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Depression verstehen
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Jeder
ist betroffen.
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Die
Depression zermürbt auf allen Ebenen: seelisch, körperlich, vor allem aber
zwischenmenschlich. Das betrifft Partner, Kinder, Eltern, weitere Angehörige, Freunde,
Bekannte, Nachbarn, Berufskollegen, Vorgesetzte usw. Wäre der Patient offensichtlich nur
verstimmt, traurig oder gar tief schwermütig, jeder könnte es verstehen. |
Depressionen
werden oft nur am Beispiel deutlich. |
Die
Depression aber äußert sich häufig nicht als Depression, jedenfalls nicht so, wie man
eine Melancholie zu kennen glaubt. Die Depression greift in einer Weise in das
Alltagsleben ein, wie es nur jene verstehen, die einmal damit in Berührung gekommen sind.
Nachfolgend deshalb einige willkürlich herausgelesene Beispiele, z. B. aus dem
Berufsalltag, um die im Grund unbegreiflichen folgen einer solchen Gemütskrankheit
anzudeuten: |
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Fallbeispiele Beruf
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Die
Hausfrau: |
Die
Hausfrau steht in der Küche und weiß nicht mehr, wie ein alltägliches Gericht zu kochen
ist. Der Wassertopf wird ihr so schwer, dass sie ihn nicht mehr vom Herd bekommt. Der
Besen fällt ihr vor Schwäche aus der Hand. Die Betten zu machen, ist fast unmöglich.
Sie hat Angst davor, dass die Angehörigen heimkommen - und nichts zu essen vorfinden. Den
Supermarkt hat sie wieder mit leeren Händen verlassen, weil sie nicht mehr weiß, was man
zu welcher Mahlzeit braucht. Dafür hat sie in ihrer Ratlosigkeit einiges Unnötige
eingekauft. Sie selbst klagt, sie bringe nichts mehr zustande, sei völlig erschöpft,
wisse aber nicht woher. Auf diesen sonderbaren Zustand angesprochen reagiert sie entweder
gereizt ("mir hilft ja auch niemand") oder verzweifelt und mit
Tränenausbrüchen. Manchmal versucht sie nachts alles aufzuholen, aber am nächsten Tag
ist es nicht besser. Es herrscht eine betretenen Stimmung in der Familie. |
Der
Arzt: |
Der
Arzt hat plötzlich Angst vor seinem vollen Wartezimmer. Er fühlt sich seit einiger Zeit
ohne Grund müde und zerschlagen, ratlos und verunsichert, vor allem mit eine
"katastrophalen Gedächtnisschwund" geschlagen. Er weiß nicht mehr, wie er die
Klagen seiner Patienten einordnen, welche Diagnose er stellen und welche Medikamente er
aufschreiben soll. Er fragt sich in stiller Panik, ob dies eine Alzheimer Demenz werden könnte. Die Patienten sind
verwirrt, die Arzthelferinnen wissen nicht, was sie ihnen sagen sollen. |
Der
Richter: |
Der
Richter sitzt vor den Akten einer Strafsache und begreift nicht mehr, was dort geschrieben
steht - trotzt 30 Dienstjahren und Hunderten von Gerichtsverfahren. In seiner Verzweiflung
nimmt er die Akten abends mit nach Hause, um sie am nächsten Morgen unbearbeitet wieder
ins Gericht zurückzubringen. Wichtige Verfahrenstermine werden abgesagt, andere nicht
mehr anberaumt. |
Der
Lehrer: |
Der
Lehrer steht vor seiner Klasse, völlige Leere im Kopf, hilflos, dem Spott ausgeliefert,
in Verzweiflung. Er weiß nicht mehr, wie er diesen Zustand seinem Rektor erklären soll.
Er weiß nur, dass es demnächst Proteste von empörten Eltern hageln wird. Von Tag zu Tag
gerät er mehr in Panik und macht gerade jede Fehler, die er am meisten fürchtet. |
Die
Sekretärin: |
Die
Sekretärin sitzt vor der Schreibmaschine, alles verschwimmt ihr vor den Augen, die
Fachbegriffe in den diktierten Briefen, seit vielen Jahren täglich im Ohr, muss sie neu
nachschlagen, weil sie nicht mehr sicher ist, wie man sie schreibt. Die Hand wird ihr
immer schwerer, die Fächer mit unerledigter Arbeit quellen über, die Rückfragen werden
immer gereizter. |
Der
Mitarbeiter im Außendienst: |
Der
Außendienstmitarbeiter, seit 2 Jahrzehnten unterwegs, tüchtig und beliebt, alter
Routinier in seinem Fach, traut sich nicht mehr zu seinen Kunden. Er hat Angst, seine
Angebote nicht mehr fachgerecht vortragen zu können und vor allem die Reklamationen nicht
mehr zu begreifen, geschweige denn Abhilfe zu schaffen. |
Der
Arbeiter: |
Der
Arbeiter läuft wie benommen umher, hat einen dumpfen Kopf, Atemenge und Herzschmerzen und weiß doch vom Hausarzt,
"dass er organisch gesund ist". Er kann seit Wochen nicht mehr schlafen, geht
wie auf Watte und hat Angst, man könne ihn für betrunken halten. An der Werkbank greift
er ständig daneben und schafft sein Soll nur mit größter Anstrengung. Die Kollegen
machen dumme Witze. |
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Warnsymptome
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Leichte
Symptomatik. |
Die
Liste der Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Leichte Formen der Depression
können sich nur in einer unerklärlichen Arbeitserschwernis äußern. Man muss sich
doppelt und dreifach anstrengen, um die alte Leistung zu erbringen, die man seit Jahren
oder Jahrzehnten routiniert verrichtet hat. |
Schwerere
Symptomatik. |
In
schwereren Fällen ermattet man rasch und ist schließlich völlig erschöpft, bevor man
überhaupt richtig begonnen hat. Manchmal wirkt es wie eine vorzeitige Geistesschwäche,
also eine Demenz, ein erworbener Schwachsinn, und
das im besten Alter. |
Häufige
Warnsymptome: |
Kurz:
relativ überraschender Leistungsabfall und/oder völliges Unvermögen, mit alltäglichen
Aufgaben und bisher problemlos bewältigten Schwierigkeiten fertigzuwerden, sind im
beruflichen Bereich häufig Warnsymptome; dies besonders dann, wenn man sie sich nicht mit
Überforderung, "ferienreif" usw. erklären kann. Es pflegt sich aber bei
genauem Hinschauen um mehr zu handeln, als nur eine vorübergehende Erschöpfung. |
Die
Folgen einer unerkannten Depression sind schwerwiegend. |
Es
ist eine eigenartige bisher unbekannte Mischung aus "tiefsitzender
Kraftlosigkeit" und grundlosem "Elendigkeitsgefühl". Anfangs vermag man es
noch durch gewaltige Anstrengungen zu kompensieren, später versucht man es nur noch zu
vertuschen, so gut es geht. Auf Dauer aber droht bei einer solchen unerkannten Depression
eine "totale Erschöpfung" oder gar die Gefahr der Versetzung, Herabstufung oder
des Arbeitsplatzverlustes durch Kündigung von Arbeitgeber oder der zermürbten Patienten
selber. |
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Fallbeispiele Familie und Freunde
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Zwischenmenschliche
Ebene: |
Ein
ähnliches Bild ergibt sich auf zwischenmenschlicher Ebene. Wieder einige willkürlich
herausgegriffene Beispiele: |
Großmutter: |
Die
Großmutter, früher morgens die erste, abends die letzte, kommt nicht mehr aus dem Bett,
bleibt wie willenlos oder gelähmt liegen; tagsüber wie benommen, kaum ansprechbar,
nachts grübelnd, wach, rastlos, aber unergiebig tätig. |
Der
Onkel: |
Der
Onkel, sonst bei jeder guten Note der erste, der den Neffen großzügig belohnt, wirkt
plötzlich so fremd, unnahbar, unterkühlt, fast feindlich, jedenfalls von Lob oder
Belohnung keine Spur. Im Betrieb soll er plötzlich auch Probleme bekommen haben, zu Hause
zieht er sich nur zurück. |
Die
Ehefrau: |
Die
junge Ehefrau wirkt so unkonzentriert und fahrig, das Essen kommt zu spät auf den Tisch,
niemandem schmeckt es mehr, der ganze Haushalt macht plötzlich einen sonderbar
vernachlässigten Eindruck. Darauf angesprochen, kann sie keinen vernünftigen Grund
nennen. Überhaupt wirkt sie wie "unter einer Glasglocke", wie weggetreten,
manchmal fast mechanisch, wie eine Gliederpuppe. Morgens ist es am schlimmsten, abends
wird sie etwas gelöster. |
Der
Vater: |
Der
Vater, sonst eine Respektsperson, freundlich, aber konsequent, wirkt plötzlich so
verzagt, ängstlich, unsicher, wankelmütig, scheint voller Angstzuständen und
Minderwertigkeitsgefühlen zu sein und sieht schlecht aus, wie vorgealtert. Zur Mutter
soll er gesagt haben, es gehe mit ihm abwärts, er sei nichts, leiste nichts, müsse
endlich eingestehen, dass er an allem schuld sei (aber an was, niemand weiß es). |
Die
Nachbarin: |
Die
Nachbarin grüßt nicht mehr und wenn, dann mürrisch. Dabei bar sie immer eine so nette
alte Dame. Jetzt wirkt sie schlecht gelaunt, fast aggressiv oder gar feindselig. Niemand
hat ihr etwas getan. Vor Jahren soll es schon einmal so gewesen sein, monatelang. Sie war
dann längere zeit in Kur (wie man sagte) und kam dann wieder völlig unauffällig
zurück, wenngleich ein wenig verlegen. Jetzt wirkt sie auch trotz ihrer Unnahbarkeit mehr
resigniert, fast ein wenig schwermütig. Aber so eine reizbare Schwermut, gibt es das
überhaupt? Man sagt, der Hausarzt hätte ihr wieder einen Klinikaufenthalt empfohlen,
aber sie wolle nicht. Die Nachbarn sind hilflos. |
Einen
Eindruck vermitteln! |
Es
ist keine Frage: Solche Beispiele können das breite Spektrum einer Depression, von der
grundlosen Einbuße der Lebensfreude bis zur depressiven Selbsttötungsgefahr nicht
befriedigend umschreiben. Dennoch sollen sie einige Anregungen vermitteln, welchen
Eindruck diese Krankheit nach außen machen kann, besonders, wenn man sich über die
Ursachen noch nicht sicher ist oder von dem ungewöhnlich vielfältigen Beschwerdebild
einer Depression noch nie gehört hat. |
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Hoffnung für Betroffene, Familie und Freunde
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Depression
ist eine gefürchtete Krankheit. |
Die
Depression weist das vielschichtigste Leidensbild auf, das man in einer einzigen Krankheit
vereinigt findet. Sie äußert sich in seelischen und körperlichen Krankheitszeichen,
sowie zwischenmenschlichen, beruflichen und vielen anderen Folgen. Sie kann nur einige
Wochen oder sogar Tage dauern, in der Regel aber mehrere Monate, bis man völlig
wiederhergestellt und leistungsfähig ist. Wegen des quälenden Beschwerdebildes gehört
sie zu den gefürchtetsten Krankheiten überhaupt. |
Depression
ruft Verständnis hervor. |
Steht
die Diagnose aber einmal fest, reagieren die meisten Mitmenschen in der Regel
verständnisvoll, mitfühlend, hilfsbereit. Das kann man nicht von jeder seelischen
Krankheit behaupten. Die Depression aber gehört tatsächlich zu den
"gesellschaftsfähigsten psychischen Erkrankungen". Es besteht kein Grund, sie
zu verheimlichen oder sich ihrer gar zu schämen. Es besteht natürlich auch keinerlei
Grund, sich wegen einer anderen seelischen Krankheit zu schämen. Leider können viele
psychisch Gestörte aber auf keine so verständnisvolle Reaktion hoffen, wie sie den
meisten Depressiven vergönnt ist, wenn man erst einmal ihre Schwermut als solche erkannt
hat. |
Frühe
Behandlung verkürzt die Therapie. |
Viele
Depressive haben jedoch keinerlei Krankheitseinsicht; sie fühlen sich nicht als Kranke,
sondern als Versager, nutzlos, ja schuldig. Deshalb lehnen sie häufig eine rechtzeitige
Behandlung ab ("Strafe, nicht Therapie"). Das ist typisch für schwere
Depressionen und darf deshalb so nicht lange hingenommen werden. Je früher die
Behandlung, desto günstiger der Krankheitsverlauf. |
Eine
Depression löst sich vollständig auf. |
So
schwer eine Depression auch sein mag, sie hat - trotz allen Leids - einen großen Vorteil,
der nur wenigen seelischen Störungen gegeben ist: Depressionen bilden sich wieder völlig
zurück. Selbst von extrem schweren depressiven Zuständen bleibt nichts übrig (es sei
denn, eine gewisse Verunsicherung). Alle seelischen, körperlichen und vor allem geistigen
Kräfte und Fähigkeiten stehen wieder zur Verfügung - wie früher. |
Das
Leben kann weitergehen, wie vor der Krankheit. |
Leider
hilft diese alte Erkenntnis dem Depressiven selbst auch nicht weiter, auch wenn er den
glücklichen Ausgang noch so oft am eigenen Leibe erfahren hat. Die depressionstypische
negative Sichtweise färbt während seiner Krankheit alles schwarz. Bei keinem anderen
Leiden stehen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit einer völligen Genesung so
unversöhnlich gegenüber, wie bei der Depression. Nach Abschluss der Krankheitsphase kann
der Depressive aber an jener Stelle wieder anknüpfen, an der ihn seine Krankheit aus dem
gewohnten Lebensrhythmus geworfen hatte. Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig
Schwierigkeiten die meisten Depressiven bei der Rückkehr in ihren familiären,
beruflichen und sozialen Lebensraum haben. Auch die Persönlichkeit, die während der
Krankheit vielleicht aufs schwerste betroffen schien, hat sich in keiner Weise verändert.
Wenn die Depression abgeklungen ist, ist der ehemals Kranke wieder so gesund und
leistungsfähig wie zuvor. |
Hoffnung
hilft heilen. |
Das
ist es, was man dem Patienten und seinen Angehörigen während dieser schweren Zeit immer
wieder und immer wieder aufs neue versichern muss. Top |
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