Qualitätssicherung in der Medizin

6.0 Europäische Ansätze

6.1 Niederlande

Das niederländische Qualitätssicherungsgebäude basiert im wesentlichen auf drei Elementen:

A) Statistische Basisdokumentation

Auf Betreiben des nationalen Krankenhausrates, des Fördervereins für Krankenhäuser und der Vereinigung der Fachärzte wurde 1963 in den Niederlanden die 'Stichting Medische Registratie - SMR' begründet. Aufgabe der SMR ist die zentrale medizinische Dokumentation und Evaluation von Patientendaten. Die Daten werden monatlich gesammelt, per EDV erfaßt, ausgewertet und die Ergebnisse an die Krankenhausverwaltungen übermittelt. Darüber hinaus können Leistungsdaten, Vergütungen und Kosten errechnet werden. Einmal jährlich erhalten die Krankenhausverwaltungen einen ausführlichen Bericht einschließlich einer Gesamtübersicht aller Teilnehmer.

B) Sicherung der Ausbildungsqualität

Im Jahre 1972 konstituierte sich das Concilium Chirurgicum als Vereinigung nahezu aller chirurgischer Fächer (Chirurgie, HNO, Plastische Chirurgie, Orthopädie, Urologie, Neurologie, Thoraxchirurgie). Die Daten sämtlicher chirurgisch tätigen, in Weiterbildung befindlichen Assistenzärzte und der ausbildenden Fachärzte werden durch das SMR erfaßt, ebenso Aussagen über Behandlungsarten und Krankheiten im Rahmen von Facharzt-Ausbildungsprogrammen. Die Zusammenarbeit mit dem SMR dient mithin als Basis für die Beurteilung und Verbesserung der Ausbildungsqualität in den operierenden Fächern.

C) Qualitätssicherung in Behandlung und Pflege

1979 erfolgte die Gründung des 'Centraal begeleidingsorgaan der intercollegiale toetsing- CBO' in Utrecht durch die holländische Fachärztevereinigung und die Vereinigung der Krankenhausleitungen. Das CBO fungiert als Zentralinstitut für interkollegiale Qualitätsbeurteilung, sein Hauptziel ist satzungsgemäß die Forderung und Unterstützung von Qualitätssicherungsprogrammen in niederländischen Krankenhäusern. Zu den hauptsächlichen Aufgaben des CBO zählen

  • Qualitätsforschung und Methodenentwicklung
  • Entwicklung von Qualitätsindikatoren und Qualitätsstandards unter Beteiligung der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften (Behandlung und Pflege)
  • Unterstützung bei der Einführung von Qualitätssicherungsprogrammen an Krankenhäusern (administrativ / methodisch / organisatorisch)
  • Schulungen
  • Qualitätsprogramm-Prüfungen.

Krankenhäuser, die mit dem CBO kooperieren möchten, müssen mindestens sechs jährliche Audits durchführen können. Den Krankenhausärzten kommt mithin eine aktive und gestaltende Funktion zu.

Positive Auswirkungen als Ausdruck der zentralen Bedeutung dieser Körperschaft zeitigten sich bereits nach wenigen Monaten der Zusammenarbeit von CBO und Krankenhäusern. Aktiv zu Verbesserungsvorschlägen aufgerufen gingen seitens der Krankenhäuser 240 Vorschläge zur Qualitätsverbesserung ein. Etwa die Hälfte war geeignet, die Qualität der medizinischen Behandlung zu verbessern. Es sei darauf hingewiesen, daß fast ein Drittel der Vorschläge Maßnahmen zur Rationalisierung und Vereinfachung von medizinischen Behandlungen betrafen. Dieses beachtliche Ergebnis veranschaulicht eindrucksvoll das mögliche Ausmaß an synergistischen, Effizienz-orientierten Potentialen innerhalb von Qualitätssicherungsprogrammen.

Seitens der niederländischen Ärzteschaft werden die nunmehr seit fast 15 Jahren etablierten Qualitätskontrollen ohne nennenswerte Konflikte akzeptiert.


Abbildung 5:Organisation des CBO (Niederlande)

6.2 Großbritannien

Bestrebungen zur Qualitätssicherung befinden sich in Großbritannien seit den 70er Jahren in der Entwicklung. Neben dezentralen, retrospektiven Analysen von Krankenakten im stationären und niedergelassenen Bereich widmeten sich einige Arbeitsgruppen bereits früh einer verbesserten und vereinheitlichten Krankenblattdokumentation, der Durchführung von Audits, einer Standardisierung radiologischer Befunde und der Diagnoseüberprüfung anhand von Obduktionsprotokollen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Mit der Reform des National Health Services im Jahre 1989 wurden Qualitätssicherungsmaßnahmen in der Gesundheitsversorgung erstmalig gesetzlich geregelt. Seit dem "White Paper" der britischen Regierung, welches ausdrücklich Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität stationärer Behandlung fordert und den Weg für den Wettbewerb zwischen kommunalen und privaten Kostenträgern ebnet, ist die Durchführung von Audits im britischen Gesundheitswesen vorgeschrieben.

Nach und nach entstanden sogenannte 'Clinical Guidelines' der verschiedenen Royal Societies, zumeist erarbeitet in Form von Konsensus-Konferenzen, mit dem Ziel, den Ärzten Qualitäts-Standards und -Normen sowie praktische Hinweise zur Durchführung von Audits nahezubringen. Herausgegeben wurden ferner Methoden zur Beurteilung der Ergebnisqualität seitens der Royal Colleges und des Health Departments. Ein Informationsdienst mit Schiedsstelle - das 'Clearing House' - wurde auf Betreiben des Departement of Health und des Royal College of Physicians' Research Unit an der Universität Leeds begründet. Als weitere Aktivitäten wurden Qualitätsforschungen zur Entwicklung von klinischen Audits veranlaßt.

Audits - also systematische, kritische Analysen der Qualität medizinischer Versorgung einschließlich Behandlung und Diagnose, Ressourcenverbrauch, Ergebnisqualität und Patientenzufriedenheit - bilden den 'Backbone' der britischen Bemühungen um die Qualität medizinischer Versorgung.

Die 14 Distrikte des Inselstaats partizipieren gemeinsam an Entwicklungen, Schulungen, Methoden und Erfahrungen in der Qualitätssicherung über hierfür eingerichtete überregionale Kommunikationswege. Sie erhalten jährliche Berichte der Kostenträger und erstellen ihrerseits einen jährlichen Report für das Department of Health. Auf nationaler Ebene kontribuieren die Fachgesellschaften in Form von Guidelines, Audit-Studien, Qualitätsforschung, Netzwerken, zentralen Datenbanken und Schulungen an der Fortentwicklung der Qualitätssicherung im britischen Gesundheitswesen.

Die erforderliche zeitliche Anteil für Qualitätssicherungsmaßnahmen in Form von Audits und Fortbildungen beläuft sich auf durchschnittlich 5 Prozent des täglichen Arbeitspensums. Ein halber Arbeitstag pro Monat und je Mitarbeiter entfällt an den meisten Kliniken auf die Teilnahme an Peer Group -Sitzungen. Während dieser Zeit ruht der Routinebetrieb mit Ausnahme der Notaufnahme und der Intensivstationen.

Nahezu jedes Krankenhaus verfügt über einen Qualitäts-Koordinator oder Qualitäts-Direktor, Qualitätsbeauftragte und Linienchefs der lokalen Qualitätszirkel. Die Teilnahme an QS-Fortbildungsmaßnahmen ist Pflicht, diesbezügliche Seminare reichen von eintägigen Vor-Ort-Schulungen bis zu universitären Master-Degree-Programmen.

Patient Identification   11.Date of admission  
Treatment   12. Postop stay, days  
  1= no operation    
  2= minor operation 13. If 10 or more, cause?  
  3= intermed. operation   1=nature of disease
  4= major laparatomy   2=complications
  5= other major operation   3=social reasons
1. Sex M/F 14. Postop complications  
1 Age or birth date     1=none
3. Date of admission   2=minor
4. Admission procedure     3=major
  1=emergency, 2=elective 15. Patient satisfied?  
5. Preoperative assessment     1=yes
  of fitness score   2=no
6. APACHE score (sepsis)   Now add codes from lexicon  
7. TRISS score (trauma)   Diagnoses  
8. Days in hospital before operation   ..  
9. Surgeon operating   ..  
  1=consultant, , Operations  
  2=senior registrar    
  3=registrar ..  
10. Diagnosis   ..  
  1= symptoms only Complications ..  
  2= benign tumor or cyst ..  
  3= malignant, no metastasis   ..
  4= malignant, metastasis Comments..  
  5= inflammatory    
  6= endocrine    
  7= traumatic, blunt    
  8= traumatic, penetrating    
  9= congenital    
  10= degenerative    
  11= other ..  

Abbildung 6: Chirurgisches Audit-Formular


Quelle: A. Pollock, M. Evans in Surgical Audit,2nd ed. Butterworth and Heinemann, Oxford 1993

Die zusätzlichen Kosten für die Qualitätssicherung im ärztlichen Bereich beliefen sich in den ersten drei Jahren nach dem White Paper auf £.160 Millionen. Die Finanzierung erfolgte durch das Central National Health Funding, die Verwaltung der Gelder oblag den 14 Distrikten und den Royal Colleges. In diesem Sockelbetrag sind die Kosten für den niedergelassenen Bereich, den Pflegesektor und die Physiotherapie nicht berücksichtigt.

6.3 Inländische Modelle - Synopsis

Erste Projekte zur Qualitätssicherung in Deutschland datieren auf die Jahre 1975-1977, eine Zeit, in der wegen erhöhter Säuglingssterblichkeit die Münchner Perinatalstudie an 26 Krankenhäusern in und um München unter Federführung der Bayrischen Landesärztekammer initiiert wurde. Ziel der Studie war eine Verbesserung der Qualität im Bereich der Geburtshilfe durch Standardisierung, Vergleich, Unterstützung und Fort- und Weiterbildung. In den beiden Folgejahren schlossen sich weitere 110 bayrische Krankenhäuser der Perinatalerhebung an.

Im Jahr 1980 begann die zweite Phase des Programmes, die auf Daten der ersten Phase basierte und Grundlagen für zahlreiche größere und kleinere Fortschritte in der Geburtshilfe bot. Die perinatale Mortalität konnte von 1.37 Prozent im Jahre 1978 auf 0.76 Prozent 1986 reduziert werden. Seit 1980 führte das Bundesland Hessen ebenfalls Perinatalerhebungen durch. Im Zeitraum von 1981 bis 1989 konnte eine Rückführung der Perinatalsterblichkeit von 1.07 Prozent auf 0.615 Prozent verzeichnet werden. Die übrigen Bundesländer schlossen sich der Perinatalerhebung im Jahr 1986 an, heute ist sie in nahezu allen geburtshilflichen Abteilungen deutscher Krankenhäuser zur Routine geworden.


Abbildung 7 Beispiel eines statistischen Reports in der Chirurgie

Frühe Versuche im Bereich der chirurgischen Qualitätssicherung wurden innerhalb einer Pilotstudie mit fünf beteiligten Kliniken im Jahre 1977 unternommen. Fünf definierte Krankheitsbilder - Cholelithiasis, Leistenhernie, Oberschenkelfraktur, Appendizitis und Gastroduodenal-Ulkus - dienten als Leitdiagnosen (tracer), die Krankheitsverläufe nach chirurgischem Eingriff wurden auf Ergebnis und Komplikationen hin untersucht. Zahlreiche Studien mit ähnlichem Aufbau folgten in anderen Bundesländern (NRW 1979: 22 Kliniken, Baden-Württemberg 1989: 118 Kliniken - s. Abb. 7).

Obgleich langfristige Effektivitätsbeeinflussungen derzeit noch nicht auszumachen sind, ergeben sich durch die regelmäßig an alle beteiligten Kliniken versendeten Statistiken gute Vergleichsmöglichkeiten und eventuell Hinweise auf Mängel oder Qualitätsprobleme.

QS-Aktivitäten im Bereich der Herzchirurgie begannen im Rahmen erster Vorstudien der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie im Jahre 1984. Die Folgestudie - das Pilotprojekt 'QUADRA' - wurde in den Jahren 1986 bis 1990 zunächst von 5 Kliniken betrieben, die Finanzierung erfolgte durch das Bundesministerium für Gesundheit gemeinsam mit dem Bundesministerium für Forschung und Technik. Ziel der Studie war die Erarbeitung qualitätsrelevanter Parameter in der Herzchirurgie als Basis für interne und externe Qualitätssicherung.


Abbildung 8 Beispiel eines Klinikprofils in der koronarchirurgischen QS

Seit 1992 wird - basierend auf den in den Vorstudien erhobenen Daten - bundesweit eine externe Qualitätssicherung in der Herzchirurgie durchgeführt, wobei die Kosten für die erforderliche Projektleitstelle und Vor-Ort-Dokumentation seit 1994 über eine Kostenpauschale mit den Kassen abgerechnet werden. Diese betragen je Fall derzeit DM 32,- für die eigentliche QS-Dokumentation vor Ort, zuzüglich DM 4,- für ein Follow-Up, die Kosten der Projektgeschäftsstelle werden mit DM 20,- je Fall berücksichtigt.

Die drei Fragebögen - präoperativ / operativ / postoperativ - umfassen maximal 205 relevante Items, mit deren Hilfe 85 Prozent aller chirurgischen Interventionen einer kardio-chirurgischen Klinik erfasst werden können. Die Daten werden durch eine Fachkommission überprüft, validiert, analysiert, bewertet und schriftlich protokolliert. Protokolle und Ergebnisse in Form von Klinikprofilen werden den Teilnehmern am Ende eines Kalenderjahres zugesandt.

Einen modernen und ganzheitlichen Ansatz verfolgt das sogenannte "Münchner Modell". Grundlage des seit 1989 in Erprobung befindlichen QS-Modells bildet ein eindrucksvoll ausgearbeitetes Qualitätsmanagement-Konzept. Ziel der Bestrebungen ist die Implementierung von internen Qualitätssicherungsmaßnahmen in allen an der Qualität beteiligten Prozessen und in allen hierarchischen Stufen.

Insgesamt 66 Projekte aus verschiedenen Bereichen konnten beispielsweise 1992 realisiert werden. Erwähnenswert sind u.a. eine Reorganisation der Hol- und Bringedienste, ein strafferes Terminvergabe-Management zur Reduzierung der Patientenwartezeiten, Projekte zur Darstellung und Verbesserung von Mitarbeiter- und Patientenzufriedenheit, Verbesserungen im Bereich der Krankenhaushygiene und Arbeitszeit-Reorganisationsmodelle.

Bereits in einem ersten Resümee anlässlich des Münchner Qualitätssicherungsforums 1993 liess sich belegen, daß sich das neue Qualitätsdenken kurz- bis mittelfristig günstig auf die Effizienz auswirkt und mithin einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Kostensenkung darstellt.

Die Managementorganisation sieht prinzipiell vier Elemente vor:

1. Jedes Krankenhaus verfügt über eine QS-Kommission, welche in erster Linie gemeldete Probleme erörtert und priorisiert, Anregungen und Empfehlungen zur Einrichtung von Projektgruppen abgibt und deren Ergebnisse in Berichtform entgegennimmt. Die QS-Kommission verwaltet Finanzen und Ressourcen, sie dient im Übrigen als internes und externes Kommunikationsorgan. Die Auszeichnung von Erfolgen gehört ebenfalls zur Aufgabe der Kommission.

2. Ärztliche, pflegerische und administrative QS-Beauftragte sind der Krankenhausleitung als Stabsstelle direkt unterstellt. QS-Beauftragte stimulieren und moderieren Diskussionen über Qualitätsprobleme vor Ort, die Ergebnisse gelangen als Vorschläge in die QS-Kommissionen.

3. Eingerichtete Projektgruppen arbeiten vor Ort und in Eigenverantwortung, sie werden von QS-Beauftragten und externen Beratern methodisch, von Dokumentarkräften technisch unterstützt.

4. Eine zentrale QS-Gruppe fungiert als Koordinator von QS-Aktivitäten und QS-Ressourcen. Aufgabe der Gruppe ist die Sicherung von QS-Standards und die Fortbildung des Personals.

Das Münchner Modell verlangt - neben einer ausgesprochenen Corporate Identity - von jedem Mitarbeiter eine kontinuierliche Mitarbeit an qualitätsrelevanten Problemen im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeitsausübung.

Mitglieder von Projektgruppen verpflichten sich darüberhinaus, einen vollen Arbeitstag pro Woche für zielorientierte Tätigkeiten innerhalb der Projekte aufzuwenden.

Kontinuierliche Schulungen zur Qualitätssicherung und spezielle Fortbildungen wie Moderatorentraining werden als flankierende Maßnahmen in allen Bereichen durchgeführt. Daß trotz offensichtlicher Mehrarbeit genügend Akzeptanz für QS-Massnahmen zu registrieren ist, kann u.a. auch auf die gemischt-hierarchische Führung und Erfolgserlebnisse als Resonanz der Bemühungen in den vergangenen vier Jahren zurückgeführt werden.


Abbildung 9 Das Münchner Modell

 

Seitens der Bundesärztekammer wird das Münchner Modell als vielversprechender Lösungsversuch zur Problematik der Qualitätssicherung in der Gesundheitsversorgung angesehen.


1.0 Einleitung 2.0 Qualität 3.0 Qualitätssicherung
4.0 Ursachen und Gründe 5.0 Systemaufbau 6.0 Europäische Ansätze
7.0 Perspektiven 8.0 Einführung eines QS-Systems 9.0 Historischer Abriss
10.0 Literatur
 

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