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Das Palliativmedizinische Team - Umgang mit den eigenen Gefühlen:
Erkennen der eigenen Gefühle und ihres Einflusses
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Eigene Gefühle
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Eigene Gefühle sind nicht vermeidbar
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Die Mitglieder eines palliativmedizinischen Teams arbeiten jeden
Tag mit schwer kranken und sterbenden Menschen sowie deren Angehörigen. Der Tod
ist ein ständiger Begleiter während dieser Arbeit. Eine solche Arbeit kann - bei
aller Professionalität - Auswirkungen auf die eigenen Emotionen haben. Dabei
treten individuell durchaus sehr unterschiedliche Reaktionen auf. Einige in diesem Zusammenhang häufig auftretende
Gefühle lassen sich benennen:
- Bedürfnis, den Patienten zu retten
- Gefühl des eigenen Versagens und Frustration, wenn es einem Patienten
trotz intensiver Bemühungen des palliativmedizinischen Teams schlechter geht
- Gefühl der Wehrlosigkeit gegenüber der Erkrankung des Patienten
- Empfindung von Hilflosigkeit gegenüber den Verlusten, welche die
Erkrankung des Patienten für ihn selbst, seine Angehörigen und unter
Umständen auch für einzelne Mitglieder des palliativmedizinischen Teams
bedeutet
- Trauer über den Verlust eines Patienten oder auch darüber, dass es einem
Patienten schlechter geht
- Angst davor, selbst einmal so schwer krank zu werden wie die Patienten,
die man betreut
- Bedürfnis, sich von den schwer kranken Patienten abzugrenzen, um einen
Abstand zu den eigenen Gefühlen zu erhalten, welche durch die Betreuung
dieser Patienten ausgelöst werden
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Auswirkungen negativer Gefühle
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Zwei Wirkungen
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Im Großen und Ganzen haben derartige Gefühle zweierlei
Auswirkungen: Sie können die Versorgung der Patienten beeinträchtigen, und sie
können zu einem verminderten Wohlbefinden einzelner Mitglieder des
palliativmedizinischen Teams führen. |
Schlechtere Versorgung des Patienten
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Eine mögliche negative Auswirkung derartiger Gefühle - wenn
diese unbewältigt bleiben - ist eine unzureichende Versorgung und Betreuung der
Patienten, weil das von diesen Gefühlen betroffene Teammitglied den
Kontakt mit dem Patienten auf ein Minimum reduziert, um sich den dabei
aufkommenden unangenehmen Gefühlen nicht stellen zu müssen. Im schlimmsten Fall
können vermeidbare medizinische Komplikationen und eine unnötige Verlängerung
des Krankenhausaufenthaltes des Patienten resultieren. |
Veränderte Wahrnehmung
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Kommt es zu negativen Gefühlen, so kann das Auswirkungen auf die Wahrnehmung
beispielsweise von patienten- und familienspezifischen Eigenschaften haben. Das
wiederum hat dann Auswirkungen auf die Betreuung des Patienten und auf
Therapieentscheidungen. Beispielsweise verläuft die Kommunikation mit Patienten, die von sich aus sehr
zurückhaltend sind, anders als mit solchen, die von sich aus viele Fragen
stellen und das Gespräch mit dem Arzt suchen. Derartige Eigenschaften müssen der
Arzt und die anderen Mitglieder des palliativmedizinischen Teams jedoch
wahrnehmen und erkennen können, um angemessen mit dem Patienten zu
kommunizieren. |
Unvereinbare Therapieziele
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Eine weitere mögliche negative Auswirkung unbewältigter Gefühle
einzelner Teammitglieder sind unvereinbare Therapieziele. So möchte ein Arzt, um
Schuldgefühlen zu entgehen, unter Umständen unbedingt eine Heilung des Patienten
erreichen, obwohl dies definitiv nicht möglich ist. Eine eventuelle unangenehme
Konsequenz für den Patienten bestünde in diesem Fall in der Durchführung überflüssiger
medizinischer Maßnahmen. Die anderen Mitglieder des palliativmedizinischen Teams
geraten dann unter Umständen mit ihren eigenen Werten und Vorstellungen in
Konflikt, wenn sie die unvernünftigen Entscheidungen des Arztes mittragen
sollen. Eine derartige Situation würde zudem zu einer Unzufriedenheit auf Seiten
des Patienten und seiner Angehörigen führen und bei ihnen eventuell sogar ein
Misstrauen gegenüber dem palliativmedizinischen Team oder gegenüber dem
Gesundheitssystem im Allgemeinen aufkommen lassen. |
Auswirkungen auf das Teammitglied
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Unbewältigte negative Gefühle haben auch für das jeweils betroffene Teammitglied
Auswirkungen, beispielsweise:
- Gefühl der beruflichen "Vereinsamung"
- Verlust des Gefühls für den Sinn und die Bedeutung der beruflichen
Tätigkeit
- Verlust des Gefühls für die Grenzen der Medizin
- Zynismus, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Frustration
- Verärgerung über die beruflichen Anforderungen und das Gesundheitssystem
als solches
- Verlust für das Gefühl, dass Patienten Mitmenschen und in erster Linie
als solche zu behandeln sind
- Risiko für die Entwicklung eines
Burnout-Syndroms und von
Depressionen
- Stress, nachlassendes berufliches Engagement und schlechte berufliche
Urteilsfähigkeit
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Nähe und Distanz
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Jeder ist betroffen
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Unangenehme und negative Gefühle treten bei jedem Mitglied des
palliativmedizinischen Teams regelmäßig in unterschiedlicher Intensität sowie in
variabler Kombination auf. Daher ist es wichtig, sich dieser Gefühle bewusst zu
sein und sie sich zu vergegenwärtigen. Nur auf diese Weise gelingt es, diese
Gefühle zu bewältigen und zu verhindern, dass sie sich negativ auf die Betreuung
der Patienten und auf das eigene Wohlbefinden auswirken. |
Zu viel Nähe führt zu emotionaler Erschöpfung
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Ein hilfreicher Ansatz, um unangenehmen Gefühlen zu begegnen,
besteht darin, das richtige Maß an Nähe und Distanz zu den Patienten und deren
Angehörigen zu finden. Auf der einen Seite ist es unvermeidlich und außerdem
positiv, wenn sich die einzelnen Mitglieder des palliativmedizinischen Teams in
die Situation der Patienten und ihrer Angehörigen einfühlen. Auf der anderen
Seite kann ein zu ausgeprägtes Hineinfühlen in den Patienten dazu führen, dass
man dessen Leiden und Trauer sowie weitere Gefühle sehr stark selbst
mitempfindet. Tritt diese Situation häufiger auf, besteht die Gefahr der
emotionalen Erschöpfung.
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Die Entscheidung ist individuell unterschiedlich
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Dabei muss sich jeder Einzelne darüber klar werden, an
welchem Punkt zwischen Nähe und Distanz er sich positionieren möchte. Das kann
für einzelne Patienten durchaus unterschiedlich sein. Es kann z. B. sein, dass
eine Krankenschwester bei einem Patienten dessen Angst vor dem nahenden Tod
teilweise mitempfinden kann, wohingegen sie sich nicht in dessen Situation
bezüglich familiärer Konflikte hineinversetzen möchte. Bei einem anderen
Patienten kann sie unter Umständen die familiären Sorgen nachvollziehen und dies gut ertragen, mag aber die Sorgen dieses Patienten wegen
seines Todes nicht innerlich mitfühlen.
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Risikofaktoren für das Auftreten negativer Gefühle
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Risikofaktoren, die sich auf die eigene Person beziehen
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Der Autor Meier hat mehrere Risikofaktoren identifiziert, die
dazu beitragen können, dass sich Ärzte und andere Mitglieder des
palliativmedizinischen Teams emotional zu stark oder auch zu wenig einbringen.
Diese Risikofaktoren teilt der Autor in drei Kategorien ein: Faktoren, die
sich auf die eigene Person beziehen
- Identifikation mit dem Patienten (ähnliches Äußeres, berufliche
Tätigkeit in einem ähnlichen Bereich, vergleichbares Alter, ähnliche
Charaktereigenschaften)
- Ähnlichkeit des Patienten mit einer anderen wichtigen Person im eigenen
Leben (beispielsweise Ehepartner, Kind oder guter Freund)
- schwere Erkrankung innerhalb der eigenen Familie
- kürzlich vorangegangener Trauerfall in der eigenen Familie
- unbewältigte Trennungs- oder Todessituation (beispielsweise kürzlich
durchgemachte Scheidung oder noch unbewältigter Tod einer nahe stehenden
Person)
- Gefühl, den beruflichen Anforderungen nicht gerecht zu werden oder
beruflich zu versagen
- Auslösung von negativen Gefühlen durch den Patienten oder seine
Angehörigen, beispielsweise die Empfindung, wie in der Kindheit vom strengen
Vater gemaßregelt zu werden
- Unfähigkeit, mit einem hohen Maß an Zwiespältigkeit und/oder
Unsicherheit zu leben
- Angst vor dem eigenen Tod und/oder vor einer eigenen schweren Erkrankung
- psychiatrische Erkrankung, beispielsweise Depression, Alkohol- oder
Medikamentenabhängigkeit
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Risikofaktoren, die sich auf die Situation beziehen
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Faktoren, die sich auf die Situation beziehen
- lange bestehende und/oder enge Beziehung zu einem einzelnen Patienten
- persönliche Beziehung zu einem einzelnen Patienten (beispielsweise
Familienangehöriger oder Freund)
- unterschiedliche Vorstellungen bezüglich der zu erreichenden
Therapieziele bei sich selbst und dem Patienten und/oder dessen Angehörigen
- unterschiedliche Vorstellungen von Kollegen bezüglich der
Patientenbetreuung
- berufliche Anforderungen, die miteinander in Konflikt geraten
(beispielsweise Anforderungen an eine bestmögliche Patientenbetreuung auf
der einen Seite und Forderung der Krankenhausverwaltung nach möglichst
geringen Behandlungskosten auf der anderen Seite)
- Zeitdruck
- häufige Krankenhausaufenthalte eines einzelnen Patienten innerhalb einer
kurzen Zeitspanne
- stark ausgedehnter Krankenhausaufenthalt eines Patienten
- ausgeprägte Unsicherheit und/oder Zwiespältigkeit bezüglich des
wahrscheinlichen Erkrankungsverlaufs eines Patienten (beispielsweise der
Wunsch, das Leben des Patienten zu verlängern, sowie das parallel bestehende
Bedürfnis, mit der Lebensverlängerung nicht auch gleichzeitig das Leiden des
Patienten auszudehnen)
- langfristige Unsicherheit bezüglich medizinisch erreichbarer Ziele
(beispielsweise ständige Zweifel an dem Nutzen einer medizinisch möglichen
Lebensverlängerung schwer kranker Patienten)
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Risikofaktoren, die sich auf die Person des Patienten beziehen
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Faktoren, die sich auf die Person des Patienten beziehen
- Verärgerungen oder Depressionen beim Patienten selbst oder bei einem
oder mehreren seiner Angehörigen
- Patient, der selbst einen medizinischen Beruf hat
- gut bekannter Patient
- komplizierte oder zerrüttete Verhältnisse innerhalb der Familie des
Patienten
- Misstrauen zwischen dem Patienten und seinen Angehörigen auf der einen
und dem Arzt sowie den anderen Mitgliedern des palliativmedizinischen Teams
auf der anderen Seite. So ein Misstauen kann sich z. B. entwickeln durch häufige und dann meist nur kurzfristige
Kontakte des Patienten mit einzelnen Einrichtungen des Gesundheitssystems
(beispielsweise wechselnde Kontakte des Patienten mit
verschiedenen Haus- und Fachärzten sowie mit Notfalleinrichtungen und
unterschiedlichen Krankenhausabteilungen, wobei der Patient die jeweiligen
medizinischen Empfehlungen nicht oder nur unzureichend befolgt hat)
- zunehmende Abhängigkeit des Patienten von den einzelnen Mitgliedern des
palliativmedizinischen Teams und damit einhergehender höherer Zeitbedarf,
der für den Patienten eingeplant werden muss
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Anzeichen emotionaler Belastungen
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Anzeichen emotionaler Belastungen ernst nehmen
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Der Autor Meier identifizierte
einige Anzeichen, auf ein zu starkes oder zu geringes emotionales Interesse an
einem Patienten und seinen Angehörigen hinweisen können:
- Meiden des Kontakts mit dem Patienten und/oder seinen Angehörigen
(beispielsweise absichtliches Durchführen der Stationsvisite zu einem
Zeitpunkt, an dem sich der Patient wegen einer diagnostischen oder
therapeutischen Maßnahme in einer anderen Abteilung des Krankenhauses
befindet)
- ungenügender Informationsaustausch mit den Kollegen über den Patienten
(zum Beispiel beim Schichtwechsel Unterlassung der Mitteilung, dass der
Patient während der eigenen Dienstzeit traurig war oder unter Schmerzen
litt)
- herabwürdigende Bemerkungen über den Patienten und/oder seine
Angehörigen gegenüber Kollegen
- Versäumnis, sich auch um die Details der Patientenbetreuung zu kümmern
(beispielsweise Unterlassen des Rückrufs beim Hausarzt des Patienten, der um
einen Informationsaustausch gebeten hatte)
- Anzeichen von Stress oder innerer Anspannung bei Kontakt mit dem
Patienten und/oder den Angehörigen (Herzklopfen, Gefühl eines "dicken
Halses", Ziehen im Bauch, Schweißausbruch)
- sehr häufiger Kontakt mit dem Patienten und/oder den Angehörigen, ohne
dass es dafür einen plausiblen medizinischen Grund gäbe (beispielsweise
häufiges "Vorbeischauen" beim Patienten auch außerhalb der Stationsvisite)
- Verärgerung über den Patienten und/oder seine Angehörigen ("der schon
wieder - mit dem habe ich doch gestern schon alles besprochen")
- Gefühl, die Betreuung des Patienten "aufgedrückt" bekommen zu haben ("um
den hätte sich doch wirklich der Kollege kümmern können")
- Empfinden, vom Patienten und/oder seinen Angehörigen belästigt und
schikaniert zu werden (beispielsweise durch häufiges Nachfragen und viele
Forderungen, unter anderem nach weiterer Diagnostik)
- Gefühl der Verachtung für den Patienten und/oder seine Angehörigen
- ständiges ungewolltes Grübeln über den Patienten und/oder dessen
Angehörige
- Selbstvorwürfe ("hätte ich den Krebs doch nur früher erkannt")
- Gefühl des Versagens (darüber, den Patienten nicht heilen oder dessen
Leben nicht verlängern zu können)
- Schuldgefühle ("es ist meine Schuld, dass es dem Patienten nicht besser
geht")
- Gefühl einer persönlichen Verpflichtung, das Leben des Patienten zu
retten
- Eindruck, dass die Beschwerdeschilderungen des Patienten in Wirklichkeit
nur ein Versuch sind, Aufmerksamkeit zu erhalten
- häufiges Gefühl, durch die beruflichen Anforderungen zum Opfer seines
Berufs zu werden
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Umgang mit negativen Gefühlen
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Es muss reagiert werden
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Das Feststellen derartiger Anzeichen an sich selbst sollte
Anlass geben zu prüfen, ob eine zu geringe oder eine zu große emotionale Nähe zu
einem oder mehreren Patienten besteht. Findet sich dafür eine Bestätigung, so sollte Gegenmaßnahmen
ergriffen werden.
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Distanz aufbauen
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Ein erster Schritt besteht darin, sich innerlich von
der Situation zu distanzieren und diese quasi von außen zu betrachten. So lassen
sich einzelnen Aspekte im Umgang mit dem Patienten und
seinen Angehörigen besser vergegenwärtigen und feststellen, in welchen Situationen
die emotionale Distanz zu gering oder zu groß ist. Darauf aufbauend gelingt es
häufig, eigene Verhaltensweisen zu betrachten und zu analysieren. Auch kann so
eventuell festgestellt werden, ob eigene Verhaltensweisen auf die für den Patienten
und/oder seine Angehörigen empfundenen Gefühle zurückzuführen sind
(beispielsweise abweisendes Verhalten als Reaktion auf eine Forderung des
Patienten nach weiterer Diagnostik).
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Konsequenzen ziehen
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Aus dieser Feststellung lassen sich Konsequenzen für den
weiteren Umgang mit dem Patienten ableiten: Analog des obigen Beispiels sollte
bei einer erneuten Forderung nach weiterer Diagnostik die Erklärung im
Fordergrund stehen, dass bereits alle sinnvollen diagnostischen Maßnahmen
durchgeführt wurden. Der Arzt sollte Verständnis für die Forderung des Patienten
haben und zeigen. Der Patient möchte nur neue Hoffnung schöpfen und versucht
dies zu erreichen, indem er eine weiter Untersuchung mit einem für ihn günstigen
Befund erzwingt.
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Der Patient steht im Mittelpunkt
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Dabei sollte sich ein Teammitglied vor Augen führen, in welcher Form das eigene Verhalten
Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Patienten hat. Dies stellt häufig eine
große Hilfe dar, um das eigene Verhalten zu überdenken und gegebenenfalls zum
Wohle des Patienten zu verändern.
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Gespräch mit den Kollegen suchen
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Auch regelmäßige Gespräche mit Kollegen über
einzelne Patienten, deren Betreuung als anstrengend empfunden wird, sowie über
die eigenen Gefühle und das daraus resultierende Verhalten sind in der Regel
eine wertvolle Hilfe. Neben konkreten Tipps, die dabei ausgetauscht werden
können, verstärken derartige Gespräche das Gefühl, mit seinen Problemen nicht
allein zu sein. Außerdem wird dabei schnell deutlich, dass die Kollegen ganz
ähnliche Probleme haben, was das Ausmaß der eigenen Probleme ein Stück weit
relativiert.
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