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Pressemitteilung 20.10.1999 |
Deutscher
Schmerzkongress
20.-24. Oktober 1999, München
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Sehen, wie das Gefühl Schmerz entsteht
Bildgebende Verfahren revolutionieren die
Schmerzforschung |
BiIdgebende Verfahren haben begonnen, die Schmerzforschung
zu revolutionieren. |
Schmerzforscher sehen dem menschlichen Gehirn dabei zu,
wenn es Schmerz empfindet und verarbeitet. Sie sehen auch, was sich im Zentralorgan
verändert, wenn chronische Schmerzen seinen "Besitzer" quälen. BiIdgebende
Verfahren haben begonnen, die Schmerzforschung zu revolutionieren. Sie Iiefern nicht nur
neue Erkenntnisse für ein besseres Verständnis des Phänomens Schmerz, sondern werden
auch die Schmerztherapie voranbringen. Unter dem Motto ,,Netzwerk Schmerz"
diskutieren rund 2000 Experten auf dem Deutschen Schmerzkongress in München aber auch
neue Erkenntnisse von Molekularbiologen, Physiologen und Psychologen um die Schmerzen von
MiIIionen Menschen besser lindern zu können. |
Diagnostik und Therapie chronischer Schmerzen in der inneren
Medizin |
Kann man Schmerzen
sichtbar machen? ,,Die Antwort lautet eindeutig Ja", erklärt Privatdozent Dr. Thomas
Tölle, Neurologe am Klinikum rechts der Isar der TU München. Tölle, einer der beiden
Präsidenten des Deutschen Schmerzkongresses, untersucht im Verbund mit Nuklearmedizinern
und Anästhesisten der TU was im Gehirn geschieht, wenn dort ein Schmerzreiz eintrifft.
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Die
Schmerzverarbeitung im Gehirn wird durchschaubarer. |
Möglich ist dies beispielsweise mit Hilfe der sogenannten
Positronen-Emissions-Tomographie (PET), einem Verfahren, das physiologische und
biochemische Prozesse im Gehirn sichtbar macht. So wissen die Forscher inzwischen, dass
schmerzhafte Reize in verschiedenen Arealen des Gehirns verarbeitet werden. Eine Gruppe
von Nervenzellen (Neuronen) bewertet beispielsweise, ob ein Signal die Schmerzschwelle
überschreitet. Eine zweite Gruppe in einer anderen Gehirnregion ist für die Verarbeitung
der Schmerzintensität, eine dritte Gruppe für die emotionale Komponente des Schmerzes
zuständig. |
Schmerz
verändert die Wahrnehmung und Verarbeitung von Reizen. |
Untersuchungen von Wissenschaftlern aus
Tübingen und Bochum mit anderen bildgebenden Verfahren, die ebenfalls auf dem Deutschen
Schmerzkongress vorgestelIt werden zeigen, dass chronische Rückenschmerzen oder
Phantomschmerzen die Repräsentation genannte ,,Spiegelung" des betroffenen
Körperteils in der Großhirnrinde verändern. Ebenso ist inzwischen klar, dass
Dauerschmerzen dazu führen, dass sich die Verarbeitung von Schmerzsignalen und damit
verknüpften anderen Sinnesreizen in Rückenmark und Gehirn verändert.
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Zirkadiane
Rhythmen stehen in enger Verbindung zum Cluster-Kopfschmerz. |
Dr. Arne May von der Universität Regensburg berichtet ebenfalls
auf dem Deutschen Schmerzkongress, dass bei dem sehr seltenen, aber extrem schmerzhaften
Cluster-Kopfschmerz jeweils ganz bestimmte Hirnstrukturen "arbeiten". Bei
Attacken von Cluster-Kopfschmerz sind Areale aktiv, die den Schlaf-Wach-Rhythmus und
andere zirkadiane Rhythmen steuern. Dieser körpereigene Zeitgeber, die ,,innere Uhr"
könnte vermutlich bei den Betroffenen generell verändert und somit das Triggerorgan für
die uhrwerkartig auftretenden Kopfschmerzattacken sein. |
Einsichten
ermöglichen eine Weiterentwicklung therapeutischer Strategien. |
Solche Einsichten sind nicht nur für das Verständnis
des komplexen Phänomens ,,Schmerz" und verschiedener Schmerzformen wichtig: Mit
ihrer Hilfe können - in Verbindung mit physiologischen und molekularbiologischen
Untersuchungen - Mechanismen und Risikofaktoren aufgespürt werden, die zur
Chronifizierung von Schmerzen führen. Vor allem können Forscher bildgebende Verfahren
auch für die Weiterentwicklung therapeutischer Strategien nutzen: ,,Wir können
beispielsweise untersuchen, ob und wie verschiedene Behandlungsmethoden - medikamentöse,
aber auch psychologische Strategien - die verschiedenen Neuronengruppen beeinflussen, die
an der Verarbeitung schmerzhafter Reize beteiligt sind." erklärt Tölle ,,Wir
spielen dabei quasi auf der Klaviatur der Schmerzreize und setzen die verschiedenen
Therapien dagegen."
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Die
wirksamsten Schmerzmittel sind Opioide. |
Das Opiatsystem spielt bei Schmerz eine zentrale Rolle.
Alle Gehirnregionen, die Schmerzsignale verarbeiten, haben Eines gemeinsam: Körpereigene
Opiate, sogenannte Endorphine, spielen als Signalübermittler eine entscheidende Rolle.
,,Dies ist sicherlich der entscheidende Grund dafür", so Tölle, ,,dass Morphin und
seine synthetischen Abkömmlinge, die Opioide' die wirksamsten Schmerzmittel sind, die wir
bei starken Schmerzen haben. |
Viele
Fragen sind noch unklar. |
Doch selbst diese hochpotenten Schmerzhemmer lindern
nicht jede Art von Schmerz und können vor allem im Laufe einer längeren Behandlung
mitunter an Wirksamkeit verlieren. Mit Hilfe der bildgebenden Verfahren können die
Forscher nun nachweisen, dass ihre Opiat-Testsubstanzen, die in der Bildgebung eingesetzt
werden, bei chronischen Schmerzsyndromen weniger gut an den Bindungsstellen (Rezeptoren)
auf der Oberfläche der Neuronen andocken. Wodurch dieses Phänomen verursacht wird, ist
indes noch unklar. Ziehen Nervenzellen die Rezeptoren auf ihrer Oberfläche ein oder sind
bei starken Schmerzen alle verfügbaren Rezeptoren von körpereigenen Opiaten bereits
besetzt?
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Es
werden unterschiedliche Wege beschritten. |
Selbst wenn die Forscher hier noch im Dunkeln tappen, haben sie
dennoch Wege gefunden, die Empfindlichkeit des körpereigenen Opiatsystems zu steigern:
Verschiedene andere Medikamente, die an Rezeptoren für unterschiedliche Signalstoffe
(Neurotransmitter) im Gehirn andocken können, beeinflussen dadurch über komplexe
Signalkaskaden auch das Opiatsystem. Diese anderen Medikament "kitzeln das endogene
Opiatsystem wach und machen es wieder empfänglich," erklärt Tölle. |
Schmerzmechanismen
sind individuell, deshalb muss auch die Therapie individuell sein. |
Oberstes Ziel ist eine maßgeschneiderte Therapie.
Das langfristige Ziel dieser Aktivitäten: Eine maßgeschneiderte Therapie, die sich an
dem jeweiligen Schmerzmechanismus orientiert. Denn hier gibt es Unterschiede. Eine
Schmerzform entsteht durch den ständigen Einstrom von Schmerzimpulsen, die von
Schmerzrezeptoren in Geweben und Organen, den ,,Nozizeptoren", aufgenommen und
weitergeleitet werden. Experten nennen diesen Schmerz ,,Nozizeptorschmerz". Der so
genannte neuropathische Schmerz entsteht hingegen dann, wenn Nerven oder Gehirnstrukturen
geschädigt sind.
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Schmerz als Krankheit |
Zwar gibt es Überlappungen und Übergänge zwischen diesen beiden
Schmerzarten, doch prinzipiell sind sie unterschiedlich. Der Nozizeptorschmerz ist die
Hauptkomponente beispielsweise von Schmerzen bei chronischen Entzündungen,
Rückenschmerzen und Tumorschmerzen. ,,Wir gehen davon aus", erklärt Tölle, ,,dass
diese Schmerzen weitgehend wieder verschwinden können, wenn die sie verursachende
Erkrankung geheilt oder behandelt wird. Ebenso kann der Einstrom von Schmerzsignalen in
das Zentralnervensystem mit Medikamenten effektiv gehemmt werden. |
Bei
neuropathischen Schmerzen müssen verschiedene Strategien kombiniert werden. |
Beim neuropathischen Schmerz sind Nervenbahnen (etwa bei
Schmerzen nach einer Gürtelrose oder bei diabetischen
Spätschäden) oder bestimmte Gehirnareale (etwa nach Schlaganfällen)
geschädigt. ,,Dies erklärt", so Tölle, ,,warum in solchen Fällen trotz
Gewebeheilung die Schmerzen weiterbestehen oder sogar schlimmer werden können."
Darum werden die Wissenschaftler auf dem Deutschen Schmerzkongress diskutieren, ob und wie
diese beiden Schmerzformen unterschiedlich behandelt werden müssen. Denn vor allem bei
neuropathischen Schmerzen gehen die Ärzte davon aus, dass sie verschiedene Strategien
miteinander kombinieren müssen, etwa unterschiedlich wirkende Arzneimittel, die jeweils
andere neurochemische Signalketten anstoßen.
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Rückfragen an:
PD Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas R. Tölle
Neurologische Klinik,
Technische Universität München,
Klinikum rechts der Isar
Möhlstraße 28, 81675 München
Tel.: 089-4140-4658 Fax: 089-4140-4659
e-mail: dgss99@lrz.tu-muenchen.deTop |
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