Multiple
Sklerose ist eine entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems (ZNS). Obwohl die
Ursachen bis heute nicht eindeutig geklärt sind, kann man die anatomischen Veränderungen
recht genau beschreiben. Bei der Multiplen Sklerose kommt es zu vielen (=multiplen)
Entzündungen an verstreut liegenden Stellen des Gehirns und des Rückenmarks, die im
Verlauf der Krankheit auch vernarben (sklerosieren) können. Oft wird Multiple Sklerose
auch Encephalomyelitis disseminata genannt, was übersetzt etwa "verstreut liegende
Gehirn- und Rückenmarkentzündung" bedeutet.
Das
Zentrale Nervensystem besteht aus dem Gehirn, das sich in die Teile Großhirn, Kleinhirn,
Mittelhirn und Hirnstamm gliedert, und dem Rückenmark. Auch die Augen gehören zum ZNS.
Optisch zeigt sich das Gewebe des ZNS in zwei Farben. Größere Mengen von nah beieinander
liegenden Nervenzellkörpern, wie sie in der Hirnrinde zu finden sind, erscheinen grau und
werden deshalb auch graue Substanz oder "graue Zellen" genannt. Als weiße
Substanz bezeichnet man die weiß erscheinenden Bereiche des Zentralen Nervensystems. In
diesen Bereichen finden sich markhaltige Nervenfasern, die im Gehirn Bahnen genannt
werden.
Informationen
von Nervenzellen werden mit Hilfe von elektrischen Impulsen übertragen. Die Informationen
werden auf der Eingangsseite einer Nervenzelle an den feinen Verästelungen des
Zellkörpers, den Dendriten aufgenommen. In der nebenstehenden Grafik wird der
Informationsfluss in Form eines roten Pfeils symbolisiert.
Die Informationen werden als elektrische Impulse innerhalb der
Nervenzelle weiter geleitet auf die Ausgangsseite der Nervenfaser zum Nervenzellfortsatz,
dem Axon. Über das Axon im Inneren des Nervenzellfortsatzes gelangt der elektrische
Impuls zu den präsynaptischen Endköpfen. Diese stellen eine Verbindung zu anderen
Nervenzellen her und übertragen so die Informationen von einer Nervenzelle zur anderen.
"Elektrokabel"
Nervenzelle: Die Isolierung ist das Myelin.
Damit
die elektrische Weiterleitung reibungslos erfolgen kann, sind die Nervenfasern, ähnlich
einem elektrischen Kabel, von einer "Isolierschicht" umgeben. Diese
Isolierschicht besteht aus Myelin, das in mehreren Lagen um das Axon herumgewickelt ist.
Die Myelinummantelung wird auch Markscheide oder Myelinscheide genannt. Sie gibt außerdem
der weißen Substanz im ZNS ihren Namen, weil sie sich weiß abzeichnet.
Myelin
sorgt für eine schnelle Nachrichtenübermittlung.
Die
Myelinummantelung der markhaltigen Nervenfasern sorgt für eine hohe
Leitungsgeschwindigkeit, wie sie z. B. bei Gefahrensituationen erforderlich ist. Dann
können Nervenimpulse mit über 400 Kilometern pro Stunde übermittelt werden. Marklose
Nervenfasern besitzen eine weniger gute Isolierung und eine niedrigere
Leitungsgeschwindigkeit. Sie kommen z. B. bei Nerven für die Steuerung der inneren Organe
vor.
Bei der Multiplen Sklerose kommt es zu Entzündungen an den
Myelinscheiden. Diese Entzündungen entstehen nicht durch von außen in den Körper
eingedrungene Krankheitserreger. Sie sind vielmehr auf eine Fehlregulation des Immunsystems zurückzuführen. Die
Entzündungen können an einer Stelle oder auch an mehreren Stellen gleichzeitig
auftreten. Sie greifen das Myelin an. Als Folge des geschädigten Myelins ist die
Informationsübertragung über das Axon gestört. Sie kann verlangsamt oder auch ganz
unterbrochen sein. Bei nebeneinander liegenden Nervenfaser kann es auch zu
"Kurzschlüssen" kommen.
Narben stören die Weiterleitung von Informationen.
Die
Entzündungsherde, die das Myelin angreifen, bezeichnet man als Plaques, die Schädigung
der Markscheiden wird Demyelinisierung oder auch Entmarkung genannt. Bei der Multiplen
Sklerose nehmen im Verlauf der Erkrankung die Zahl und der Umfang der Plaques zu. In der
Regenerationsphase kann eine unterschwellige Entzündung zurückbleiben. So wie bei
anderen Wunden auch, bildet das
zerstörte Nervengewebe eine Narbe
(Sklerose). Das Narbengewebe aber stört die Informationsübertragung der Nervenfasern.
Die
Folgen sind je nach Lokalisation unterschiedlich.
Je
nach Lokalisation kommt es zu unterschiedlichen Auswirkungen. Leitet die geschädigte
Nervenfaser Informationen zu einem bestimmten Muskel, so sind die Bewegungen des Muskels
beeinträchtigt. Bewegungen sind z. B. nicht mehr so kräftig und geschickt. Der Sehnerv kann ebenfalls betroffen sein.
In diesem Fall sieht der Patient vielleicht nicht mehr deutlich, ein Teil seines
Gesichtsfeldes kann ausfallen oder er sieht Doppelbilder.
Die
Regeneration kann auch vollständig sein. Oft bleiben aber im weiteren Verlauf der
Erkrankung Narben zurück.
Multiple Sklerose tritt in Schüben auf, die sich innerhalb von Stunden
oder auch Tagen entwickeln und dann nach einiger Zeit wieder nachlassen. Während eines
Schubes werden Teile der Myelinscheiden von körpereigenen "Fresszellen" aufgenommen
und "verdaut". Diesen Vorgang kann man bei mikroskopischer Betrachtung eines
aktiven Plaques gut erkennen. Nach Abklingen des Schubes bleibt an dieser Stelle eine
Narbe zurück, die die Nervenfunktion beeinträchtigt. Auch der Durchmesser des Axons
erscheint in der Folge reduziert. In der Regenerationsphase kann sich die geschädigte
Myelinscheide erholen. Es wird neues Myelin gebildet, die demyelinisierten Nervenfasern
können sich remyelinisieren. Dies ist jedoch nicht immer vollständig der Fall. Diese
Regeneration kann so weit gehen, dass der Schub keine bleibenden Folgen hinterlässt. Alle
während des Schubs aufgetretenen Ausfälle und körperlichen Störungen können sich
vollständig zurückbilden. Allerdings können auch Vernarbungen zurückbleiben. Nur ein
geringer Anteil der auftretenden Plaques macht sich tatsächlich durch Beschwerden
bemerkbar. Oft kann nur durch eine technische Untersuchung festgestellt werden, dass ein
so genannter stummer Herd aufgetreten ist.