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Pressemitteilung 01.03.2000 |
Deutscher
Schmerztag 2000
02. - 04. März 2000, Frankfurt am Main
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Schmerz
und Partnerschaft: Angehörige können Patienten bei der Bewältigung chronischer
Schmerzen unterstützen. |
Psychologie des Schmerzes. Chronische Schmerzen in
kognitionspsychologischer Perspektive. siehe
auch: Psychologie chronischer Schmerzen |
Eine
Partnerschaft kann chronische Schmerzen beeinflussen - im Positiven wie im Negativen. Dies
wissen Experten nicht nur aufgrund von Beobachtungen der Verhaltensmuster betroffener
Patienten und ihrer Angehörigen. Seitdem Forscher mit verschiedenen bildgebenden
Verfahren die Verarbeitung von Schmerzen im Gehirn sichtbar machen können, läßt sich
mit solchen Methoden nicht nur die Wirkung von Medikamenten, sondern auch der Einfluß
psychosozialer Faktoren auf das Schmerzgeschehen untersuchen. So können Strategien
entwickelt und überprüft werden, wie Angehörige Patienten mit chronischen Schmerzen am
Besten unterstützen. |
Liebevolle
Zuwendung kann schädlich sein. |
,,Lass
uns eine Radtour machen, es ist so schönes Wetter." - ,,Ach nein, heute ist es
wieder schlimm, ich mag nicht." Wie soll der gesunde Partner eines Patienten mit
chronischen Schmerzen in so einer Situation reagieren? Eine Möglichkeit wäre die Zuwendung: ,,Gut, dann genießen wir die Sonne eben im
Liegestuhl, und ich massiere Dir den Rücken." So liebevoll das klingt, tut der
Partner dem Patienten damit jedoch keinen Gefallen, weil er ihn mit der Fürsorge quasi
für sein Schmerzverhalten ,,belohnt". Der Patient lernt unbewusst: |
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,,Wenn
ich klage, bekomme ich Zuwendung. Das fördert sein Schmerzverhalten und lähmt
gleichzeitig seine Aktivität. Psychologen sprechen dann vom dysfunktionalen Schmerztyp.
Wie wäre es also mit dem Gegenteil: ,,Na, dann fahre ich eben alleine, und ich muss ja
auch nicht allein bleiben unterwegs. Diese ,,bestrafende Reaktion könnte den Patienten
vielleicht dazu bringen, sich doch noch aufzuraffen, führt aber leicht zu emotionaler
Verstimmung, und die kann letztlich vermehrte Schmerzen zur Folge haben. Bei diesem
,,interpersonalen Schmerztyp ist die Abhängigkeit vom Partner geringer als im ersten
Fall. |
Den
Schmerz ignorieren. nicht den Menschen. |
Richtig
ist nach Aussage von Experten Variante Nummer 3: ,,Der Partner sollte ablenken oder das
Schmerzverhalten ignorieren", rät die Psychologin Kati Thieme von der Humboldt
Universität Berlin. Ablenken hieße in diesem Fall etwa zu sagen: ,,Komm, raff Dich auf,
Du weißt doch, wenn wir erst mal unterwegs sind, geht es Dir besser". Oder der
Partner ignoriert das Schmerzverhalten indem er motiviert: ,,Ich hole die Räder und warte
draußen auf Dich." Thieme: ,,Wichtig ist dabei, den Schmerz zu ignorieren, nicht den
Menschen." Sie nennt den Patiententyp, dessen Partner das Schmerzverhalten
ignoriert und den Kranken davon ablenkt, ,,Adaptive Coper". |
Untersuchung
belegt die Wirksamkeit der Methode. |
Vor
einer ,,operanten Schmerztherapie" bei Fibromyalgie-Patientinnen und ihren Partnern
zählte Kati Thieme 57,5 Prozent der Kranken zum dysfunktionalen Typ, der auch die
stärksten Schmerzen hat, 20 Prozent zum interpersonalen Typ mit mittelstarken Schmerzen
und 22,5 Prozent zu den Adaptiven Copern mit den geringsten Schmerzen. Sechs Monate nach
der Therapie war der Anteil der Dysfunktionalen auf 50 Prozent und der Interpersonalen auf
12,5 Prozent gesunken - zugunsten der Adaptiven Coper, deren Anteil auf 37 Prozent zunahm.
Darunter auch eine Patientin, die zu Beginn der Therapie kaum zehn Minuten stehen konnte
und die heute zweimal wöchentlich acht Kilometer läuft. |
Vom
Schmerz unabhängig sein. |
,,Zuwendung
und gemeinsame Aktivitäten müssen unabhängig sein vom Schmerz", betont Thieme.
Eine Massage, ein Spaziergang oder Hilfe bei krankengymnastische Übungen sollte der
Partner nicht als Reaktion auf Klagen oder schmerzhafte Mimik des Patienten anbieten,
sondern in einem anderen Moment, oder regelmäßig zu bestimmten Zeitpunkten. |
Psychotherapeutische Medizin bei chronischem Schmerz.
Psychologische Behandlungsverfahren zur Schmerzkontrolle. |
In
der Therapie an der Humboldt Universität lernen die Patienten auch kognitive
Schmerzbewältigungs-Strategien: Nicht katastrophisieren - ,,Irgendwann lande ich sowieso
im Rollstuhl" - sondern Coping: ,,Wenn ich mich ablenke, geht es besser". Und
sie lernen, ihre Einstellung gegenüber der Belastung durch den Schmerz bewusst zu
verändern, um so dem Stress-Spannungs-Schmerz-Zirkel zu entkommen - also dem Teufelskreis
aus schmerz-bedingtem Stress, der wiederum zu schmerzhaften Muskelverspannungen und damit
zu noch mehr Schmerzen führt. |
Schmerzbewältigung:
Emotionen akzeptieren und positiv beeinflussen. Schmerz und Trance. die Hypnotherapie von
Schmerzsyndromen. |
Einen
anderen Weg bei der psychologischen Schmerztherapie geht die
Psychologin Hanne Seemann von der Universität Heidelberg: ,,Man kann nicht so tun, als
hätte man keinen Schmerz, als wäre man nicht auch mal traurig. Ich denke, dass bei
diesem Nicht-Leiden-Sollen die Psyche nicht mitspielt. Man kann die Stimmung nicht mit
Gewalt in eine andere Richtung zerren, man muss eine niedergeschlagene Stimmung erst
annehmen und würdigen, um dann herauszugehen und heiter zu werden." Hanne Seemann
argumentiert dass der affektive Anteil des Schmerzes in derselben Hirnregion verarbeitet
wird wie Emotionen, und dass deshalb emotionale eher als kognitive Therapieansätze den
Patienten helfen können, das Leiden am Schmerz zu überwinden. Das wären zum Beispiel
Hypnotherapie oder Hypnose, die dem Patienten helfen, seine
Stimmungslage positiv zu beeinflussen. |
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Dabei
kann ihn der Partner unterstützen. ,,Er kann die Phantasie des Kranken anregen, schöne
Erinnerungen wachrufen oder angenehme erzeugen, etwa durch schöne Musik. Denn der Partner
kennt ja den Kranken am besten und weiß, was er am liebsten mag." Letztlich führt
auch dieser emotionale Weg zu einer kognitiven Schmerzbewältigung. Der direkte kognitive
Weg, so Hanne Seemann, sei aber gerade dann schwierig, wenn der Schmerz das Denken
dominiert. |
Freundschaft
mit dem eigenen Körper schließen. |
Auch
die Patienten selbst können durch ihre emotionale Beziehung zum eigenen Körper auch
erreichen, dass der Schmerz seltener oder weniger stark auftritt. ,,Man muss den Körper
behandeln wie einen guten Freund, mit Respekt." erklärt Hanne Seemann. ,,Wenn man
das nicht tut, wenn man seinen Körper versklavt und überfordert, dann kann man auch
nicht erwarten, dass er freundschaftlich reagiert." Wer eine gute Beziehung zu seinem
Körper hat, spürt rechtzeitig, wann es genug ist und Erholung nottut. Und der Körper
bedankt sich, indem er gerade dann nicht krank wird, wenn es beruflich oder privat nicht
passt. Schmerz ist immer ein lautes Signal, ein Hilferuf des Körpers. Viele
Schmerzpatienten ,,überhören" indes die Signale ihres Körpers; wenn sie lernen,
ihn zu verstehen und Freundschaft mit ihm zu schließen, wird er sie belohnen. |
Bildgebende
Verfahren machen den Schmerz messbar.
siehe auch: Entstehung
chronischer Schmerzen |
Schmerzforscher
können mit verschiedenen bildgebenden Verfahren dem menschlichen Gehirn quasi dabei
zusehen, wie es Schmerz empfindet und verarbeitet. Sie sehen auch, was sich im
Zentralorgan verändert, wenn chronische Schmerzen seinen ,,Besitzer" quälen.
Möglich ist dies beispielsweise durch den kombinierten Einsatz von Magneto- und
Elektro-Enzephalographie. ,,Mit ihrer Hilfe", erklärt der Neurophysiologe Professor
Burkhart Bromm vom Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf, ,,kann man beispielsweise
die Aktivität von Nervenzellen in verschiedenen Gebieten des Großhirns nach
schmerzhaften Reizen messen." Durch solche Untersuchungen wissen die Forscher
inzwischen, dass schmerzhafte Reize in verschiedenen Arealen des Gehirns verarbeitet
werden. Es gibt beispielsweise Regionen, in denen die Schmerzqualität
(brennend, stechend, Hitze, Kälte) verarbeitet wird. Ebenso treffen Schmerzsignale aus
verschiedenen Körperteilen jeweils in unterschiedlichen Gehirnarealen ein. ,,Auch wenn
nur eine Körperseite gereizt wird", erklärt Bromm, ,,werden die entsprechenden
Felder in beiden Hirnhälften aktiv." Der Grund: Das Gehirn vergleicht die
schmerzhafte Körperstelle mit der entsprechenden nicht-schmerzenden Stelle auf der
Gegenseite. |
Psychologische
Strategien beeinflussen die Schmerzverarbeitung ebenso wie Medikamente. |
Die
emotionale Komponente eines Schmerzes, das Widerliche, Quälende und Folternde wird in
Strukturen des so genannten limbischen Systems
verarbeitet, einem komplexen Gebilde aus mehreren Hirnstrukturen, das an der Entstehung
der Gefühle und gefühlsbetonter Verhaltensweisen beteiligt ist. Vor allem beteiligt ist
daran eine Struktur, die Hirnforscher als Gyrus Cinguli bezeichnen. ,,Die Aktivitäten
dieser Strukturen", erläutert Bromm, ,,sind auch für emotionale Abwehrreaktionen
wie beispielsweise Blutdruckabfall,
Änderung der Herzaktion, für Übelkeit,
Schwitzen und starke Krankheitsgefühle verantwortlich." |
Neuropsychologie
psychischer Störungen |
Mit
den bildgebenden Verfahren können Schmerzforscher daher untersuchen, welchen Einfluss
verschiedene therapeutische Methoden auf die Verarbeitung von Schmerzsignalen im Gehirn
haben. Bromm: ,,Effiziente Schmerzmittel beispielsweise,
beeinflussen die emotionale Schmerzkomponente." Doch auch der Einfluss psychologischer Methoden der Schmerztherapie wird so
nachweisbar: ,,Inzwischen wissen wir", so der Neurophysiologe, ,,dass etwa die
Ablenkung vom Schmerzgeschehen die Aktivität der Neuronen im Gyrus Cinguli reduziert, was
wiederum den Schmerzcharakter markant verändert." Top |
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