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Pressemitteilung 20.10.1999 |
Deutscher
Schmerzkongress
20.-24. Oktober 1999, München
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Den Rücken und die Psyche stärken |
Psychosoziale Faktoren sind entscheidend für die
Chronifizierung von Rückenschmerzen. |
Eine neu gegründete ,,Bundesarbeitsgemeinschaft chronische
Kreuzschmerzen", kurz BacK, will bundesweit ein interdisziplinäres Therapieprogramm
bei chronischen Rückenbeschwerden auf den Weg bringen. Psychosoziale Faktoren sind
entscheidend für die Chronifizierung von Rückenschmerzen. ,,Deshalb kann nur ein
Behandlungskonzept, das medizinische, physiotherapeutische, verhaltenstherapeutische und
psychologische Strategien integriert, den Patienten wieder zu einem möglichst
schmerzfreien Leben verhelfen", betonen Experten auf dem Deutschen Schmerzkongress in
München. |
Hauptursache
für Arbeitsunfähigkeit und Frühpensionierung. |
Wer noch nie im Leben Rückenschmerzen hatte, gehört zu einer
kleinen Minderheit von 20 Prozent der Deutschen. Die meisten Menschen mit akuten
Beschwerden sind zwar schnell wieder schmerzfrei, doch mehr als ein Drittel der
Betroffenen leidet über Monate unter ständigen oder häufigen Beschwerden, etwa zehn
Prozent werden die Qual im Rücken gar nicht mehr los. Die Folge: Probleme mit Nacken und
Kreuz sind die Ursache Nummer Eins für Arbeitsunfähigkeit und Frühpensionierung. |
Rückenschmerzen |
Sind die Rückenbeschwerden erst einmal chronisch, ist eine
erfolgreiche Behandlung schwierig; Medikamente, Massagen oder Krankengymnastik verschaffen
den Patienten häufig kaum noch Linderung. Denn während Fehlbelastungen oder ein
Bandscheibenvorfall der Auslöser für akute Rückenschmerzen sein können, liegen die
Ursachen für eine Chronifizierung häufig woanders, wie die Medizinpsychologin Professor
Monika Hasenbring von der Ruhr-Universität Bochum weiß: ,,Neigung zu depressiver
Stimmung, Überlastung oder andere Probleme am Arbeitsplatz können aus akuten
Rückenproblemen chronische Schmerzen werden lassen." Auch ungünstige
Bewältigungsstrategien tragen zur Chronifizierung bei: Ein ängstliches Schon- und
Vermeidungsverhalten etwa, mit dem sich die Patienten um Freude und Spaß am Zusammensein
mit anderen Menschen bringen und das gleichzeitig die Muskeln schwächt und so wiederum zu
Schmerzen führt. Oder auch ein extremer Durchhaltewillen, das Verdrängen der
Beschwerden, das mit erhöhter, schmerzfördernder Anspannung einhergeht. Die Patienten
geraten in einen Teufelskreis aus Schmerzen und schmerzförderndem Verhalten. Hasenbring
konnte diesen Zusammenhang in einem Laborexperiment zeigen: Berichteten Patienten mit
chronischen Rückenschmerzen von belastenden Alltagssituationen, spannten sie unbewußt
die Rückenstreckermuskulatur im Lendenbereich an. Patienten, die ihre Rückenprobleme
überwunden hatten, zeigten diese Reaktion nicht. |
Das Chronifizierungsrisiko ist vorhersagbar. |
Ob ein Patient in Gefahr ist, in einen Schmerz-Teufelskreis
hineinzugeraten, läßt sich mit hoher Trefferquote schon nach zwei Monaten anhand
bestimmter psychologischer Risikofaktoren vorhersagen. Doch das 45-minütige Gespräch, in
dem ein Arzt diese Faktoren bei einem Patienten diagnostizieren kann, überschreitet die
Kapazitäten in den meisten Praxen. Hasenbring hat daher das ,,Telemedizinische Patienten-
Diagnose- System", kurz TPDS, entwickelt. Dabei stellt ein Computer die Fragen, und
der Patient antwortet mit Hilfe einer speziellen Tastatur, die keinerlei PC-Erfahrungen
voraussetzt. TPDS liefert dem behandelnden Arzt ein Risikoprofil des Patienten mit
Diagnose- und Therapieempfehlungen. Doch solange diese Früherkennung in der ärztlichen
Routine fehlt, geraten ein Drittel der Rückenpatienten in den Teufelskreis chronischer
Schmerzen. |
Neue Maßstäbe setzen. |
,,Um diesen Patienten zu helfen, brauchen wir ein
ergebnisorientiertes Rückenmanagement", fordert Professor Jan Hildebrandt,
Schmerztherapeut am Universitätsklinikum Göttingen. Er ist Gründungsmitglied der
,,Bundesarbeitsgemeinschaft chronische Kreuzschmerzen", kurz BacK. Die Gruppe,
darunter auch das Team von der Schmerzambulanz am Universitätsklinikum Großhadern,
favorisiert das interdisziplinäre ,,Göttinger Rücken Intensiv Programm", kurz
GRIP, da es, so Hildbrandt ,,das in Deutschland am besten wissenschaftlich abgesicherte
Konzept ist und auch am besten die internationalen Forschungsergebnisse
berücksichtigt." BacK hat sich zum Ziel gesetzt, das ambulante Programm an
zertifizierten Behandlungszentren in ganz Deutschland zu etablieren. Entscheidend ist
dabei, dass Mediziner, Physiotherapeuten, Verhaltensmediziner und Psychologen die
Patienten gemeinsam und nicht nacheinander betreuen - entweder in einem Netzwerk einzelner
Praxen oder gemeinsam in einer Einrichtung. |
Krankengymnastik
und Schmerzbewältigung. |
Das Programm gliedert sich in drei Stufen für unterschiedliche
Schweregrade chronischer Rückenschmerzen: In Programm 1 beginnen die Patienten mit
krankengymnastischen Übungen und erlernen in zehn zweistündigen Behandlungen ein
spezielles Rumpfmuskeltraining, ebenso Schmerzbewältigungstechniken und
Verhaltensstrategien. |
Ergonomie
und sportmedizinisches Training. |
In Programm 2 ist das psychologische Element um Übungen erweitert
und eine ergonomische Schulung ergänzt das sportmedizinische Training. Diese intensivere
Therapieform für Gruppen mit sechs bis acht Patienten, die bereits länger als sechs
Wochen arbeitsunfähig sind, erstreckt sich über 20 Behandlungstage a fünf Stunden.
Programm 3 für Patienten mit erheblichen psychosozialen Risikofaktoren und Dauerschmerzen
sieht einen sechswöchigen Aufenthalt in einer Tagesklinik vor, um noch individueller auf
die einzelnen Teilnehmer eingehen zu können. |
Ergebnis:
Deutlich niedrigere Kosten und weniger Schmerzen. |
Die Erfolge können sich sehen lassen: Im Jahr vor der Teilnahme an dem Programm
kostete die Behandlung eines Rückenpatienten rund 12 000 Mark, der Arbeitsausfall
verursachte Kosten von 48 000 Mark. Ein Jahr danach waren die Behandlungskosten auf 2000
Mark gesunken, die Kosten des Arbeitsausfalles reduzierten sich auf 13.000 Mark. Auch im
zweiten Folgejahr liegen die Kosten unter jenen, die vor der Behandlung aufgewendet werden
mussten. ,,Die eingesparten Gelder innerhalb von zwei Jahren", rechnet Hildebrandt
vor, ,,summieren sich bei den direkten medizinischen Kosten auf 17000 Mark, bei den
indirekten Kosten durch Arbeitsausfälle auf 53.000 Mark. |
Ergebnisse der stationären Rehabilitation. |
Anders als das BacK-Programm enthält das von Professor Hans-Raimund Casser an
der Orthopädischen Klinik Staffelstein entwickelte stationäre ,,multimodale
interdisziplinäre Therapieprogramm" neben den im Vordergrund stehenden
medizinischen, physio- und sporttherapeutischen sowie verhaltensmedizinisch-
psychologischen Strategien - auch passive Elemente wie Massagen, Moorpackungen, Akupunktur
oder Elektrotherapie. Drei Monate nach Ende einer vierwöchigen Pilotstudie mit 67
Patienten, die weit mehr als sechs Monate unter Rückenschmerzen gelitten hatten und sich
überwiegend in den hohen Chronifizierungsstadien II und III befanden, zeigten alle
Teilnehmer selbst bei fortgeschrittenen Stadien der Chronifizierung nicht nur eine
deutlich geringere Schmerzintensität, sondern insbesondere deutliche Fortschritte bei der
Schmerzbewältigung im Alltagsleben. ,,Die Vorteile des stationären Konzeptes", so
Casser, ,,liegen in der Möglichkeit der hohen Therapiehäufigkeit bzw. sinnvollen Abfolge
mit Ruhe- und Entspannungsphasen, in der ständigen Verfügbarkeit sowohl des Patienten
als auch der Ärzte und Therapeuten mit kurzen und schnellen Wegen des interdisziplinären
Austausches sowie in der Tatsache, dass es sich um ein intensives, einschneidendes
Erlebnis handelt mit größtmöglicher Chance der Bewußtseinsänderung". Der
stationäre Aufenthalt diene dem Anstoß zu einer veränderten Einstellung des Patienten
gegenüber dem Schmerzgeschehen und der Anleitung zu einem möglichst selbständigen
Therapiemanagement. |
Psyche und Verhalten beeinflussen. |
Die wichtige Rolle der in beiden interdisziplinären Behandlungskonzepten
integrierten Verhaltenstherapie bestätigt eine Untersuchung von Professor Hasenbring.
Eine Gruppe von Patienten, die beim TPDS-Screening ein hohes Risiko der Chronifizierung
ihrer Rückenschmerzen zeigte, nahm ergänzend zur üblichen medizinischen Betreuung an
einer Verhaltenstherapie teil. Nach 18 Monaten waren 91 Prozent dieser Patienten praktisch
schmerzfrei. So weit genesen waren in einer zweiten Hochrisiko-Gruppe, die keine
Verhaltenstherapie absolviert hatte, hingegen nur 33 Prozent der Teilnehmer. Etwa ebenso
viele stellten einen Antrag auf Frühberentung. In der Verhaltenstherapie- Gruppe schieden
hingegen nur acht Prozent der Probanden aus dem Arbeitsleben. |
Verhaltenstherapie
senkt die Rate der Chronifizierung. |
Mit Hilfe der Verhaltenstherapie konnten die Hochrisikopatienten
ihre Rückenbeschwerden ähnlich schnell bewältigen wie Patienten mit einem niedrigen
Chronifizierungsrisiko. ,,Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass es möglich ist, mit einem
individuell auf den einzelnen Patienten zugeschnittenen verhaltenstherapeutischen Angebot
die hohe Chronifizierungsrate der Patienten zu senken" fasst Hasenbring zusammen. Wer
lernt, seinen Rücken und seine Psyche zu stärken, fühlt sich wieder wohl in seiner Haut
- die beste Voraussetzung für ein schmerzfreies Leben. |
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Rückfragen an:
Prof. Dr. Hans-Raimund Casser
Chefarzt der Orthopädischen Klinik
Klinikum Staffelstein
Am Kurpark 11
96231 Staffelstein
Tel.: 09573-56-501
Fax. 09573-56-502
e-mail: HRCasser@schoen-kliniken.deProf. Dr. phil. Monika Hasenbring
Ruhr-Universität Bochum
Abt. f. Medizinische Psychologie
Universitätsstraße 150
44780 Bochum
Tel.: 0234-322-5439
Fax: 0234-3214-203
e-mail: Monika.Hasenbring@ruhr-uni-bochum.de
Prof. Dr. Jan Hildebrandt
Ambulanz für Schmerzbehandlung des Universitätsklinikums
Robert-Koch-Straße 40
37075 Göttingen
Tel.: 0551-39-8263
Fax: 0551-40-64164
e-mail: pain@med.uni-goettingen.de
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