Chronische Schmerzen

 

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Kongressbericht: Deutscher Schmerzkongress 1998
Schmerztherapie
Aktiv gegen das Volksleiden Rückenschmerzen
Geht es um Rückenschmerzen, sprechen Experten inzwischen von einer Epidemie. Zwar verschwinden akute Beschwerden - ob mit oder ohne Behandlung - in den meisten Fällen binnen einiger Tage wieder. Doch etwa zehn Prozent der Patienten sind chronisch betroffen und viele Patienten haben immer wieder Rückenprobleme. Vor allem diese Kranken profitieren von einer frühzeitigen kombinierten Behandlung, die sie körperlich und seelisch aktiviert. .
Für Dr. Thomas Kohlmann, Sozialmediziner an der Universität Lübeck, sind Rükkenschmerzen ,,ein erstrangiges Gesundheitsproblem". Bei Umfragen gibt jeder dritte Erwachsene an, gerade Rückenschmerzen zu haben, 70 Prozent berichten über Beschwerden im vergangenen Jahr. Etwa zehn Prozent der Patienten sind chronisch schwer beeinträchtigt. Darum ist es auch kein Wunder, daß, so Kohlmann, ,,in nahezu jeder Leistungsstatistik unseres Gesundheitswesens - von der Arbeitsunfähigkeitsstatistik über Rehabilitationsmaßnahmen bis zur Frühberentung - der Rückenschmerz eine führende Position einnimmt." Ebenso weiß der Sozialmediziner, daß ,,es sich bei mehr als der Hälfte der Fälle um eine ,,unspezifische" Störung handelt, bei der keine eindeutige Ursache festzustellen ist." Denn nicht nur körperliche, sondem auch psychosoziale Belastungen gelten als Risikofaktoren.
Akuter Rückenschmerz:
aktiv nicht passiv werden
Bei Umfragen haben die Lübecker Wissenschaftler herausgefunden, daß ohnehin nur die Hälfte der Rückenschmerzkranken den Arzt aufsucht. Wenn dieser zum Rezeptblock greift, verordnet er in den meisten Fällen jedoch passive Maßnahmen wie Massagen oder Bäder. Demgegenüber wurden aktivierende Therapien - etwa Kranken- gymnastik oder Trainingstherapie, die von Experten als wirksamer angesehen werden - nur bei wenigen Patienten verordnet.
Ärzte verordnen
zu selten
aktivierende Maßnahmen
Dieses Verhalten ihrer Medizinerkollegen ist Experten ein Dorn im Auge: "Akute Rückenschmerzen", betonen Professor Jan Hildebrandt und Dr. Michael Pfingsten von der Universitätsklinik Göttingen, bilden sich in der Regel mit und ohne Behandlung binnen einer Woche zurück." In den meisten Fällen genügen maximal zwei Tage Bettruhe und schmerzlindernde Medikamente, damit die Patienten möglichst frühzeitig wieder aktiv werden können. Eine Chirotherapie kann den Heilungsprozess beschleunigen. Hildebrandt: ,,Der Nutzen dieser frühzeitigen Aktivierung ist eindeutig nachgewiesen." Bei länger bestehenden Beschwerden ist Krankengymnastik hilfreich, die den Patienten ebenfalls aktiv werden läßt. Denn nichts ist nach Meinung der Experten bei Rückenbeschwerden besser als Aktivität und Bewegung und nichts so schädlich wie Passivität und Schonung. Operationen sind nur sehr selten erforderlich, nämlich dann, wenn Lähmungserscheinungen eindeutig nachweisbar durch eine geschädigte Bandscheibe verursacht werden.
Chronischer Rückenschmerz
muß mehrgleisig
behandelt werden
Hat sich die Pein jedoch dauerhaft im Rücken eingenistet, helfen einfache Rezepte nicht mehr weiter. Pfingsten: ,,Diese Beschwerden müssen unter Berücksichtigung ihres körperlichen, psychischen und sozialen Anteils in einem integrativen Gesamtkonzept behandelt werden." Dazu müssen Ärzte und Psychologen zusammenarbeiten. Denn gerade bei chronischen Rückenschmerzen spielt die subjektiv empfundene Belastung am Arbeitsplatz und im sozialen Umfeld eine große Rolle. Dies belegt anschaulich ein Fall, den Professor Monika Hasenbring, Medizinpsychologin an der Ruhr-Universität in Bochum, schildert.
Fallbeispiel Ein 43jähriger Angestellter hat einen akuten Bandscheibenvorfall mit heftigen lschiasschmerzen. Gleichzeitig ist er am Arbeitsplatz psychisch stark belastet, da eine Reihe von Kollegen ihn beim Vorgesetzten ,,anschwärzen" (Mobbing). Nach einer erfolgreich verlaufenen Operation geht die innere Auseinandersetzung mit den Belastungen am Arbeitsplatz mit zunehmenden Muskelverspannun gen und depressiven Verstimmungen einher. Ohne konkrete Lösungsmöglichkeiten sieht der Patient dem bevorstehenden Arbeitsbeginn mit Grauen entgegen. Nach einer kurzfristigen Besserung der Beschwerden nach der Operation nehmen seine Schmerzen schnell wieder zu. Die Muskelverspannun gen sind dafür vermutlich die Ursache und an der Chronifizierung der Schmerzen beteiligt. Da er die Rückkehr an den Arbeitsplatz und den Arbeitsbeginn pessimistisch beurteilt, läßt sich der Patient von Woche zu Woche krankschreiben und findet nicht den Mut, an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Werden die beruflichen Konflikte nicht mit Hilfe einer psychologischen Unterstützung gelöst, ist mit einer dauerhaften Chronifizierung der Beschwerden zu rechnen.
Darum gehört eine psychologische Untersuchung zur Diagnostik akuter und chronischer Rückenbeschwerden dazu. Als wichtige Risikofaktoren für eine Chronifizierung listet Monika Hasenbring auf:
  • chronischer Streß im Alltag (Beruf, Partnerschaft, Familie) in Verbindung mit einer erhöhten Depressivität
  • ein ausgeprägtes Schon- und Vermeidungsverhalten in Verbindung mit ängstlichdepressiver Schmerzwahmehmung
  • ein extrem suppressives Verhalten, d.h. starke Schmerzen werden unterdrückt, um körperliche und soziale Anforderungen zu erfüllen
  • ein nonverbales Schmerzverhalten wie Mimik und Gestik, die Patienten haben nicht die Fähigkeit, Angehörige direkt um Hilfe zu bitten.

Aufgrund der Untersuchung derartiger Risikofaktoren können die Experten entscheiden, so Hasenbring, ,,ob eine psychologische Behandlung angezeigt ist und wie die Behandlung aussehen sollte." Im Rahmen einer Therapiestudie an Patienten mit akuten Schmerzen und Bandscheibenvorfall überprüften die Wissenschaftler, wie sich eine gezielte psychologisch-verhaltenstherapeutische Behandlung auswirkt, die ergänzend zur medizinischen Therapie angewendet wird. Resultat: Die psychologischen Maßnahmen konnten die Rate chronischer Schmerzen nach einer stationären konservativen Behandlung hochsignifikant senken. ,,Von den Hoch-Risiko-Patienten ohne verhaltenstherapeutische Zusatzbehandlung entwickelten 80 Prozent nach Abschluß der Behandlung chronische Schmerzen", erläutert Hasenbring. ,,Von den Patienten, die nicht nur medizinisch, sondern auch psychologisch behandelt wurden entwickelten hingegen nur zehn Prozent chronische Beschwerden."

Interdisziplinär gegen
den chronischen Schmerz
Ärzte und Psychologen arbeiten auch beim sogenannten Göttinger Rückenintensivprogramm, kurz GRIP genannt, an der Göttinger Universitätsklinik eng zusammen. Die Behandlungsbausteine dieses ambulant gestalteten Programmes bestehen aus
  • einem konsequenten körperlichen Training
  • psychologisch-verhaltensmedizinischen Behandlungsmaßnahmen um das Krankheitsverhalten der Patienten zu beeinflussen und ihre Fähigkeiten zur Schmerzkontrolle zu verstärken
  • ergotherapeutischen Maßnahmen, die die Rückkehr an den Arbeitsplatz vorbereiten

Von den schwer beeinträchtigten Patienten, die zuvor ein Dreivierteljahr arbeitsunfähig waren, kehrten 63 Prozent nach Abschluß des ambulanten Intensivprogrammes wieder an den Arbeitsplatz zurück. Auch bei einer Nachuntersuchung nach zwei Jahren war dieser Wert unverändert. ,,Durch das Behandlungsprogramm konnten Kosten in Höhe von 35.000 Mark pro Jahr und Patient im Vergleich zur Zeit vor der Behandlung eingespart werden", rechnen Hildebrandt und Pfingsten vor. Schmerzintensität und -ausbreitung sowie die subjektive Beeinträchtigung besserten sich deutlich und blieben auch bei den Nachuntersuchungen stabil.

Eine frühzeitige Behandlung
erhöht die Erfolgsaussichten
Allerdings ließen diese Faktoren keinen Rückschluß darauf zu, ob die Patienten wieder ihre Berufstätigkeit aufnahmen. Entscheidend waren vielmehr die vorausgegangene Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Waren die Patienten länger als ein halbes Jahr krankgeschrieben' hatten sie eine deutlich niedrigere Chance zur Reintegration. Wesentlich war auch die Einschätzung der Patienten selbst vor dem Beginn der Behandlung, ob sie nach deren Ende wieder in den Beruf zurückkehren würden. Unabhängig von Veränderungen der körperlichen und psychischen Situation nach der Behandlung waren nahezu 70 Prozent der Patienten, die nicht an den Arbeitsplatz zurückkehrten, schon vorher davon überzeugt, nicht mehr arbeiten zu können. ,,Diese Ergebnisse machen deutlich", so die Schlußfolgerung der Göttinger Experten, ,,daß eine möglichst frühzeitige Behandlung notwendig ist, insbesondere dann, wenn bestimmte Chronifizierungszeichen zu erkennen sind."
Kontakt: Dr. med. Thomas Kohlmann, Institut für Sozialmedizin Medizinische Universität Lübeck, St.-Jürgen-Ring 66, 23564 Lübeck Tel.: 0451-5300-149, Fax: 0451-5300-142

Prof. Dr. phil. Monika Hasenbring, Medizinische Psychologie, Medizinische Fakultät der Ruhr-Universität, Universitätsstraße 150, 44780 Bochum Tel.: 0234-700-5439, Fax: 0234-7094-203 e-mail: Monika. Hasenb ring@ruhr- uni-bochum. de

Prof. Dr. med. Jan Hildebrandt, Dr. phil. Michael Pfingsten, Ambulanz für Schmerztherapie Universitätsklinikum Göttingen, Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen Tel.: 0551-398263 Fax: 0551-394164 oder 4064164

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