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Das Palliativmedizinische Team - Übermittlung
schlechter Nachrichten:
Mögliche Reaktionen auf den Erhalt einer schlechten Nachricht
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Reaktion des Patienten
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Vorbereitung auf ein schwieriges Gespräch
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Der Überbringer einer schlechten Nachricht muss auf die zu
erwartenden Reaktionen der betroffenen Patienten und eventuell auch der
Angehörigen vorbereitet sein. Dabei reagiert jeder Betroffenen natürlich
individuell unterschiedlich. Die Reaktion des Einzelnen ist nicht
vorherzusehen. Das Verständnis für die - unter Umständen heftigen - Reaktionen
des Patienten und der Angehörigen lässt sich durch mitfühlende Sätze ausdrücken,
beispielsweise "Mir ist klar, dass dies für Sie sehr schlechte Neuigkeiten sind"
oder "Ich kann verstehen, dass dies für Sie sehr schwer ist."
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Reaktionen lassen sich drei Gruppen zuordnen
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Der Autor Fallowfield hat sich mit den Reaktionen von Patienten
auf den Erhalt einer schlechten Nachricht beschäftigt und hat festgestellt, dass
sich die meisten Reaktionen einer der drei folgenden Gruppen zuordnen lassen:
- psychophsyiologische Reaktionen: zwiespältiges Bedürfnis, einerseits der
Situation aktiv begegnen zu wollen (was sich beispielsweise durch
Herumlaufen im Raum äußert) und sich der Situation andererseits durch
Rückzug in sich selbst zu entziehen
- kognitive Reaktionen:
- Beschuldigungen, beispielsweise gegen den Überbringer der
schlechten Nachricht
- Ungläubigkeit (Nicht-wahrhaben-Wollen der schlechten Nachricht)
- Versachlichung: Beschränkung auf das Verständniss der schlechten Nachricht
und auf das Gesprächs über die Nachricht auf einer rein sachlichen Ebene
(beispielsweise Tumorausdehnung, noch notwendige Diagnostik und mögliche
Therapien), wobei die eigenen Gefühle (wie Angst, Unsicherheit, Trauer) und
die Auswirkungen der Krankheit auf das eigene Leben (unter anderem
zunehmende Beeinträchtigungen und Abhängigkeit von anderen sowie zu
erwartende körperliche Beschwerden) außen vor bleiben
- Verleugnung der schlechten Nachricht, indem diese weder gegenüber
anderen noch gegenüber sich selbst akzeptiert wird ("das kann doch gar nicht
sein, da muss sich jemand geirrt haben")
- affektive Reaktionen
- Verärgerung ("das darf doch wohl nicht wahr sein, dass das ausgerechnet
mir passiert")
- Schuldgefühle ("hätte ich doch mehr auf meine Gesundheit geachtet")
- Angst und Besorgnis
- Weinen und Traurigkeit
- Beschämung ("was mögen meine Freunde nun von mir denken...")
- Erleichterung (über das Ende der Ungewissheit)
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Eingehen auf die Reaktion des Patienten
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Planung weiterer Aktivitäten
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Es gibt einige hilfreiche Möglichkeiten, sinnvoll auf die
verschiedenen Reaktionen eines Patienten einzugehen. Wenn ein Patient
beispielsweise das starke Bedürfnis hat, als Reaktion auf die schlechte
Nachricht sofort aktiv zu werden, sollte der Arzt zusammen mit dem Patienten
sofort einen Plan über das weitere Vorgehen erstellen. Darin können eventuelle
weitere sinnvolle Untersuchungen sowie infrage kommende Therapieansätze sowie
Möglichkeiten der Beschwerdelinderung enthalten sein. Auf diese Weise erhält der
Patient das Gefühl, sich gegen die schwierige Situation wehren und selbst aktiv
werden zu könne. Allerdings ist in dieser Situation zu beachten, keine
unumkehrbaren Entscheidungen zu treffen, die der Patient nach einer Phase der
inneren Einkehr eventuell bereut (zum Beispiel ausgedehnte Operation zur
Entfernung eines ohnehin unheilbaren Tumors, welche deutliche körperliche
Beeinträchtigungen des Patienten nach sich zieht).
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Folgetermin bei innerem Rückzug
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Patienten, die auf den Erhalt der schlechten Nachricht mit
innerem Rückzug reagieren, benötigen etwas Zeit, um über den ersten Schock
hinwegzukommen. Hier ist es wichtig, dass der Arzt für den nächsten oder den
übernächsten Tag einen Folgetermin vereinbart. An diesem Termin können
zwischenzeitlich entstandene Fragen geklärt und Pläne für das weitere Vorgehen
gemacht werden. Sehr wichtig ist es zudem, im Rahmen dieses Folgetermins auf die
Gefühle des Patienten einzugehen, da sich ansonsten durch unbewältigte Gefühle
schwere Depressionen entwickeln können.
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Tränen und Traurigkeit zulassen
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Eine häufige Reaktion auf eine schlechte Nachricht besteht in
einem Tränenausbruch. Es empfiehlt sich für den Arzt, der die Nachricht
überbracht hat, und eventuelle weitere anwesende Mitglieder des
palliativmedizinischen Teams, zunächst zu schweigen. Auf diese Weise kann der
Patient seine Gefühle erst einmal ohne äußere Ablenkung wahrnehmen. Nach einer
Weile ist es für den Patienten häufig hilfreich, wenn auf seine Reaktion
eingegangen wird, beispielsweise durch das Anreichen eines Taschentuches und
einen Satz wie "Ich kann gut verstehen, dass Sie weinen, das braucht Ihnen nicht
unangenehm zu sein." In dieser Situation mag die Versuchung groß sein, nach
kurzem Eingehen auf den Tränenausbruch das Thema zu wechseln und beispielsweise
zur Planung des weiteren Vorgehens überzugehen. Allerdings bedeutet eine Weile
des Schweigens, in der der Patient weiter weinen kann, für diesen eine Würdigung
seiner Gefühle durch die anwesenden Mitglieder des palliativmedizinischen Teams
und dass er seine Gefühle äußern darf. Ein zu rasches Überwechseln auf ein neues
Thema ist leicht - häufig zu recht - als Verlegenheitsreaktion angesichts des
Tränenausbruchs zu verstehen. Nach längerem Schweigen ist es dann allerdings
sinnvoll, wenn der Arzt oder ein anderes Teammitglied den Patienten behutsam
anspricht, beispielsweise mit der Frage "Gibt es etwas, das wir momentan für Sie
tun können?".
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Ärger und Wut akzeptieren
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Besonders schwer ist ein angemessenes Verhalten, wenn der Patient
auf die schlechte Nachricht mit Ärger ("das ist ungerecht") oder sogar mit
Beschuldigungen oder Beleidigungen des Teams reagiert ("das ist alles Ihre
Schuld - Sie hätten den Krebs eher feststellen müssen"). Auch wenn es schwer
fällt, sollten die Teammitglieder diese Beleidigungen nicht persönlich nehmen,
denn sie sind am ehesten Ausdruck von Angst und Unsicherheit. Die beste Reaktion
von Seiten des Teams besteht in einer derartigen Situation darin, ruhig zu
bleiben und nicht auf das Gesagte einzugehen, bis der Patient sich wieder
beruhigt, selbst wenn der Wutausbruch mehrere Minuten lang andauert.
Anschließend empfiehlt es sich, Verständnis zu äußern, beispielsweise: "Ich kann
Ihren Ärger gut verstehen. Ich würde es auch als unfair empfinden, wenn ich
plötzlich mit so einer schlechten Nachricht konfrontiert wäre." Wichtig ist
weiterhin, dass der Arzt und die anderen Teammitglieder dem Patienten ihre
fortwährende Unterstützung zusichern, damit der Patient keine Angst haben muss,
aufgrund seines Wutausbruches und der Beschuldigungen oder Beleidigungen keine
angemessene Betreuung mehr zu erhalten.
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Verleugnung erfordert besonderes Einfühlen in den Patienten
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Auch das Eingehen auf Patienten, die mit Verleugnung auf die
schlechte Nachricht reagieren, erfordert besonderes Einfühlungsvermögen. Die
Verleugnung dient dem Patienten als Schutz vor der Angst, die sonst über ihn
hereinbrechen würde. Der Arzt und die anderen Mitglieder des
palliativmedizinischen Teams müssen diese Verleugnung als Selbstschutz des
Patienten akzeptieren und dürfen ihm die Bedeutung der schlechten Nachricht
nicht aufdrängen. Da ein Patient, der eine schlechte Nachricht verleugnet, den
Ernst seiner Situation nicht wahrnimmt, muss das weitere Vorgehen sehr behutsam
besprochen werden. Auf der einen Seite muss der Arzt die Notwendigkeit und die
Bedeutung sinnvoller medizinischer Maßnahmen erläutern, auf der anderen Seite
muss diese Erläuterung die Verleugnung durch den Patienten berücksichtigen. Dies
ist unter anderem durch allgemeine statt konkrete Formulierungen möglich.
Beispielsweise kann der Arzt bei der Erläuterung einer Chemotherapie statt der
Formulierung "diese Therapie kann Ihr Leben eventuell um einige Monate
verlängern" folgende Umschreibung verwenden: "Diese Therapie kann helfen, den
Verlauf Ihrer Erkrankung zu verlangsamen."
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Konfrontation vermeiden
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Die meisten Patienten, welche die Bedeutung einer schlechten
Nachricht verleugnen, sind sich ihrer Situation dennoch bewusst. Allerdings
können und wollen sie sich selbst damit nicht direkt konfrontieren, zumindest
nicht in
der ersten Zeit nach Erhalt der schlechten Nachricht. Diese Zeit sollte den
betroffenen Patienten zugestanden werden, und man sollte ihnen die volle
Wahrheit nicht unnötig aufdrängen. Eine Möglichkeit, um mit einem verleugnenden
Patienten dennoch über seine Situation zu sprechen, besteht darin, auf seine
Gefühle einzugehen, beispielsweise: "Wir haben ja vor einigen Tagen über Ihren
Gesundheitszustand gesprochen. Wie fühlen Sie sich denn mittlerweile?" oder
"Einige Patienten, die an derselben Erkrankung leiden wie Sie, haben Angst vor
Schmerzen. Ist das bei Ihnen auch so?". Dieses Vorgehen gibt dem Patienten die
Möglichkeiten, über seine Gefühl zu sprechen, ohne konkret mit den "nackten
Tatsachen" seiner Erkrankung konfrontiert zu werden.
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Information in kleinen Schritten
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Im Rahmen dieser Gespräche
lassen sich zudem immer mal wieder einige Fakten einflechten, die der Patient in
Form "kleiner Informationshappen" dann eher bewältigen kann als eine größere
Informationsmenge. Beispielsweise kann der Arzt erwähnen, dass die geplante
Chemotherapie auch das Wachstum der Tochtergeschwülste (Metastasen) bremsen
soll, um auf diese Weise noch einmal auf das Vorliegen von Tochtergeschwülsten
hinzuweisen. Dabei ist jedoch wiederum auf mögliche Reaktionen des Patienten zu
achten, beispielsweise auf das Auftreten von Ängsten, um ihn bei deren
Bewältigung zu unterstützen. Auf diese Weise können sich die Patienten Schritt
für Schritt an ihre Situation herantasten und ihre Verleugnungsstrategie
aufgeben.
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Psychotherapeutische Begleitung
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In Einzelfällen kann es jedoch auch sinnvoll sein, wenn ein Psychologe
den Patienten dabei unterstützt, seine Verleugnung Schritt für Schritt
aufzugeben. Dies sollte insbesondere dann in Erwägung gezogen werden, wenn der
Patient wichtigen medizinischen Maßnahmen nicht zustimmen möchte, weil er deren
Notwendigkeit nicht akzeptiert.
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Unterstützende Maßnahmen
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Schritte, die den Umgang mit den Gefühlen des Patienten erleichtern
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Nicht jedem Arzt und jedem anderen Mitglied des
palliativmedizinischen Teams fällt es gleichermaßen leicht, mit Gefühlen und
Reaktionen der Patienten und ihrer Angehörigen umzugehen. Eine Hilfe stellt die
vom Autor Smith im Jahre1996 veröffentlichte Empfehlung dar, die mit dem
englischen Wort für Krankenschwester ("nurse") abgekürzt wird:
- N: "name the emotion" ("benenne das Gefühl"), beispielsweise
Identifizierung der Reaktion eines Patienten als Rückzug in sich selbst,
Wut, Versachlichung oder Angst (wobei selbstverständlich mehrere Gefühle
parallel oder kurz hintereinander auftreten können)
- U: "understand the emotion" ("verstehe das Gefühl"), das heißt
Verständnis dafür zu entwickeln, dass ein Patient auf eine schlechte
Nachricht beispielsweise mit Rückzug, Wut, Versachlichung oder Angst
reagiert
- R: "respect the patient" ("respektiere den Patienten"), das heißt
Respekt für die Gefühle und Reaktionen des Patienten haben, auch wenn man
sie (zunächst) nicht nachvollziehen kann
- S: "support the patient" ("unterstütze den Patienten"), beispielsweise
Unterstützung durch Äußerung von Verständnis, durch Spenden von Trost und
durch die Zusicherung einer kontinuierlichen, zuverlässigen Betreuung bis
zum Tod
- E: "explore what underlies the emotion" ("finde heraus, was dem Gefühl
zugrunde liegt"), beispielsweise Nachgehen der Vermutung, dass ein
Wutausbruch eines Patienten auf den durch die schlechte Nachricht
ausgelösten Schock zurückzuführen ist
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Strategien für die Bewältigung einer schlechten Nachricht entwickeln
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Nach der ersten Reaktion auf eine schlechte Nachricht kommen bei
vielen Patienten individuell unterschiedliche Bewältigungsstrategien zum Tragen,
die unter Umständen bereits in der Vergangenheit hilfreich waren. Die einzelnen
Mitglieder des palliativmedizinischen Teams können den Patienten dabei
unterstützen, solche bewährten Bewältigungsstrategien zu identifizieren und
einzusetzen. Beispielsweise ist ein Gespräch darüber sinnvoll, welche Krisen der
Patient im Laufe seines Lebens bereits bewältigen musste und was dabei hilfreich
war. So könnte sich ein Patient unter anderem daran erinnern, dass ihm
regelmäßige Treffen mit Freunden und das Hören entspannender Musik dabei
geholfen haben, über eine Trennung hinwegzukommen. In diesem Fall ist es
sicherlich empfehlenswert, den Patienten zur Kontaktaufnahme mit seinen Freunden
und zum Musikhören zu ermuntern.
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Beziehungen stützen
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Allerdings fällt es vielen Patienten mit einer schweren und
vermutlich zum Tod führenden Erkrankung schwer, Beziehungen mit
Familienangehörigen und/oder Freunden aufrechtzuerhalten oder sogar neu zu
beleben. Auch hier ist eine Unterstützung durch die Mitglieder des
palliativmedizinischen Teams begrüßenswert, beispielsweise durch Einbeziehung
der Angehörigen in die Betreuung des Patienten oder durch Einladung von Freunden
auf Wunsch des Patienten.
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Normalität herstellen
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Eine große Bewältigungshilfe besteht zudem darin, für den
Patienten und seine Angehörigen soweit wie möglich Normalität herzustellen. Dies
ist durch verschiedene Maßnahmen möglich, beispielsweise:
- Ermöglichung einer bestmöglichen körperlichen Funktionsfähigkeit durch
die dafür erforderlichen medizinischen Maßnahmen, beispielsweise regelmäßige
Krankengymnastik zum Muskeltraining und zum Erhalt der Beweglichkeit
- Bewahrung der bestmöglichen geistigen Funktion, beispielsweise durch
eine optimale Medikamentendosierung, sodass Schmerzen so gut wie möglich
gelindert werden, ohne dass als Nebenwirkung eine Schläfrigkeit eintritt
- Ermöglichung der häuslichen Betreuung des Patienten
- Ermutigung des Patienten und seiner Angehörigen, den üblichen
Tagesabläufen nachzugehen, sofern der Zustand des Patienten dies erlaubt
(allerdings sollte man auch besondere Wünsche des Patienten, die von der
Routine abweichen, so weit wie möglich erfüllen, beispielsweise der Wunsch
nach einem besonderen Essen, einem Ausflug oder dem Besuch einer
Ausstellung)
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Ängste und Sorgen benennen
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Hilfreich ist zudem, die Sorgen und Ängste eines Patienten mit
ihm zusammen nach der Wichtigkeit zu ordnen und entsprechend dieser Reihenfolge
darauf einzugehen. Auf diese Weise kann der Patient sich innerlich "sortieren"
sowie seine Sorgen und Ängste identifizieren und benennen. Eine große
Erleichterung lässt sich unter Umständen erreichen, wenn die wichtigsten und
bedrängendsten Sorgen und Ängste gelindert werden können. Die Bewältigung der
als weniger wichtig eingestuften Probleme erscheint dann zudem häufig einfacher.
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