzärzte,
3 Oberärzte, ein Assistenzprofessor und natürlich der Professor. Es war ein tolles
Gedränge bei der Visite!
So vergingen die ersten Tage und ich akklimatisierte mich. Mein nächstes
Problem war, daß die Griechen sich nicht an die internationale Medizinersprache halten,
sondern - sowohl für anatomische als auch für klinische Termini - neugriechische Worte
benutzten. Nur anhand der Dias und aufgrund meiner Vorkenntnisse konnte ich also die
Visiten nachvollziehen.
Dann ging es zum ersten Mal in den OP: Man zog seinen weißen Kittel aus
und über die Straßenkleidung einen OP-Mantel, Plastiküberschuhe, Haube und Mundschutz.
Dank neuster und potenter Antibiotika gibt es auch in Griechenland keine signifikanten
postoperativen Infektionen.
Zweimal in der Woche war Ambulanzsprechstunde, wo Studenten kleine
Chirurgie machen konnten. 3 bis 4 mal im Monat war Notaufnahme, d.h. unsere Station war
für die chirurgischen Notfälle in ganz Thessaloniki (1,5 Millionen Einwohner) und
Umgebung zuständig über 24 Stunden. Durch einige Famulaturen hatte ich ewtas mehr
Erfahrung in Chirurgie, so daß mich die Assistenzärzte einiges mehr machen ließen als
die griechischen Studenten, die Chirurgie erst im PJ "lernen".
In der Zwischenzeit fragte ich nach einem Zimmer im Wohnheim, und ich
bekam auch eins, doch groß war der Schock, als ich sah, wo ich einquartiert werden
sollte! Unzählige Kakerklaken, verstopfte oder defekte Toiletten und warmes Wasser nur zu
bestimmten Zeiten. Das Zimmer war zwar spottbillig, aber nicht einmal die paar Mark wert.
Am nächsten Tag beim ERASMUS-Büro versprachen die Sekretärinnen mich
wie geplant ins ursprüngliche Wohnheim umzuquartieren. Nach einem zweiwöchentlichen
Urlaub kam ich in unsere provisorische Herberge, in der es seit 10 Tagen kein warmes
Wasser mehr gab. Alle Beschwerden teil massivster Art nutzten jedoch nichts. Erst die
Drohung mit der Botschaft brachte erst wieder etwas Leben in die Beamten.
Aber das war noch nicht das Ende meiner Probleme. Um die von Frankfurt
verlangten Zeugnisse zu bekommen, waren ebenfalls große Mühen erforderlich, teilweise
weil das Zeugnis erst nicht ausgestellt werden konnte und später auch Übersetzungsfehler
hinzukamen: Mein Tertial wurde in Griechenland schließlich anerkannt, zumal das hessische
Landesprüfungsamt PJ's in Griechenland nur über das ERASMUS-Programm anerkennt.
Trotz aller Schwierigkeiten war es dennoch eine sehr schöne Zeit und vor
allem ein gute Erfahrung. Ich lernte eine Menge netter Europäer kennen und wir konnten
gegenseitig unsere Vorurteile abbauen. Außerdem ist Thessaloniki eine herrlich sonnige
Stadt mit vielen Sehenswürdigkeiten...
Text: S.D., mit freundlicher Unterstützung der Vereinten
Krankenversicherung AG, Redaktion Öffentlichkeitsarbeit
Weitere Erfahrungsberichte aus aller Welt:
"Praktisches Jahr im Ausland", 6.Auflage, Vereinte
Krankenversicherung AG Bezirksniederlassung Berlin
Kontakttelefon 0049-89-6785-2151
Weiterführende Informationen:
http://www.medi-netz.com/vereinte
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