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Deutscher Schmerzkongress 2001
03. - 07. Oktober in Berlin |
Pressemitteilung Nr. 15 5. Oktober 2001 |
Die Spur der Qual: Wo und wie das Gehirn Schmerzen verarbeitet
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Nicht nur wo, sondern auch wie Schmerzen im Gehirn verarbeitet werden,
lässt sich mit so genannten bildgebenden Verfahren zusehends detaillierter beobachten.
Wissenschaftler können dem Gehirn quasi dabei zusehen, wenn es Schmerz empfindet. Ihre
Erkenntnisse präsentieren Forscher auf dem Deutschen Schmerzkongress in Berlin.
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Bildgebende Verfahren machen Schmerz "sichtbar".
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Was spielt sich im Gehirn ab, wenn ein Mensch das höchst subjektive
Gefühl Schmerz empfindet? Seit einigen Jahren ermöglichen neue, sich rasch verfeinernde
Methoden den Forschern objektive Einblicke in die Schmerzwahrnehmung: Mit zwei so
genannten bildgebenden Verfahren der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und der
funktionellen Magnet-Resonanz-Tomographie (fMRT) lässt sich die Aktivität jener
Hirnareale, die Schmerzreize verarbeiten, in zunehmend feineren Details sichtbar machen. |
Bilder zeigen: Was geschieht wo.
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"Die neuen Methoden der Bildgebung", erklärt Priv. Doz. Dr. Dr.
Thomas R. Toelle von der Neurologischen Klinik der Technischen Universität München,
"erlauben interessante Einblicke in die Verarbeitung des Schmerzes im zentralen
Nervensystem. Und sie geben Hinweise darauf, welche Regionen des Gehirns für die
Verarbeitung der sensorischen, gefühlsmäßigen und bewusst wahrgenommenen Aspekte des
Schmerzes in besonderem Maße verantwortlich sind." |
Momentaufnahmen aktiver Hirnareale
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Die wachsende Hoffnung der Schmerzforscher und ärzte beruht auf den
speziellen Fähigkeiten der beiden bildgebenden Verfahren. Denn sowohl fMRT als auch PET
enthüllen, welche Zellverbände im Moment der Aufnahme gerade aktiv sind. Dies erlaubt
Einblicke, die rein anatomische Bilder wie etwa computertomographische Röntgenaufnahmen
nicht bieten können. Ihre faszinierenden Ergebnisse erzielen die beiden Verfahren
allerdings auf höchst unterschiedliche Weise:
- Die funktionelle Magnet-Resonanz-Tomographie auch Kernspin-Tomographie genannt
gewinnt ihre Informationen über den Zellstoffwechsel mit Hilfe eines starken
Magnetfeldes, das bestimmte Atome im Gewebe anregt, für sie typische Radiosignale
auszusenden.
- Die Positronen-Emissions-Tomographie arbeitet normalerweise mit radioaktiv markierten
Zucker-(Glukose-)Lösungen, die sich in aktiven Zellen stärker anreichern.
Schmerzforscher verwenden für ihre Untersuchungen noch andere radioaktiv markierte
Substanzen.
Beiden Verfahren gemeinsam ist die Aufbereitung der empfangenen Signale zu zwei- oder
dreidimensionalen Bildern mit Hilfe spezieller Rechenprogramme durch leistungsfähige
Computer.
Die bildgebenden Verfahren erlauben den Schmerzforschern jedoch nicht nur, die
Aktivitäten von Neuronen-Verbänden zu beobachten. Ebenso ist es möglich, die Aktivität
bestimmter Botenstoffen zu analysieren. Seit einem Vierteljahrhundert wissen Forscher,
dass Schmerzsignale im Gehirn durch körpereigene, opiatähnliche Botenstoffe so
genannte Endorphine gedämpft oder sogar unterdrückt werden können: Sie docken an
bestimmten, Rezeptoren genannten Strukturen der Zelloberfläche an, wodurch die
Schmerzsignal-Stafette unterbrochen wird.
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Es gibt kein Schmerzzentrum
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Diese Einblicke haben bereits die grundlegenden Vorstellungen der
Neurowissenschaftler verändert, wie das Gehirn Schmerzen verarbeitet. Offensichtlich
erzeugt dort kein zentrales Schmerzzentrum den "Gesamteindruck Schmerz", so
Toelle, sondern "vermutlich ein Netzwerk verschiedener funktioneller Systeme":
Dabei handelt es sich um Nervenzellen-(Neuronen-)Verbände in teilweise weit auseinander
liegenden Hirnarealen, die Schmerzsignale aus unterschiedlichen Nervenbahnen empfangen und
auf verschiedenartige Weise parallel oder hintereinander geschaltet verarbeiten. So
bewerten Nervenzellen im Thalamus dem "Tor zum Bewusstsein" im Zwischenhirn
zusammen mit Neuronen der vorderen Großhirnrinde, ob ein ankommender Reiz die
Schmerzschwelle überschreitet. Dafür, wie intensiv die betroffene Person den Schmerz
wahrnimmt, sind bestimmte Nervenzellen-Verbände im so genannten limbischen System
zuständig, das an der Entstehung von Gefühlen und gefühlsbetonten Verhaltensweisen
beteiligt ist. Ein weiterer Neuronen-Verband des limbischen Systems entscheidet
schließlich, ob der Schmerzreiz als unangenehm empfunden wird.
Obwohl viele Details dieser neurobiologischen Basis der Schmerzverarbeitung noch
ausstehen, zeichnen sich bereits nützliche Anwendungen ab. Mit Hilfe von PET und fMRT
können Wissenschaftler beobachten, ob und wie verschiedene schmerztherapeutische
Maßnahmen in den betroffenen Nervenzell-Netzwerken Wirkung zeigen: So ließe sich zum
Beispiel der Einfluss von Schmerzmitteln und anderen Medikamenten auf die verschiedenen
Dimensionen des Schmerzes überprüfen. Darüber hinaus machen die Verfahren individuelle
Unterschiede bei der Schmerzverarbeitung sichtbar sie eröffnen somit in der Zukunft
vielleicht auch die Möglichkeit, Therapien auf den einzelnen Patienten zuzuschneiden.
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Körpereigenen Schmerzhemmern bei der Arbeit zusehen
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Nun liefern PET-Versuchsreihen an gesunden Versuchspersonen und Patienten
erste Einblicke in dieses Geschehen. Dazu injizieren die Forscher ihren Probanden
radioaktiv markierte Substanzen, die an dieselben Rezeptoren binden können wie
Endorphine. Darum werden sie "exogene Liganden" genannt. Je mehr Rezeptoren von
diesen Liganden besetzt werden können, desto stärker sind deren messbare Signale. Sind
die Rezeptoren bei Schmerzen durch körpereigene Opiate "besetzt", können die
Wettbewerber von außen nicht andocken. Dies belegen Vergleiche zwischen Patienten mit
rheumatoider Arthritis und gesunden Personen. Bei den Patienten sind die Liganden-Signale
deutlich schwächer. Erhalten die Patienten jedoch eine ausreichende Schmerztherapie,
gleicht sich das Ausmaß der Liganden-Bindung an die der Gesunden an. "Dies lässt
darauf schließen", erklärt Tölle, "dass die Rezeptoren im Schmerzzustand
möglicherweise durch Endorphine belegt sind und nach der Behandlung wieder für das
Anlagern der exogenen Liganden zur Verfügung stehen." Untersuchungen anderer
Wissenschaftler bestätigen solche Zusammenhänge. Erhalten Versuchspersonen einen
schmerzhaften Reiz, empfinden sie dessen Intensität individuell unterschiedlich. Dies
spiegelt sich auch auf der molekularen Ebene wider: Je schwächer der Schmerz empfunden
wird, desto mehr Rezeptoren sind durch Endorphine besetzt. Für die Forscher ist dies
"ablesbar" an den schwächeren Signalen der exogenen Liganden, die weniger freie
Bindungsplätze finden.
Als besonders dynamisch erwiesen sich die Botenstoffe außer im Thalamus und in einer
Großhirnrinden-Region namens Gyrus cinguli vor allem im "Mandelkern": Dieses
kleine, auch Amygdala genannte Areal des limbischen Systems beeinflusst Hirnstrukturen,
die an der Unterdrückung von Schmerzen beteiligt sind. Es ist ein wesentlicher
Bestandteil des körpereigenen Systems der Schmerzhemmung.
"Es gibt ausreichend Hinweise darauf", berichtet Thomas Toelle, dass diese
Vorgänge "Schmerzlinderung im Menschen vermitteln und durch akute Schmerzreize oder
möglicherweise auch nur durch die Erwartung von Schmerz aktiviert werden." Sicher
ist, dass bei akuten Schmerzreizen in der Amygdala die körpereigenen Opiate aktiv sind.
"Ob dies auch schon bei der Erwartung von Schmerzen der Fall ist, versuchen wir
gerade heraus zu finden", sagt Tölle.
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Schmerz ist immer eine Hirn-Sache
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Dass Schmerz letztlich immer eine Sache des Gehirns ist, zeigen
beispielhaft PET-Untersuchungen an Patienten, die nach einer Amputation von Gliedmaßen
unter Phantomschmerzen litten Qualen, die vermeintlich vom nicht mehr vorhandenen
Körperteil ausgingen. Bei den Betroffenen registrierten die Forscher nahezu identische
Aktivierungsmuster im Gehirn wie bei gesunden Menschen, die am betreffenden Körperteil
einen schmerzhaften Reiz erhielten. Dies belegt, so Tölle, "dass das Netzwerk
verschiedener funktioneller Schmerzsysteme im Gehirn auch intern erzeugt werden kann"
also ganz ohne Signale aus dem Körper. |
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Rückfragen an:
Priv.-Doz. Dr. Dr. Thomas R. Tölle
Oberarzt der Neurologischen Klinik der Technischen Universität München
Leiter der Schmerzambulanz
Klinkum rechts der Isar
Möhlstraße 28 81675 München
Tel.: 089-4140-4603
Fax.: 089-4140-4867
e-mail: thomas.toelle@neuro.med.tu-muenchen.de
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