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Kongressbericht: Deutscher Schmerzkongress 1998 |
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Schmerz
im Alter |
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Alter
schützt vor Schmerzen nicht |
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Ist
Altwerden ein natürliches ,,Analgetikum", sind also ältere weniger
schmerzempfindlich als jüngere Menschen? An dieser Vermutung haben Fachleute ihre
Zweifel. Auf der Basis des Stufenplans der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) empfehlen sie daher eine angemessene Therapie chronischer Schmerzen auch im Alter.
Ebenso fordert eine Expertengruppe der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes
(DGSS) auf dem Deutschen Schmerzkongress eine dem Alter angepaßte Diagnostik. |
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"Es
ist die Tendenz zu erkennen, daß die Schmerzschwelle mit dem Alter zu und die
Schmerztoleranz abnimmt." Dieses Fazit zieht Dr. Stefan Lautenbacher, Klinik für
Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Marburg, aus den derzeit vorliegenden den
experimentellen Studien zum Schmerzempfinden von älteren Menschen. Dies würde bedeuten,
daß Altere intensivere Reize benötigen, bis sie diese als schmerzhaft empfinden, dafür
aber Reize einer bestimmten Intensität früher als schmerzhaft empfinden als jüngere
Menschen. Knapp ausgedrückt: Ältere sagen später ,,Au!" können dafür aber
stärkere Schmerzreize schlechter aushalten als Jüngere. Allerdings betont Lautenbacher,
daß die Ergebnisse dieser experimentellen Untersuchungen widersprüchlich seien. Unklar
bleibt nicht zuletzt deshalb ihre Bedeutung für die Praxis. Auch eine Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft zum Studium des
Schmerzes (DGSS) unter Leitung von Professor Hans-Dieter Basler vom Institut für
Medizinische Psychologie der Universität Marburg kommt aufgrund der geringen Unterschiede
zwischen jüngeren und älteren Schmerzpatienten zu einer ähnlichen Bewertung: ,,Für die
Schmerztherapie der Senioren sind diese Laborbefunde wenig relevant." |
Altersbedingte
Besonderheiten bei der medikamentösen Schmerztherapie |
,,Grundsätzlich
werden chronische Schmerzen auch beim alten Menschen mit Medikamenten behandelt sowie mit
nichtmedikamentösen und chirurgischen Therapiemaßnahmen", erklärt Dr. Lukas
Radbruch. Bei der medikamentösen Therapie seien allerdings altersbedingte Besonderheiten
zu beachten, betont der Leiter der Schmerzambulanz der Kölner Universitätsklinik. So
arbeiten zum Beispiel mit zunehmendem Lebensalter Leber und Niere oft nicht mehr in vollem
Umfang und die Ausscheidungsvorgänge sind reduziert. Deshalb empfiehlt der Schmerzexperte, zu Beginn einer
Schmerztherapie die Dosis gängiger Schmerzmittel, sogenannter NichtSteroidaler Antirheumatika (NSAR), zu
reduzieren und vielleicht sogar die Zeitabstände zwischen den Einnahmen zu verlängern.
Erst wenn der Schmerz auf diese Weise nicht erfolgreich behandelt werden kann, sollte die
Dosis erhöht werden. Außerdem rät Radbruch, zu Beginn einer Schmerztherapie die
Nierenfunktion zu überwachen. Dies gelte für alle Medikamente, etwa Paracetamol,
Metamizol und Opioide, derzeit Mittel der Wahl für alten
Menschen.
Je nach Schmerzursache und Heftigkeit des Schmerzes
empfiehlt der Stufenplan der Weltgesundheitsorganisation (WHO),
die Therapie mit einfachen Schmerzmitteln zu beginnen. Besonders geeignet für
Alterspatienten scheinen nach heutigem Kenntnisstand die Wirkstoffe Paracetamol und
Metamizol zu sein. Reicht die Potenz dieser Schmerzsubstanzen nicht aus, können schwache
Opioide (Abkömmlinge von Morphin) verordnet werden, und im dritten Schritt kommen wie bei
jüngeren Patienten die starken Opioide zur Anwendung. |
Als
Teil einer Schmerztherapie machen Opioide nicht süchtig |
Die
Wirksamkeit der Opioide läßt sich oft durch einfache Schmerzmittel verbessern, erklärt
der Mediziner das Konzept der WHO. Außerdem rät Radbruch bei weiteren Beschwerden zu
einer entsprechenden Begleitmedikation. ,,Die Gabe zusätzlicher Medikamente dient der
Optimierung der Schmerztherapie, keinesfalls jedoch der Einsparung von Schmerzmitteln und
Opioiden." Gerade bei älteren Schmerzpatienten, auch wenn sie nicht unter Krebs
leiden, sind Opioide sinnvoll. ,,Schwere Nebenwirkungen sind auch bei diesen Patienten
sehr selten, wenn orale Darreichungsformen in einer der Schmerzstärke angepaßten
Dosierung gewählt werden." Auch bestehe bei richtiger Anwendung keine Gefahr, daß
Patienten süchtig würden oder immer mehr Opioide zu brauchten, beruhigt der Experte. |
Schmerzdiagnose
bei älteren Menschen: der Arzt muß gut beobachten |
Wichtig
für die Schmerztherapie ist dem Expertenteam der DGSS auch die klinische Diagnostik. Die
individuelle altersbedingte Beeinträchtigung des älteren Schmerzpatienten mache oft die
Erfassung der Beschwerden sehr schwierig. Fragebögen zur Schmerzmessung sind vielfach
für den alternden Patienten ungeeignet. Basler: ,,Viele ältere Menschen halten Schmerz
für ein normales Phänomen des Alters und sagen dem Arzt daher nicht, daß sie Schmerzen
haben." Die Experten der DGSS empfehlen ihren Medizinerkollegen deshalb, direkt nach
möglichen Schmerzen zu fragen und außerdem den Patienten genau zu beobachten. Oft
verraten Schonhaltungen, spontane Schmerzenslaute oder entsprechend gequälte
Gesichtszüge, daß ein Patient Schmerzen hat. Auch sollten die Ärzte die Angehörigen
nach solchem Verhalten fragen. |
Therapie
chronischer Schmerzen: vielschichtig und multidisziplinär |
Die
Experten um Professor Basler fordern auch im Alter eine mehrgleisige (multimodale) und
multidisziplinäre Schmerztherapie. ,,So sollte die medikamentöse Therapie kombiniert
sein mit krankengymnastischen Übungsbehandlungen, Trainingstherapie, physikalischer
Therapie und psychologischen Therapiemaßnahmen," erklärt
der Marburger Experte. Die einzelnen Behandlungen müssen aber, um erfolgreich sein zu
können, auf die speziellen Bedürfnisse des jeweiligen Alterspatienten ausgerichtet sein.
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Kontakt: |
Prof.
Dr. Dr. med. Heinz-Dieter Basler, Institut für Medizinische Psychologie Universität
Marburg, Bunsenstraße 3, 35037 Marburg Tel.: 06421-28-5308 (6249) Fax: 06421-28-4881
e-mail: basler@mailer.uni-marburg.de
Homepage: http://www.med.uni-marburg.de/medpsych
PD Dr. phil. Stefan Lautenbacher, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universität
Marburg, Rudolf-Bultmann-Straße 8, 35033 Marburg Tel.: 06421-28-6430 Fax: 06421-28-5432
e-mail: lautenba@mailer.uni-marburg.de
Dr. med. Lukas Radbruch, Schmerzambulanz Klinik für Anästhesiologie Universität zu
Köln, Josef-Stelzmann-Straße 9, 50924 Köln Tel.: 0221478-4884 Fax: 0221-478-6785 |
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