| |
Pressemitteilung 20.10.1999 |
Deutscher
Schmerzkongress
20.-24. Oktober 1999, München
|
|
Volkskrankheit Migräne: unterschätzt und zu oft falsch
behandelt |
|
In Deutschland leiden etwa 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung
an Migräne. Das Gewitter im Kopf beeinträchtigt das Leben der Patienten erheblich und
belastet die Volkswirtschaft. "Doch nur ein Bruchteil der Betroffenen wird von
Ärzten nach den modernen Therapieempfehlungen behandelt", kritisieren Experten auf
dem Deutschen Schmerzkongress. |
Migräne
wird immer noch oft mit unwirksamen und schädigenden Therapien behandelt. |
"Eine Migräne kann nur dann erfolgreich behandelt werden, wenn eine
wirksame Attackenbehandlung mit vorbeugenden Maßnahmen und nicht-medikamentösen
Therapieverfahren kombiniert wird", stellt Dr. Volker Pfaffenrath. Präsident der
Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) fest. Doch die Realität sieht
anders aus: Vorurteile, Mythen und falsche Vorstellungen in den Köpfen über die
Auslöser und Ursachen der Migräne führen
dazu, dass oft unwirksame und bisweilen sogar schädliche Therapien eingesetzt werden. |
Therapieempfehlungen werden nicht berücksichtigt. |
Zwar veröffentlicht die DMKG seit vielen Jahren
Therapieempfehlungen, die auf wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien beruhen, doch
diese werden in der Praxis leider allzu oft nicht berücksichtigt. Dies belegt eine Studie
in 383 Hausarztpraxen, über die auf dem Schmerzkongress berichtet wird. Drei Viertel der
ärztlichen Verordnungen stimmten nicht mit den Empfehlungen der Experten überein. |
Bei
leichten und mittelgradigen Kopfschmerzen ist die Therapieempfehlung sehr einfach
einzuhalten. |
Dabei sind diese Therapieempfehlungen vergleichsweise simpel:
Leichte bis mittelgradige Kopfschmerzen sollten mit 1000 Milligramm Acetylsalicylsäure
als Brause- oder Kautablette oder Paracetamol behandelt werden. Ein Mittel gegen Übelkeit
und Erbrechen - vor dem Schmerzmittel eingenommen - lindert nicht nur die typischen
Begleiterscheinungen, sondern erleichtert auch die Aufnahme des Analgetikums aus dem
Magen-Darm-Trakt. Auch bestimmte Nichtsteroidale
Antirheumatika können eine Migräne lindern. |
Schwere
Migräne: neue Medikamente sind da. |
Zur Behandlung schwerer Migräne-Attacken, die auf einfache
Schmerzmittel nicht mehr ansprechen, stehen Mutterkornalkaloide und Triptane zur
Verfügung. Von den Triptanen wurden bislang vier Substanzen (Sumatriptan, Zolmitriptan,
Naratriptan und Rizatriptan) zugelassen, eine weitere (Eletriptan) dürfte im nächsten
Jahr zugelassen werden. Zwei weitere Triptane (Almotriptan und Frovatriptan) befinden sich
in der klinischen Prüfung. |
Wundermittel gibt es nicht. |
Doch auch die neuen Triptane sind keine Wundermittel: Etwa 40
Prozent aller Attacken und bis zu einem Viertel der Migränekranken sprechen auf kein
Triptan an. Woran dies liegt, wissen die Experten noch nicht. Andere Substanzen, die
ebenfalls in das komplexe Geschehen bei einer Migräneattacke gezielt eingreifen, werden
zur Zeit intensiv erforscht. Etliche Kandidaten, die sich bei Tiermodellen der Migräne
als wirksam erwiesen hatten, scheiterten indes im klinischen Versuch an Patienten. Derzeit
werden Substanzen untersucht, die die Wirkung eines bestimmten Eiweißstoffes, dem
,,Calcitonin-Gen-bezogenen Peptid" beeinflussen. Darum haben die Experten Hoffnung,
dass in absehbarer Zeit neben den Triptanen noch weitere Substanzen zur Verfügung stehen
werden. |
Alle
Schmerz- und Migränemittel dürfen nur bis zu 10 Tagen im Monat eingenommen werden. |
"Ist eine Migräne-spezifische Therapie bei schwereren
Attacken erforderlich", so Pfaffenrath, ,,stellt ein Triptan eine bessere Wahl dar
als ein Mutterkornalkaloid. Dies gilt vor allem für die menstruelle Migräne."
Gleichwohl erfolgt die Nennung der Triptane im Stufenschema der Therapieempfehlungen erst
nach den Mutterkornalkaloiden. ,,Dies geschah", erklärt Pfaffenrath,
"ausschließlich wegen der Kosten-Nutzen-Relation." Klartext: Triptane sind
teuer. "Wenn Patienten mit Mutterkornalkaloiden gut zurecht kommen, können sie diese
Therapie beibehalten", so Pfaffenrath. Vor allem dann, wenn Migräne-Attacken sehr
lange andauern oder trotz Behandlung wiederkommen (Wiederkehrkopfschmerz), können
Mutterkornalkaloide sogar sinnvoller sein. Für alle Schmerz- und Migränemittel gilt
jedoch eines: Sie dürfen nicht häufiger als an zehn Tagen pro Monat eingenommen werden. |
Verhaltenstherapie,
Biofeedback und Streßbewältigung reduzieren Zahl und Schwere der Attacken. |
Nicht-medikamentöse Strategien sind wichtig. Darum sollte die
medikamentöse Behandlung durch verhaltenstherapeutische und psychologische Strategien
ergänzt werden. "In der Praxis bewährt hat sich regelmäßiger leichter
Ausdauersport, etwa Joggen, Radfahren oder Schwimmen. Erwiesen ist, dass Methoden zur
Stressbewältigung und Entspannung sowie Biofeedback und verhaltenstherapeutische
Strategien Zahl und Schwere der Attacken reduzieren kann. "Problematisch ist jedoch,
dass nicht genügend qualifizierte Therapeuten zur Verfügung stehen, die diese Techniken
vermitteln können", beklagt Pfaffenrath. Wenn Patienten mindestens drei Attacken pro
Monat haben, die schlecht auf eine Behandlung ansprechen, können Häufigkeit und Schwere
auch durch Medikamente reduziert werden. Dabei handelt es sich in erster Linie um
bestimmte Betarezeptorenblocker. Es werden aber auch andere Substanzen eingesetzt.
"Wichtig ist, dass diese Prophylaxe ausreichend lange erfolgt", betont
Pfaffenrath. Denn ein Effekt tritt frühestens nach sechs bis acht Monaten ein. Bis dahin
registrieren die Patienten häufig nur Nebenwirkungen, die erst nach und nach
verschwinden. Greift die Vorbeugung, können die Mittel nach einem Jahr abgesetzt werden,
um zu prüfen ob inzwischen auf sie verzichtet werden kann. |
Eine teure Volkskrankheit. |
Die Migräne wird nicht nur medizinisch, sondern auch in ihrer
volkswirtschaftlichen Bedeutung unterschätzt. Dies belegen Untersuchungen, die auf dem
Deutschen Schmerzkongress vorgestellt werden. Eine Erhebung des Instituts für
Gesundheitsökonomik in München zeigt, dass im Jahr 1997 für ärztlich verordnete
Migränemedikamente 130 Millionen Mark aufgewendet wurden. Darüber hinaus gaben die
Migränekranken für freiverkäufliche Schmerzmittel zusätzlich 570 Millionen Mark aus.
180 Millionen kostete die ambulante Migränebehandlung, 50 Millionen die stationäre.
Zusammengenommen kostet die medizinische Versorgung also 930 Millionen Mark. |
Viele
Verbesserungen lassen sich ohne eine Kostensteigerung erreichen. |
Ungleich höher sind die Kosten durch Fehltage am Arbeitsplatz und
eingeschränkte Produktivität: Sie betragen zusammen über acht Milliarden Mark. ,,Ein
erheblicher Teil dieser indirekten Kosten", so Dr. Stefan Evers von der
Neurologischen Universitätsklinik Münster, ,,dürfte durch unzureichende und falsche
Therapien verursacht werden." Eine richtige Therapie setzt jedoch eine exakte
Diagnose voraus, "Dies", so Evers, ,,ist eine Leistung der "sprechenden
Medizin", die jedoch nicht ausreichend honoriert wird." Apparative Verfahren
sind dazu nur in Ausnahmefällen erforderlich. Doch für diese werde, auch in der
Kopfschmerzdiagnostik zu viel Geld ausgegeben. ,,Durch entsprechende Umschichtungen",
meint Evers, ,,lassen sich die direkten und indirekten Kosten von Kopfschmerzerkrankungen
sicherlich reduzieren, die Lebensqualität der Betroffenen wesentlich verbessern, ohne
dass in der Summe eine Kostenausweitung erforderlich ist." |
|
Rückfragen an:
Dr. Volker Pfaffenrath
Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft
Leopoldstraße 59/11
80802 München
Tel.: 089-33 40 03
Fax: 089 - 33 29 42
e-mail: vpfa@aol.comDr. Stefan Evers
Klinik und Poliklinik für Neurologie
Westfälische Wilhelms-Universität
Albert-Schweitzer-Straße 33
48129 Münster
Tel.: 025~-834-8175
Fax: 0251-834-8181
e-mail: everss@uni-muenster.de
Top |
|
Zur Übersicht
Deutscher Schmerzkongreß 1999 |
| |
|