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Deutscher Schmerzkongress 2001
03. - 07. Oktober in Berlin |
Pressemitteilung Nr. 2 2. Oktober 2001 |
Verständnis wecken für die Komplexität chronischer Schmerzen
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(Berlin) Mehr Verständnis wecken für die Komplexität chronischer
Schmerzen wollen die Präsidenten des Deutschen Schmerzkongresses, der vom 3. bis 7.
Oktober in Berlin stattfindet. Ein Umdenken in Gesellschaft, Politik, bei Ärzten und
Patienten sei erforderlich.
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Noch immer herrscht ein falsches Verständnis für die Ursache
chronischer Schmerzen vor.
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"Chronischen Schmerzen liegt immer eine Grunderkrankung zugrunde, die
behandelt werden muss." Dieser Aussage stimmten bei einer EMNID-Umfrage im
vergangenen Jahr 60 Prozent der Bundesbürger zu doch sie ist falsch. "Derartige
Vorstellungen von einer einzigen und vor allem körperlichen Ursache treffen zwar in
vielen Fällen bei akuten, nicht jedoch bei chronischen Schmerzen zu", erklärt
Professor Andreas Straube, Neurologe am Münchener Klinikum Großhadern. Wenn Schmerzen
sich verselbstständigen und die chronische Schmerzkrankheit entsteht, spielen vielmehr
komplexe Wechselwirkungen zwischen Körper und Seele, zwischen äußeren und inneren
Faktoren eine große Rolle. "Ein Ziel des Deutschen Schmerzkongresses ist es daher,
in der Öffentlichkeit, bei Ärzten und Patienten ein Verständnis für die
Vielschichtigkeit der Ursachen von chronischen Schmerzen zu wecken", betonen die
beiden Kongresspräsidenten Professor Andreas Straube und Professor Christoph Stein,
Anästhesist am Klinikum Benjamin Franklin der Freien Universität Berlin. |
Fehler im Zusammenwirken von Arzt und Patient verschlechtern das
Befinden.
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Die falschen Vorstellungen über Ursachen und Entstehung chronischer
Schmerzen sind ein wesentlicher Grund für Fehler im Zusammenwirken von Arzt und Patient:
Viele Ärzte setzen vor allem organisch begründete und nur auf eine Ursache ausgerichtete
Therapien ein. Dies macht Patienten passiv und weckt übertriebene Erwartungen, dass alles
machbar sei. Groß ist dann die Enttäuschung, wenn die erhofften, schnellen
Behandlungsergebnisse ausbleiben. Dies verschlechtert das Befinden weiter. |
Ein interdisziplinärer und langfristiger Ansatz ist notwendig.
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Die Behandlung chronischer Schmerzen muss jedoch stets Körper und Psyche
gleichermaßen berücksichtigen und sollte daher interdisziplinär und langfristig
angelegt sein, fordern die Experten: Ärzte, Psychologen und andere Therapeuten müssen
mit den Patienten zusammenarbeiten. "Der Arzt", erläutert Straube, "muss
auf seinen Omnipotenz-Anspruch verzichten und erkennen, dass nur die Zusammenarbeit mit
anderen Disziplinen wie Psychologie, physikalische Medizin und soziale Rehabilitation zum
therapeutischen Erfolg führen kann. Die Patienten müssen sich als aktive Partner in der
Therapie verstehen, die selbst zur Krankheitsbewältigung beitragen und Verantwortung
übernehmen können." |
Das Gesundheitswesen ist unzureichend.
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"Doch dieses langfristige Vorgehen ist schwierig angesichts der
Strukturen unseres Gesundheitswesens, das für die Behandlung akuter Erkrankungen besser
ausgerüstet ist als für die multidisziplinäre Therapie chronischer Leiden",
kritisieren die Kongresspräsidenten. |
Die Kooperation mit den Krankenkassen ist mangelhaft.
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So ist beispielsweise die Effizienz interdisziplinärer
Rehabilitationsprogramme zur Wiedereingliederung von Patienten mit chronischen Schmerzen
durch internationale Studien belegt. "Trotzdem", erklärt Stein, "bestehen
in Deutschland erhebliche Probleme bei der Finanzierung und Akzeptanz, was die Umsetzung
solcher Programme nachhaltig verhindert." Eine Regelfinanzierung gibt es nicht,
laufende Programme sind ausschließlich auf der Basis zeitlich begrenzter Verträge mit
örtlichen Krankenkassen finanziert. "So bestehen etwa beim Göttinger
Rücken-Intensiv-Programm gute Kooperationen mit Primärkassen, etwa AOK und BKK, während
sich die Ersatzkassen sperren", weiß Stein. Ähnliche Programme in anderen Städten
werden hingegen etwa nur von Betriebskrankenkassen oder der Barmer Ersatzkasse finanziert.
"In Berlin", klagt Stein, "fand sich bisher überhaupt kein
Kostenträger." Und in keinem Fall kam bislang eine Finanzierung durch
Rentenver-sicherungsträger zustande. Diese gehen davon aus, dass solche Programme auch in
ihren Kliniken laufen, "was de facto eine vollige Fehleinschätzung darstellt",
so Stein deutlich. Fazit: Die Patienten werden zwischen den Kostenträgern hin und her
geschoben. Darum sei eine grundsätzliche Regelung dringend erforderlich, betont Stein. |
In den USA hat die Politik auf Defizite reagiert
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Neidvoll blicken die deutschen Experten in die USA: Dort hat die Politik
auf derartige Defizite bereits reagiert. Im Jahr 1999 veröffentlichte die zentrale
Behörde, die Versorgungs-einrichtungen für Patienten genehmigt und kontrolliert,
Standards zur Beurteilung und Behandlung von Schmerzen. Alle Einrichtungen, in denen
Patienten versorgt werden, wurden verpflichtet, das Recht der Patienten auf adäquate
Erfassung, Beurteilung und Behandlung von Schmerz anzuerkennen. Schmerzen müssen bei der
Eingangs-untersuchung erfasst werden. Außerdem müssen die Effektivität von
Schmerzbe-handlungsplänen dokumentiert und Patienten und deren Angehörige über
Schmerztherapie aufgeklärt werden. Ein Kernpunkt dieser Initiative ist die Bedingung,
Schmerz als das "5. Lebenszeichen" ("fifth vital sign"), neben Puls,
Blutdruck, Atmung, Temperatur regelmäßig auf dem Krankenblatt zu dokumentieren.
"Werden diese Bedingungen nicht erfüllt", so Stein, "ist die Existenz
einer Einrichtung gefährdet." |
Kooperation ist auch in der Forschung notwendig.
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Eine zweite Initiative führte dazu, dass der amerikanische Kongress
Anfang 2001 die "Decade of Pain Control and Pain Research" gesetzlich
verankerte. "Ganz offensichtlich", so Stein, "wird also von der US-Politik
Schmerz als vorrangiges Problem in Krankenversorgung und Forschung erkannt." Davon
sei man in Deutschland leider noch ziemlich weit entfernt. "Vor allem in der
klinischen Forschung und damit auch in der klinischen Schmerzforschung", erklärt
Stein, "gibt es erhebliche Defizite, die etwa die Deutsche Forschungsgemeinschaft
erst im vergangenen Jahr kritisiert hat." Nur an wenigen medizinischen Fakultäten
sei die Forschung institutionalisiert, es mangele auch an der Kooperation zwischen
Grundlagenforschern und Klinikern sowie einer sauberen Trennung bei der Finanzierung von
Forschung und Krankenversorgung. |
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Rückfragen an:
Prof. Dr. med. Ch. Stein (DGSS)
Klinik für Anaesthesiologie und Operative Intensivmedizin
Freie Universität Berlin, Klinkum Benjamin Franklin
Hindenburgdamm 30, 12200 Berlin
Tel.: 030-8445-2731
Fax: 030-8445-4469
e-mail: christoph.stein@medizin.fu-berlin.de
Prof. Dr. med. Andreas Straube (DMKG)
Neurologische Universitätsklinik, Klinikum Großhadern, LMU
Marchioninistraße 15, 81377 München
Tel.: 089-7095-3900
Fax: 089-7095-3677
e-mail: sstraube@brain.nefo.uni-muenchen.de
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