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Erster Weltkongress zur seelischen Gesundheit der Frau 27. - 31. März 2001 in Berlin |
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Dr. Anette Kersting:
Psychiatrische Aspekte nach Fehl- und
Totgeburt sowie nach einem Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation.
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Die
Freude auf das Kind wird abrupt beendet. |
Mit der Geburt eines Kindes verbinden die Eltern viele Wünsche
und Hoffnungen. Sie bereiten sich auf das Baby vor, indem sie nach einem Namen suchen und
überlegen, wie das Kind aussehen wird und wie es sein wird. Die Diagnose einer schweren
Missbildung, an der das Kind bald nach der Geburt sterben wird, oder der Tod eines Babys
in der Schwangerschaft, während oder nach der Geburt gehören zu den schwierigsten
Lebensereignissen, die Menschen zu bewältigen haben. Die Eltern stehen einer völlig
neuen Realität gegenüber, die mit der bisherigen Freude auf das Kind nichts mehr zu tun
hat.
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Trauer
ist individuell unterschiedlich und kann Jahre dauern. |
Der
nun folgende Trauerprozess hat
in der Regel individuell unterschiedliche Facetten und wird durch viele Faktoren
beeinflusst. Waren frühere Wissenschaftler der Meinung, dass normale Trauerprozesse nach
wenigen Monaten abgeschlossen sein müssten, so zeigen aktuellere Untersuchungen, dass
auch noch viele Monate oder Jahre später Trauersymptome auftreten können. |
Der
plötzliche Tod des Kindes stützt Eltern oft in quälende Selbstvorwürfe und
Selbstzweifel. |
Wenn sich Eltern während einer längeren Krankheit auf den Tod
ihres Kindes vorbereiten können, können sie sich auf eine andere Weise von ihm
verabschieden und den Verlust betrauern, als wenn das Kind plötzlich im Mutterleib oder
kurz nach der Geburt verstirbt. In einer solchen Situation sind die Eltern mit Gefühlen
der Hilflosigkeit und des Kontrollverlusts konfrontiert. Sie habe keine Möglichkeit auf
die Situation einzuwirken und etwas zum Uberleben ihres Kindes beizutragen. Quälende
Fragen, ob sie den Tod oder die tödliche Erkrankung ihres Babys vielleicht hätten
vermeiden können, kommen nicht selten hinzu, auch wenn sie keine realistische Grundlage
haben.
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Die
Umstände des Todes sind von besonderer Bedeutung. |
Die
Umstände des Verlusts sind für seine Verarbeitung von erheblicher Bedeutung.
Insbesondere plötzliche Verluste, die sich unter traumatischen Umständen ereignen,
können zu komplizierten Trauerprozessen führen, unter denen viele Mütter noch Jahre
später leiden. Frauen, die eine Fehlgeburt oder eine Totgeburt erleben oder einen
Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation vornehmen lassen, haben ein hohes
Risiko, an einer Sonderform pathologischer Trauer, der traumatischen Trauer, zu
erkranken. |
Die
traumatische Trauer ist eine Sonderform der Trauer, mit einem eigenen Krankheitswert. |
Bei
der traumatischen Trauer, einem Krankheitsbild, das bisher kaum beschrieben wurde,
handelt es sich um einen speziellen Symptomkomplex, der mit intensivem
seelischen Schmerz (heftige Gefühle und starke Sehnsüchte nach dem verstorbenen
Baby) aber auch einer intrusiven und vermeidenden Symptomatik einher geht. So
leiden die betroffenen Mütter auch Jahre nach dem Verlust noch unter den sich ihnen
aufdrängenden Erinnerungsbildern. Sie sehen beispielsweise ihr totes Baby oder eine
andere in der aktuellen Situation erlebte Szenerie im Krankenhaus vor ihrem inneren
Auge", ohne in der Lage zu sein, diese Bilder wieder wegzuschieben. Manche Mütter
entscheiden sich gegen eine weitere Schwangerschaft, weil sie große Angst davor haben,
dass sich das Erlebte wiederholen könnte. Andere Mütter meiden Situationen, die sie an
das Erlebte erinnern und können es dann z.B. nicht mehr ertragen, an der Klinik
vorbeizufahren, in der ihr Kind verstarb oder tot zur Welt kam. |
Der
Tod muss ausreichend bewältigt werden. |
Depressionen
oder Angsterkrankungen können weitere
Hinweise darauf sein, dass der Tod eines Kindes von der Mutter auch nach Jahren nicht
ausreichend bewältigt wurde. Sehr häufig werden die Ursachen dieser psychischen
Erkrankungen, die in einer nicht ausreichend verarbeiteten Trauer begründet sind, nicht
erkannt und nicht behandelt.
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Forschungsprojekt
in Münster gestartet. |
In
der Psychiatrischen Universitätsklinik in Münster wird derzeit unter der Leitung
von Frau Dr. Anette Kersting ein Forschungsprojekt durchgeführt, das sich mit der
Art und dem Ausmaß der Symptomatik von Eltern nach dem plötzlichen Verlust eines Kindes
während der Schwangerschaft, kurz nach der Geburt oder nach einem Abbruch der
Schwangerschaft aus medizinischer Indikation befasst. Dabei wird erstmalig auch die
spezielle Symptomatik der traumatischen Trauer in Abgrenzung zu depressiven Reaktionen und
zu normalen Trauerprozessen erfasst. Langfristig ist anzustreben, dass pathologische
Trauerreaktionen wie die traumatische Trauer rechtzeitig erkannt und behandelt werden
können, um chronifizierte Erkrankungsverläufe zu vermeiden. |
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Die
Entwicklung eines auf die spezielle Verlustsituation dieser Eltern abgestimmten
spezifischen Behandlungskonzepts ist ebenfalls Inhalt der Studie. |
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