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Die Sterbephase
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Einleitung und Begriffserklärung
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Ziele der Palliativmedizin
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Zu den Grundsätzen der Palliativmedizin gehört es, das Sterben und den Tod
als normale Bestandteile des Lebens zu betrachten. Entsprechend sollen Sterben
und Tod aus palliativmedizinischer Sicht weder beschleunigt noch verzögert
werden. Zudem hat jeder Patient das Recht auf eine angemessene Sterbebegleitung,
in welche auf Wunsch auch die Familienangehörigen und die engen Freunde des
Patienten einbezogen werden sollten. Die Aufgabe für die Mitglieder des
palliativmedizinischen Teams besteht in dieser Situation darin,
bestmögliche Bedingungen zu schaffen, damit ein einzelner Palliativpatient
entsprechend seiner individuellen Situation und seiner persönlichen Bedürfnisse
würdevoll sterben kann.
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Terminalphase
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Das Sterben beginnt mit der sogenannten Terminalphase. Wodurch sich diese
genau auszeichnet, wird von verschiedenen palliativmedizinischen Spezialisten
etwas unterschiedlich bewertet und beschrieben. Eine Definition des
Palliativmediziners R. Twycross lautet: "Der Patient ist sehr schwach, zumeist
bettlägerig, schläfrig für lange Perioden mit stark limitierter
Konzentrationszeit. Es besteht zunehmendes Desinteresse an Nahrung und an
Flüssigkeit." Ein anderer Autor, P. Kaye, nennt eine etwas andere Definition:
"Das Terminalstadium kann als jene Phase definiert werden, in der bei dem
Patienten eine tägliche Verschlechterung eintritt und der klinische Zustand von
Tag zu Tag aufs Neue beurteilt werden muss. Es kommt zum Auftreten von Schwäche
(manchmal sehr ausgeprägt), Schläfrigkeit, Bettlägerigkeit, Appetitlosigkeit,
Organversagen und schließlich zur peripheren Zyanose [bläuliche Verfärbung der
Haut, der Schleimhäute und der Fingernägel als Folge einer Minderversorgung des
Körpers mit Sauerstoff]. Es ist sehr schwer vorauszusagen, wann die terminale
Phase beginnen wird. In diesen letzten Lebenstagen hat das Wohlfühlen höchste
Priorität".
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Phasen des letzten Lebensabschnitts
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Eine
weitere Beschreibung dieses letzten Lebensabschnitts orientiert sich an dem
Verlauf einer unheilbaren Erkrankung in 4 Phasen mit der Terminalphase als
vorletzter Phase und schließlich der Sterbephase als Abschluss:
- Rehabilitationsphase: weitgehend normale Alltagsaktivität trotz einer
Erkrankung, Lebenserwartung von vielen Monaten bis Jahren
- Präterminalphase: eingeschränkte Möglichkeiten einer aktiven
Lebensgestaltung, Lebenserwartung von mehreren Wochen bis mehreren
Monaten
- Terminalphase: Bettlägerigkeit des Kranken, häufig begleitet von
Rückzug und Ruhelosigkeit, Lebenserwartung von wenigen Tagen bis zu
einer Woche
- Sterbephase: Bewusstsein des sterbenden Patienten nach innen
gerichtet, Lebenserwartung von einigen Stunden bis zu einem Tag
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Definition der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin
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Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin unterscheidet zudem zwischen
der Terminalphase und der eigentlichen Sterbephase: "Wenn eine progrediente
[fortschreitende] Erkrankung deutlich die Aktivität des Betroffenen
beeinträchtigt, wird von der Terminalphase gesprochen. Mit einem raschen Wechsel
der Symptome ist zu rechnen, eine engmaschige Betreuung und vermehrte
Unterstützung der jetzt noch stärker geforderten Angehörigen ist nötig. Meist
zieht sich die Terminalphase über Wochen bis Monate hin, bevor sie in die
Sterbephase mündet. Die Sterbephase umfasst die letzten Stunden (selten Tage)
des Lebens. Ziel der Betreuung ist es jetzt, einen friedlichen Übergang zu
ermöglichen und die Angehörigen zu stützen."
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Häufung von Symptomen und schnelle Symptomveränderung
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Oft nur wenige Symptome im Vordergrund
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Bei Palliativpatienten in der Sterbephase stehen häufig nur ein -
gelegentlich auch einige wenige - Symptom(e) im Vordergrund und beeinträchtigen die Lebensqualität. Zudem ergibt
sich gelegentlich die Problematik, dass eine Linderung belastender Symptomen
neue Beschwerden verursacht. So kann beispielsweise eine wirkungsvolle
Schmerztherapie bei Tumorschmerzen eine Schläfrigkeit und eine Beeinträchtigung
der geistigen Funktionen nach sich ziehen. Eine gewisse Wachheit ist jedoch
gerade in der Sterbephase von Bedeutung, damit sich der sterbende
Palliativpatient bewusst von seinen Angehörigen und Freunden verabschieden sowie
"Unerledigtes" erledigen kann.
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Individuelle Beurteilung und individuelles Vorgehen
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Bei verschiedenen Palliativpatienten mit unterschiedlichen oder auch
vergleichbaren Erkrankungen können ganz unterschiedliche Beschwerden im
Vordergrund stehen, beispielsweise Schmerzen oder Atemnot. Zudem kann das Ausmaß
der Beschwerden im Tagesverlauf und während der gesamten Sterbephase stark
schwanken. Daher ist es meist nicht möglich, bei bestimmten Beschwerden immer
die gleichen therapeutischen Maßnahmen anzuwenden. Vielmehr ist es erforderlich,
eine für den individuellen Patienten am besten passende Lösung zur bestmöglichen
Linderung seiner Beschwerden zu finden. Zu diesem Zweck sollten die einzelnen
Mitglieder des palliativmedizinischen Teams eng zusammenarbeiten und sich
zudem mit dem Patienten selbst sowie mit seinen Angehörigen beraten.
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Übersicht möglicher Symptome
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Bei Palliativpatienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung, die in die
Sterbephase eintreten, können unter anderem folgende Symptome und Beschwerden
auftreten:
- Einschränkung der Leberfunktion, was unter anderem eine gewisse
Schläfrigkeit nach sich zieht, aber auch zu Bewusstseinseinschränkungen,
Zittrigkeit, Juckreiz, Übelkeit, Erbrechen, Schwindelbeschwerden,
Wassereinlagerungen im Gewebe (Ödeme), Bauchwassersucht (Aszites) und
Blutgerinnungsstörungen führen kann
- Nierenschwäche (Niereninsuffizienz) mit daraus folgenden Symptomen
wie Übelkeit, Juckreiz und Wassereinlagerungen im Gewebe (Ödeme) sowie
Beeinträchtigungen bei der Ausscheidung verschiedener Medikamente
- Funktionsbeeinträchtigung des Knochenmarks (Knochenmarkinsuffizienz),
in welchem die Blutzellen gebildet werden, was durch die verringerte
Produktion der immunologisch bedeutsamen weißen Blutkörperchen eine
erhöhte Infektanfälligkeit bedeutet
- verschiedene Magen-Darm-Beschwerden, unter anderem bedingt durch
einen Darmverschluss
- Atemnot, Veränderungen des Atemmusters ohne begleitende Luftnot sowie
das sogenannte terminale Rasseln als typisches Symptom der Sterbephase
- Herzrhythmusstörungen sowie Blutdruckabfall bis hin zum Fehlen des
Pulses
- Verringerung bis hin zum Erlöschen der Muskelspannung und der
Muskeleigenreflexe
- Veränderung des Gesichtsausdrucks (sogenannte Facies hippocratica):
fahlgraue Verfärbung der Haut, Bildung von kaltem Schweiß auf der Stirn,
spitzes und blasses Aussehen der Nase sowie spürbare Kälte der Nase und
vorgeschobenes Kinn
- Einschränkungen der Hirnfunktion, sodass es unter anderem zu
Bewusstseinsstörungen und Krampfanfällen, aber auch zu einer
Beeinträchtigung der willentlich nicht steuerbaren, sogenannten
vegetativen Funktionen kommt, was sich beispielsweise in Form von
Erbrechen, Verstopfung, Darmverschluss, Harn- und Stuhlverhalt oder Harn- und Stuhlinkontinenz sowie
Störungen der Atmung und der Herztätigkeit äußert
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Umstellung der Medikamente
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Medikamente können oft nicht mehr geschluckt werden
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Ungefähr 20 Prozent aller Palliativpatienten sind bei Beginn der Sterbephase
nicht mehr in der Lage, ihre Medikamente zu schlucken. Während der letzten
3 Lebenstage ist dies sogar bei 75 Prozent aller Palliativpatienten der Fall und
in den letzten Lebensstunden bei 90 Prozent. Die Ursache dafür besteht meist in
einer Bewusstseinstrübung, welche wiederum eine Schluckstörung nach sich zieht.
Weitere mögliche Ursachen sind Schluckstörungen, welche aus anderen Gründen
bestehen, sowie eine allgemeine Schwäche, Erbrechen und Darmfunktionsstörungen.
Bei häufigem Erbrechen würde das geschluckte Medikament den Körper durch das
Erbrechen sofort wieder verlassen, und bei Darmfunktionsstörungen ist die
Aufnahme der Wirkstoffe aus dem Darm in die Blutbahn beeinträchtigt.
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Verabreichung ändern
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Diese Schluckunfähigkeit in Bezug auf Medikamente hat zur Folge, dass
notwendige Medikamente auf einem anderen Weg verabreicht werden müssen,
beispielsweise in Form von Spritzen, Infusionen (in eine Vene oder in das
Unterhautfettgewebe), Zäpfchen oder als Lösungen, welche man über eine
vorhandene Magensonde in den Magen geben kann. Die Verwendung von Pflastern,
beispielsweise für die kontinuierliche Verabreichung von Schmerzmedikamenten,
ist bei Palliativpatienten meist nicht sinnvoll, weil die Aufnahme der
Wirkstoffe aus dem Pflaster in die Haut in der letzten Lebensphase häufig nicht
mehr zuverlässig erfolgt. Dagegen ist es für einige Medikamente, darunter
Schmerz- und Beruhigungsmittel, möglich, diese in der Wangentasche des Patienten
zu "deponieren". Dort lösen sie sich auf, und der Wirkstoff wird über die gut
durchblutete Mundschleimhaut in das Blut aufgenommen.
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Verabreichung prüfen
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Zudem ist natürlich sorgfältig abzuwägen, welche Medikamente für einen schwer
kranken beziehungsweise sterbenden Palliativpatienten tatsächlich notwendig
sind, wie dies beispielsweise für Schmerzmedikamente gilt.
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Kriterien zur Beurteilung
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Ist ein Palliativpatient in der Sterbephase nicht mehr in der Lage, seine
Medikamente zu schlucken, ist ein auf den einzelnen Patienten zugeschnittenes,
individuelles Vorgehen erforderlich. Dabei hilft im Einzelfall die Beantwortung
folgender Fragen:
- Auf welche Medikamente kann verzichtet werden? Beispiele:
Medikamente zur Senkung erhöhter Blutfettwerte oder eines erhöhten
Blutdrucks sowie Medikamente zur Behandlung einer Zuckerkrankheit
- Auf welche Medikamente kann nicht verzichtet werden?
Beispiele: Schmerzmittel, in einigen Fällen Beruhigungsmittel sowie
Medikamente zur Vorbeugung von Krampfanfällen sowie Wirkstoffe gegen
Übelkeit und Angstzustände
- Auf welche Weise können die erforderlichen Medikamente bei
Schluckunfähigkeit am besten verabreicht werden?
Beispiele: als Zäpfchen, als "Depot" in der Wangentasche, als Spritze in
eine Vene oder in das Unterhautfettgewebe oder als Infusion (ebenfalls
in eine Vene oder in das Unterhautfettgewebe)
- Gibt es einen Ersatz für Medikamente, welche nur in "schluckbarer"
Form vorhanden sind?
Beispiel: Medikamente zur Vorbeugung von Krampfanfällen, welche auch
über die Mundschleimhaut aufgenommen oder als Infusion verabreicht
werden können
- Ist es notwendig, die Dosierung eines Medikaments zu verändern, wenn
es nicht mehr geschluckt, sondern beispielsweise in Form von Infusionen
verabreicht wird?
- Ändert sich die Wirkdauer eines Medikaments, wenn es nicht mehr
geschluckt, sondern beispielsweise in Form von Infusionen verabreicht
wird, sodass die Abstände zwischen den einzelnen Medikamentengaben
angepasst werden müssen?
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Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr
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Durst und Appetit lassen oft stark nach
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In den letzten Lebenstagen ist keinerlei Beschränkung der Trinkmenge oder der
Nahrungszufuhr erforderlich. Allerdings haben sterbende Palliativpatienten in dieser Lebensphase
häufig nur
eingeschränkt Durst und Appetit. Außerdem bedeutet Essen und
Trinken häufig eine enorme Kraftanstrengung, und die darauf verwendete Kraft fehlt unter Umständen für andere Dinge, die
dem Patienten weitaus wichtiger sind (z. B. Gespräche mit
Familienangehörigen und Freunden). Essen bedeutet oft auch, dass der Sterbende
danach deutlich müde wird. Es kann auch bestehende Luftnot verstärken. Hierauf
muss unbedingt Rücksicht genommen werden. Der Patienten
darf nicht zum Trinken oder Essen gedrängt oder gar gezwungen werden. Auch sollten Essen und
Trinken nicht danach ausgewählt werden, was gesund oder medizinisch sinnvoll ist
- in diesen letzten Lebenstagen sind allein die Wünsche des sterbenden Patienten
von Bedeutung.
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Nebenwirkungen von Infusionen
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Infusionen zu Zufuhr von Flüssigkeit können bei Palliativpatienten in der
Sterbephase verstärkt zu Nebenwirkungen kommen, z. B.:
- Flüssigkeitsansammlung im Bereich des Brustfells (Pleuraerguß)
- Flüssigkeitsanreicherung in der Bauchhöhle (Aszites)
- Flüssigkeitseinlagerung unter der Haut (Anasarka)
- vollständiger oder teilweise Darmverschluss mit daraus
folgendem Erbrechen
Deshalb muss die Gabe von Flüssigkeit immer individuell sorgfältig abgewogen
werden.
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Mögliche positive Effekte
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Allerdings kann eine Flüssigkeitszufuhr bei einigen Palliativpatienten durchaus
positive Auswirkungen haben, insbesondere eine Verbesserung der Aufmerksamkeit.
Dieser positive Effekt lässt sich vor allem bei jenen Palliativpatienten
beobachten, bei denen es im Zuge einer Schmerztherapie mit Opioiden zu Bewusstseinsstörungen
oder anderen typischen Nebenwirkungen kommt.
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Begleitung des Patienten und seiner Familie
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Stadien im Umgang mit dem nahenden Tod
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Nach Beobachtungen der bekannten Psychiaterin Kübler-Ross erleben viele
sterbende Menschen in ihren letzten Lebensphasen verschiedene Stadien:
- Schock
- Verdrängung
- Aggression
- Verhandeln
- Depression
- Annahme
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Beispiele
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Beispielsweise kann auf den Schock über die Erkenntnis, bald sterben zu
müssen, eine Verdrängung dieser Situation folgen, sodass der nahende Tod aus dem
Bewusstsein verdrängt wird. Dem können sich Aggressionen und eine Phase
des Verhandelns (Beispiel "wenn ich alle ärztlichen Ratschläge befolge, kann
ich sicherlich noch etwas länger leben") anschließen. Dem folgt unter Umständen
eine depressive Phase, bevor die Situation innerlich akzeptiert und angenommen
wird.
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Unterschiede
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Diese Phasen sind jedoch nicht auf alle sterbenden Menschen gleichermaßen
anwendbar. Vielmehr können einzelne Phasen fehlen oder in abweichender
Reihenfolge auftreten, zudem können Elemente einzelner Phasen parallel
vorkommen.
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Angehörige und Freunde
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Von diesen Phasen des Sterbens beziehungsweise den seelischen Reaktionen auf
den nahenden Tod ist nicht nur der jeweilige Palliativpatient selbst betroffen,
sondern in der Regel auch seine Angehörigen und Freunde. Zum einen sind sie mit
den Reaktionen des Patienten konfrontiert und müssen entsprechend reagieren, zum
anderen können sie diese Phasen beziehungsweise diese seelischen Reaktionen
unter Umständen auch bei sich selbst wahrnehmen und müssen dann damit umgehen.
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Kein vorschnelles oberflächliches Trösten
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Der Patient sollte nicht vorschnell getröstet oder beruhigt werden.
Dies verhindert eine tiefe, wirkungsvolle Auseinandersetzung mit dem Sterben und
kann bei dem betreffenden Patienten zudem den Eindruck vermitteln, dass sich
seine Freunde und Angehörigen beziehungsweise die Mitglieder des
palliativmedizinischen Teams nicht mit seinen Sorgen, Nöte und Anliegen befassen
wollen und dass sie ihn stattdessen lieber schnell und oberflächlich trösten und
beruhigen möchten. Im Gegensatz dazu bietet das Eingehen auf die Sorgen, Nöte
und Anliegen des Patienten diesem die Möglichkeit, darüber zu sprechen und sich
dadurch zu entlasten und verstanden zu fühlen. Auch wenn der Gesprächspartner im
Angesicht dieser schwierigen Situation verständlicherweise keine "Problemlösung"
anbieten kann, stellen das verständnisvolle Zuhören und das Eingehen auf die
Sorgen des Patienten in der Regel eine große Hilfe dar. Zudem können sich durch
diese Gespräche Möglichkeiten für kleine Freuden ergeben, die für den Patienten
hilfreich sind, beispielsweise das Besorgen einer Musik-CD, die der Patient vor
seinem Tod gerne noch einmal hören möchte, weil er damit schöne Erinnerungen
verbindet.
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Den Sterbenden unterstützen
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Für die Angehörigen und Freunde des Patienten sowie die Mitglieder des
palliativmedizinischen Teams gehört es in der Sterbephase mit zu den wichtigsten
Aufgaben, den sterbenden Palliativpatienten stützend durch die verschiedenen
Phasen zu begleiten und verständnisvoll auf dessen seelische Reaktionen
einzugehen. Dies fällt verständlicherweise nicht immer leicht, da insbesondere
Angehörige und Freunde des sterbenden Patienten selbst unter der schwierigen
Situation und dem zu erwartenden Verlust eines geliebten Menschen leiden.
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Symbolsprache Sterbender
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Sterbende nutzen Symbole
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In der Sterbephase haben viele Menschen das Bedürfnis, über das
bevorstehende Sterben zu sprechen. Sie tun dies aber häufig in einer anderen
Ausdrucksform - sie verwenden eine symbolhafte Sprache. Warum das so ist,
ist bisher nicht eindeutig geklärt. Es wird aber vielfach beobachtet.
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Fehldeutung
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Leider wird diese bildhafte Sprache häufig als Desorientierung oder
Verwirrtheit verkannt. Das nimmt des Sterbenden die Möglichkeit, sich
mitzuteilen.
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Beispiele
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Beispiele für eine Symbolsprache sind etwa: "Ich brauche noch den Koffer
vom Dachboden." oder "Wir dürfen nicht zu spät zum Bahnhof kommen." Die
Deutung ist hier, dass der Betroffene sich (durch Kofferpacken) auf die
bevorstehende Reise (den Tod) vorbereiten möchte.
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Richtig reagieren
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Wichtig ist es, dem Sterbenden in gleicher Weise zu antworten. Das
signalisiert ihm: Ich bin verstanden worden. Das ist sehr wichtig. Oft
reicht es auch aus, die Aussage zu wiederholen (spiegeln) und so Verständnis
zu signalisieren. Antworten oder Fragen in der "realen Ebene" werden dagegen
als Unverständnis empfunden. Nicht selten verstummt der Sterbende dann für
eine Weile, bevor er erneut das Gespräch sucht.
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Kinder
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Sterbende Kinder wählen als symbolhafte Ausdrucksform auch häufig
Zeichnungen.
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Besondere Bedürfnisse sterbender Palliativpatienten
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Unterschiede beachten
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Die besonderen Bedürfnisse eines sterbenden Menschen sind natürlich von
Person zu Person ganz unterschiedlich. Dennoch lassen sich einige Bedürfnisse
abgrenzen, die vermutlich bei jedem sterbenden Menschen vorhanden sind und somit
sowohl von den Angehörigen und Freunden des Sterbenden als auch von den
Mitgliedern des palliativmedizinischen Teams beachtet werden sollten.
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Deklaration der Rechte Sterbender
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Diese
Bedürfnisse wurden in Form der "Deklaration der Rechte Sterbender"
zusammengefasst und lauten:
- Ich habe das Recht, bis zuletzt als lebender Mensch behandelt zu
werden.
- Ich habe das Recht, stets noch hoffen zu dürfen – worauf immer sich
diese Hoffnung auch richten mag.
- Ich habe das Recht darauf, von Menschen umsorgt zu werden, die sich
eine hoffnungsvolle Einstellung zu bewahren vermögen – worauf immer sich
diese Hoffnung auch richten mag.
- Ich habe das Recht, Gefühle und Emotionen anlässlich meines nahenden
Todes auf die mir eigene Art und Weise ausdrücken zu dürfen.
- Ich habe das Recht, kontinuierlich medizinisch und pflegerisch
versorgt zu werden, auch wenn das Ziel "Heilung" gegen das Ziel
"Wohlbefinden" ausgetauscht werden muss.
- Ich habe das Recht, nicht alleine zu sterben.
- Ich habe das Recht, schmerzfrei zu sein.
- Ich habe das Recht, meine Fragen ehrlich beantwortet zu bekommen.
- Ich habe das Recht, nicht getäuscht zu werden.
- Ich habe das Recht, von meiner Familie und für meine Familie Hilfen
zu bekommen, damit ich meinen Tod annehmen kann.
- Ich habe das Recht, in Frieden und Würde zu sterben.
- Ich habe das Recht, meine Individualität zu bewahren und meiner
Entscheidungen wegen nicht verurteilt zu werden, wenn diese im
Widerspruch zu den Einstellungen anderer stehen.
- Ich habe das Recht, offen und ausführlich über meine religiösen
und/oder spirituellen Erfahrungen zu sprechen, unabhängig davon, was
diese für andere bedeuten.
- Ich habe das Recht zu erwarten, dass die Unverletzlichkeit des
menschlichen Körpers nach dem Tode akzeptiert wird.
- Ich habe das Recht, von fürsorglichen, empfindsamen und klugen
Menschen umsorgt zu werden, die sich bemühen, meine Bedürfnisse zu
verstehen, und die fähig sind, innere Befriedigung daraus zu gewinnen,
dass sie mir helfen, meinem Tod entgegen zu sehen.
Diese Deklaration der Menschenrechte Sterbender entstand 1984 während eines
Workshops unter dem Thema "Der Todkranke und der Helfer" in Lansing/Michigan
(USA).
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Besondere Bedürfnisse von Angehörigen sterbender Palliativpatienten
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Angehörige können vielfach unterstützt werden
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Die Palliativmedizin hat nicht nur den Anspruch, schwer kranke und sterbende
Patienten bestmöglich zu begleiten und zu betreuen - auch die Begleitung und die
Betreuung der Angehörigen gehören mit zu den palliativmedizinischen Aufgaben.
Denn auch die Angehörigen eines schwer kranken und eventuell sterbenden
Patienten leiden häufig stark unter dieser schwierigen Situation und benötigen
vielfach Hilfe und Unterstützung. Die Mitglieder des palliativmedizinischen
Teams können den Angehörigen beispielsweise helfen, indem sie
- den Angehörigen die Situation, in der sich der Palliativpatient
befindet, geduldig erklären (beispielsweise Krankheitsverlauf, mögliche
therapeutische und pflegerische Maßnahmen zur Beschwerdelinderung,
wahrscheinlicher weiterer Verlauf der Erkrankung und des Sterbens)
- den Angehörigen sowie dem Palliativpatienten selbst dabei behilflich
sind, in der letzten Lebensphase miteinander zu kommunizieren und
eventuelle "unerledigte Dinge" zu bereinigen, sofern Patient und
Angehörige Kommunikationsprobleme haben
- sowohl dem Palliativpatienten als auch seinen Angehörigen zusichern,
zuverlässig zur Verfügung zu stehen, wenn Begleitung, Hilfe und
Unterstützung erforderlich sind
- den Angehörigen deutlich machen, dass sie auch nach dem Tod des
Palliativpatienten weiter als Ansprechpartner und als Hilfspersonen zur
Verfügung stehen
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Praktische Hilfen oft sehr wirkungsvoll
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Häufig sind auch ganz praktische Maßnahmen hilfreich. Beispielsweise fühlen
sich Angehörige häufig hilflos und wissen nicht, wie sie mit ihrem sterbenden
Familienmitglied umgehen sollen. Hier können praktische pflegerische
Anleitungen, beispielsweise zur Körperpflege oder zur Hilfestellung beim Essen
und Trinken, äußerst nützlich sein. Zum einen fühlen sich pflegende Angehörige
dadurch sicherer und weniger hilflos im Umgang mit dem sterbenden
Palliativpatienten, zum anderen werden sie auf diese Weise in die Situation
integriert und können dem Patienten näher sein, als wenn sie nur passiv "von
außen" das Geschehen verfolgen. Insbesondere durch pflegerische Maßnahmen wie
Körperpflege, Lagerung und Hilfe beim Essen und Trinken entsteht zudem
körperliche Nähe zwischen dem Palliativpatienten und seinen Angehörigen, was
wiederum die innere Nähe stärkt und meist sowohl dem Patienten als auch den
pflegenden Angehörigen gut tut.
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Palliative Sedierung
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Das Leiden verringern
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Eine palliative Sedierung ist eine mit
Medikamenten herbeigeführte Einschränkung des Bewusstseins. Sie kann als letzte
Maßnahme in der Sterbephase eingesetzt werden, um unerträgliches Leiden zu
vermeiden. Die palliative Sedierung ist eine Therapieoption, sie dient nicht
dazu, das Sterben zu beschleunigen, sondern das Leiden zu erleichtern.
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Voraussetzungen
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Voraussetzung für die palliative Sedierung ist das Ausschöpfen aller
anderen möglichen Therapieoptionen. Diese Maßnahmen müssen natürlich
ausreichend in der Krankenakte dokumentiert sein. Die Angehörigen und der
Patient müssen über die Formen der Sedierung, die Art und Tiefe der
Sedierung und die Dauer informiert werden. Nichts geschieht ohne die
Zustimmung des Patienten.
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Medikamente
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Für manche Patienten ist schon das Wissen um die Möglichkeit der palliativen
Sedierung eine gewisse Beruhigung und vermindert die Angst. Ist dennoch eine
Entscheidung für die Sedierung gefallen, so wird diese mit Hilfe verschiedener
Medikamente durchgeführt, meistens werden Beruhigungs- und Schlafmittel sowie
Schmerzmittel miteinander kombiniert.
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Kontrolle der Wirksamkeit der Sedierung
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Wichtig ist im Verlauf zu überprüfen, ob der Zweck der Sedierung, die
Symptomlinderung, auch erreicht wurde. Dies ist
beispielsweise durch die teilweise noch mögliche, verbale oder nonverbale
Kommunikation mit dem Patienten durchführbar, außerdem durch verschiedene Tests
(beispielsweise Auslösung von Schmerzreizen und Beobachtung der Reaktion des
Patienten auf die Schmerzreize). Eine nonverbale Kommunikation ist durchaus
möglich, da ein sedierter Patient trotz der Sedierung hören, sehen, riechen,
schmecken und fühlen kann. Diese Sinnesreize lassen sich sogar für die
Durchführung therapeutischer Maßnahmen während der palliativen Sedierung nutzen,
beispielsweise Abspielen der Lieblingsmusik des Patienten, Auftragen seines
Lieblingsparfums, Berührungen mit einem bekannten Kuscheltier oder einer
"Schmusedecke" oder Pflege des Mundes unter Nutzung des Lieblingsgetränkes.
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Kontrolle der Tiefe der Sedierung
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Außerdem muss die "Tiefe" der Sedierung regelmäßig überprüft werden. Dabei
kommen verschiedene Tests zur Anwendung, unter anderem die Überprüfung der
Sedierungstiefe anhand der in der Intensivmedizin gebräuchlichen Ramsey-Skala.
Diese ist folgendermaßen unterteilt:
- wacher, orientierter Patient (Beurteilung: Wachheit)
- unruhiger, ängstlicher, agitierter Patient (Beurteilung: zu
geringe Sedierungstiefe)
- wacher, kooperativer Patient, der eine künstliche Beatmung gut
toleriert (Beurteilung: angemessene Sedierungstiefe)
- schlafender, aber kooperativer Patient, der beispielsweise bei
Berührung oder lauter Ansprache die Augen öffnet (Beurteilung:
angemessene Sedierungstiefe)
- tief sedierter Patient, der beispielsweise bei Berührung oder
lauter Ansprache nicht die Augen öffnet, aber auf Schmerzreize reagiert
(Beurteilung: angemessene Sedierungstiefe)
- Narkose, sodass der Patient nur träge auf Schmerzreize reagiert
(Beurteilung: tiefe Sedierung)
- tiefes Komas, sodass der Patient überhaupt nicht auf Schmerzreize
reagiert (Beurteilung: zu tiefe Sedierung, die wieder "flacher"
gestaltet werden sollte)
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Dauer der Sedierung
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Die Entscheidung darüber, wie tief eine Sedierung sein sollte und wie lange
sie durchzuführen ist, richtet sich nach dem Wohlbefinden des Patienten. Es ist sinnvoll, die palliative Sedierung nach 24 oder 48
Stunden zu unterbrechen und zu überprüfen, ob eine Weiterführung sinnvoll und
notwendig ist oder nicht.
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Behandlung der Symptome
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Es ist äußert wichtig, die verschiedenen Symptome eines Palliativpatienten
auch während einer palliativen Sedierung weiterhin zu behandeln, weil der
Patient unter Umständen trotz der palliativen Sedierung weiterhin darunter
leidet. Solche Symptome sind beispielsweise Übelkeit, Halluzinationen, Schmerzen
und Luftnot. Auch wegen möglicher Entzugsymptome sollten in Frage kommende
Medikamente, z. B. starke Schmerzmittel, weiterhin verabreicht werden.
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Quellen der Texte zur Sterbephase
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Online-Quellen
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Quellen
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-
Kloke M, Reckinger K, Kloke O
(Hrsg.) (2009) Grundwissen Palliativmedizin. Deutscher Ärzte-Verlag,
Köln
-
Brender E, Burke A, Glass RM
(2005) Palliative Sedation. JAMA 294: 1850
-
Cherny NI (2006) Sedation for
the care of patients with advanced cancer. Nature Clinical Practice
Oncology 3: 492-500
-
Twycross R, Lichter I (1993) The
terminal phase. In: Dolye D, Hanks GWC, MacDonald N (eds) Oxford
textbook of palliative medicine. Oxford University Press, Oxford, New
York, pp 651-661
-
Kaye N: Medical managed care
looking forward back. National Academy for State Health Policy, Portland
ME (2005)
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