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DGSS Münster, Deutscher Schmerzkongress, 9.
Oktober 2003 |
Deutscher Schmerzkongress 2003
08. - 12. Oktober in Münster |
Deutscher Schmerzkongress, Münster, 9. Oktober 2003 |
NO-abhängige Mechanismen bei der Entstehung von Kopfschmerz
Prof. Dr. Karl Messlinger, Universität Erlangen-Nürnberg
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Bei der Erforschung des Kopfschmerzes
versuchen wir mit tierexperimentellen Untersuchungen und Experimenten am Gewebe (sog. in
vitro Experimenten) Erkenntnisse über die pathophysiologischen Grundlagen der
Kopfschmerzentstehung zu gewinnen. Wir können dies, weil das Schmerz erzeugende
(nozizeptive) System in allen höheren Organismen ziemlich ähnlich ist, obwohl wir
natürlich nicht wissen, ob es Kopfschmerz bei Tieren überhaupt gibt. Das Wissen über
die kausalen pathophysiologischen Zusammenhänge der Kopfschmerzentstehung hilft uns
dabei, neue und bessere Therapiestrategien zu entwickeln. Diese beiden Annahmen sind
natürlich nicht unumstritten. Aber wir erleben heute gerade auf dem Gebiet Kopfschmerz,
dass der Weg von der Grundlagenforschung zur Anwendbarkeit auch relativ kurz sein kann.
Das wurde z. B. durch die rasante Entwicklung der Triptane als Therapeutika gegen den
Migräneschmerz deutlich. |
NO: Schlüsselmolekül bei Schmerz fördernden Prozessen?
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Ein Forschungsgebiet, das im Moment noch weit von der therapeutischen
Anwendbarkeit beim Kopfschmerz entfernt sein dürfte, sind die Wirkungen von
Stickstoffmonoxid (NO) im Organismus. Das universell im Körper gebildete NO, ein
instabiles Radikal, ist an vielen unterschiedlichen biologischen Funktionen beteiligt und
kann sowohl wichtige physiologische als auch schädliche pathophysiologische Wirkungen
haben. Die Bedeutung des NO bei der Schmerzentstehung wird schon seit geraumer Zeit
diskutiert, aber erst in jüngster Zeit mehren sich die Befunde, dass NO sowohl im
peripheren Gewebe als auch im Zentralnervensystem an Schmerz fördernden (nozizeptiven)
Vorgängen beteiligt ist. Vor allem im Innervationsgebiet der intrakraniellen Blutgefäße
scheint NO ein wichtiges Schlüsselmolekül zu sein, das nozizeptive Signalkaskaden
auslösen und damit zur Entstehung von Kopfschmerzen führen kann. Die Infusion von NO
freisetzenden Substanzen (sog. NO-Donatoren) wie Nitroglycerin und anderen
Nitrovasodilatoren (gefäßerweiternde Substanzen) erzeugt bei vielen Menschen leichten
Kopfschmerz. Bei Patienten, die unter Migräne oder Clusterkopfschmerz leiden, nicht aber
bei Gesunden, entsteht darüber hinaus mit einer Verzögerung von bis zu mehreren Stunden
nach Gabe eines NO-Donators häufig eine migräne- bzw. clusterartige Kopfschmerzattacke.
Außerdem finden sich bei Migränepatienten während der Attacken erhöhte Spiegel der
Abbauprodukte von NO (Nitrit, Nitrat), was auf eine verstärkte körpereigene (endogene)
NO-Produktion hinweist. |
Wichtige physiologische Bedeutung, aber auch schädliche Wirkung
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Tierexperimentelle Studien und in vitro Experimente an isolierten Geweben
lassen erkennen, dass die endogene NO-Produktion sowohl peripher (d.h. in den Hirnhäuten)
als auch zentral im trigeminalen Hirnstamm eine wichtige physiologische und vermutlich
auch pathophysiologische Rolle spielt. In den Hirnhäuten (Dura und Pia mater encephali)
trägt die endogene NO-Freisetzung wesentlich zur Aufrechterhaltung der Durchblutung bei,
da NO eine entspannende Wirkung auf die glatte Gefäßmuskulatur hat. Erste
elektrophysiologische Untersuchungen von Hirnhautnerven in vitro deuten darauf hin, dass
NO-Donatoren trigeminale Nervenfasern in der Hirnhaut erregen kann, was beim Menschen zu
Kopfschmerz führen würde. Diese Nervenfasern ziehen mit ihren zentralen Endigungen in
den Hirnstamm ein, wo sie mit Nervenzellen im spinalen Trigeminuskern verschaltet sind.
Untersucht man nun elektrophysiologisch solche Neurone, so sieht man nach der Gabe eines
NO-Donators, wie die Entladungsrate (Spontanaktivität) langsam immer weiter zunimmt.
Dieses Verhalten erinnert an die verzögert einsetzenden Kopfschmerzen nach der
Verabreichung von Nitrovasodilatoren z. B. bei Migränepatienten. Unter bestimmten
Bedingungen scheinen sogar einige trigeminale Nervenzellen selbst NO zu produzieren, wie
aus immunzytochemischen Untersuchungen der Ezyme geschlossen werden kann, die die Synthese
von NO steuern. Dieser und weitere Mechanismen stehen im Verdacht, die Erregbarkeit der
zentralen trigeminalen Nervenzellen dauerhaft zu steigern. NO scheint also gerade im
trigeminalen System eine zentrale Rolle zu spielen und pro-nozizeptive Vorgänge auf
verschiedenen Ebenen zu fördern. |
Bedeutsam für die Entstehung und Chronifizierung von Kopfschmerz?
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Ausgehend von diesen tierexperimentellen Befunden wird nun weiter
diskutiert werden müssen, ob das endogen freigesetzte Stickstoffmonoxid auch bei der
Entstehung und insbesondere der Chronifizierung von spontanen Kopfschmerzen eine
entscheidende Rolle spielt. Sollte dies der Fall sein, so hat man einen weiteren Baustein
im gesamten Gebäude der Kopfschmerzentstehung gefunden. Dies bedeutet natürlich nicht,
dass diese Erkenntnisse schnell zu neuen therapeutischen Strategien führen, indem man
z.B. versucht, die körpereigene NO-Produktion zu hemmen. Dies würde wahrscheinlich zu
viele wichtige biologische System stören, die von der laufenden Produktion von NO
abhängig sind. Aber man wird sicherlich Submechanismen oder intrazellulären Signalwegen
finden können, die für das trigeminale System spezifisch sind. Erst dann kann man
versuchen, diese Mechanismen therapeutisch zu beeinflussen. Bis dahin wird aber sicherlich
noch ein weiter wissenschaftlicher Weg zurückzulegen sein. |
Ansprechpartner
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Prof. Dr. Karl Messlinger, Institut für Physiologie I,
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Universitätsstr. 17, 91054 Erlangen,
E-Mail: messlinger@physiologie1.uni-erlangen.de
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