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Deutscher Schmerztag 2003
13. - 15. März in Frankfurt |
Pressemitteilung Nr. 7 14. März 2003 |
Ideen zu Medikamenten machen
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Im Dickicht der Nervenzellen und Botenstoffe zeichnen sich neue
Ansätze ab, wie quälende Dauerschmerzen in der Zukunft möglicherweise wirkungsvoller
als bislang behandelt werden können. Wissenschaftler suchen jedoch nicht nach dem
Allheilmittel für alle Schmerzen, sondern nach intelligenten Kombinationen
unterschiedlicher Substanzen, die die Pein an verschiedenen Stellen packen.
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Die Bilanz ist übersichtlich: Unter den rund 30 Medikamenten mit einem
neuen Wirkstoff ("new molecular entity"), die im vergangenen Jahr in Deutschland
auf den Markt kamen, befinden sich zwei Schmerz- und zwei Migränemedikamente. Bei den
Analgetika handelt es sich um einen injizierbaren COX-2-Hemmer (Parecoxib) zur Behandlung
von Schmerzen nach einer Operation und um ein nichtsteroidales Antirheumatikum
(Oxaprozin), das allerdings in den USA schon seit zehn Jahren auf dem Markt ist. Bei den
Migränemitteln hat die Gruppe der Triptane, die bislang vier Vertreter enthielt, mit
Eletriptan und Frovatriptan weiteren Zuwachs erhalten. Neu zugelassen wurden in den USA im
vergangenen Jahr insgesamt gerade einmal 18 Medikamente mit neuen Wirkstoffen darunter
das Eletriptan, aber keine weiteren Medikamente zur Schmerzlinderung. Unter den 14 von der
europäischen Arzneimittelbehörde EMEA zugelassenen Wirkstoffen befindet sich nur noch
ein einziges Schmerzmittel, der COX-2-Hemmer (Valdecoxib). Dabei handelt es sich um die
pharmakologisch aktive Wirkform des injizierbaren COX-2-Hemmers Parecoxib. In Deutschland
wird das Medikament voraussichtlich noch in diesem Jahr auf den Markt kommen. |
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Der Prozess, bei dem Ideen zu Medikamenten werden, scheint ins Stottern
geraten zu sein trotz aller Hoffnungen, dass die neuen Methoden der Molekularbiologie
in Verbindung mit der Sequenzierung des menschlichen Erbgutes die Industrie beflügeln
würde. Trotz steigender Forschungsaufwendungen der Firmen weltweit 45 Milliarden
US-Dollar quellen die Forschungspipelines derzeit nicht gerade über. |
Ein boomender Markt.
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Die Pharmafirmen setzten mit Schmerzmitteln und Entzündungshemmern im
Jahr 2001 weltweit 25 Milliarden US-Dollar um. Und der Markt wird wachsen: Experten gehen
von 32,9 Milliarden US-Dollar Umsatz im Jahr 2005 und von 41,5 Milliarden Dollar Umsatz im
Jahr 2010 aus. Aber mit welchen Medikamenten werden die Unternehmen in zwei und in sieben
Jahren ihre Umsätze im Bereich "Schmerz" erzielen? Welchen Nachschub an
potentiellen Zielstrukturen im Körper ("Targets") für neue Arzneimittel,
welche Leitsubstanzen ("leads") aus denen sich neue Medikamente entwickeln
lassen und welche neuen Konzepte liefern derzeit die Neurowissenschaften, jener Bereich
der biomedizinischen Forschung, in dem die Schmerzforschung angesiedelt ist? |
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"Die Identifizierung einer für die Schmerzüberempfindlichkeit
(Hyperalgesie) notwendigen Untergruppe von schmerzverarbeitenden Nervenzellen im
Rückenmark erlauben es nun, viel gezielter als bislang nach geeigneten Wegen zu fahnden,
ein bereits entstandenes Schmerzgedächtnis wieder zu löschen", schreibt Professor
Jürgen Sandkühler vom Institut für Hirnforschung der Universität Wien in der
Kurzfassung seines Vortrages auf dem Deutschen Schmerztag 2003. Professor Walter
Zieglgänsberger vom Münchener Max Planck-Institut für Psychiatrie formuliert in einer
anderen Kurzfassung: "Unsere neuesten Untersuchungen lassen vermuten, dass
körpereigene Stoffe wie Anandamid, die mit Cannabinoid-Rezeptoren interagieren, das
Vergessen unangenehmer Reize, z.B. chronischer Schmerzen, beeinflussen. Diese Mechanismen
sind vergleichsweise noch wenig erforscht, stellen aber einen faszinierenden neuen
Ansatzpunkt für die Therapie chronischer Schmerzen dar." |
Rohstoff für die Forschung:
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Das Schmerzgedächtnis beeinflussen. In der Tat liefern die
Schmerzforscher seit einiger Zeit eine Fülle von neuen Erkenntnissen, die nicht nur
Einblicke in die komplexen Prozesse bei der Schmerzverarbeitung liefern, sondern auch die
Entwicklung neuer Medikamente in den nächsten Jahren beflügeln dürften. |
Körpereigene Cannabinoide.
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So konnten beispielsweise Walter Zieglgänsberger und seine Kollegen im
vergangenen Jahr nachweisen, dass die Bindungsstelle (Rezeptor) für körpereigene
Cannabinoide auf Nervenzellen eine wichtige Rolle spielt, wenn es darum geht, unangenehme
Erfahrungen zu vergessen. Wie sie in der Fachzeitschrift Nature berichteten, reagieren
Mäuse, denen dieser Rezeptor fehlte, auf unangenehme Signale ungleich länger mit
ängstlichem Verhalten als ihre Artgenossen, bei denen die Cannabinoide an einem
funktionsfähigen Rezeptor andocken konnten. Da bei der Chronifizierung von Schmerzen und
der Löschung des Schmerzgedächtnisses Lernprozesse von entscheidender Bedeutung sind,
sind diese Erkenntnisse auch für die Schmerzforschung bedeutsam. |
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Darüber hinaus sorgen die Forschungsergebnisse dafür, dass die
körpereigenen Verwandten des Cannabis-Wirkstoffes (Tetrahydrocannabinol) auch für die
Arzneimittelentwicklung interessant werden. Im Januar berichtete beispielsweise eine
Gruppe italienischer und amerikanischer Forscher im Fachblatt Natur Medicine, dass es
ihnen gelungen ist, den Abbau körpereigener Cannabinoide im Tierexperiment bei Ratten zu
hemmen und damit deren Konzentration im Nervensystem zu erhöhen. Dies wirkte sich bei
verschiedenen Tests, etwa in einem Labyrinth, angstlösend aus. "Um die Wirkung der
körpereigenen Cannabinoide zu steigern", sagt Zieglgänsberger, "gibt es
prinzipiell mehrere Möglichkeiten: Mann kann den Abbau hemmen oder die Wiederaufnahme
dieser Substanzen blockieren, um sie so in der Kontaktstelle zwischen Nervenzellen, den
Synapsen, anzureichern." |
Hypersensible Nervenzellen.
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Professor Jürgen Sandkühler und sein Team haben im Rückenmark eine
Gruppe von schmerzleitenden Nervenzellen identifiziert, die durch starke Schmerzreize
besonders intensiv aktiviert wird. Wie die Forscher in der Fachzeitschrift Science Ende
Februar berichteten, sorgt eine ganze Kaskade von Veränderungen in diesen Zellen dafür,
dass sie empfindlicher werden. Derart angeregt melden sie dann selbst harmlose Reize dem
Gehirn als starken Schmerzreiz weiter. "Diese Gruppe von Zellen ist für die
gesteigerte Schmerzempfindlichkeit (Hyperalgesie) verantwortlich, unter der Patienten mit
chronischen Schmerzen leiden." |
Strom kann die Aufregung dämpfen.
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Auch in diesen verhängnisvollen Prozess versuchen die Forscher
einzugreifen. "Eine Möglichkeit", erklärt Sandkühler, ist die Stimulation
bestimmter Nervenfasern mit einer Strombehandlung mit niedriger Frequenz aber höherer
Intensität mehrfach für etwa 15 Minuten. Da dies jedoch für die Patienten unangenehm
sein kann, erproben die Wissenschaftler zur Zeit vor dieser Elektrotherapie eine Art
"Vorbehandlung" mit einer Strombehandlung mit geringer Intensität und hoher
Frequenz, die die Patienten für die eigentliche Behandlung weniger empfindlich macht. Die
Opioid-Entwicklung ist noch nicht am Ende. Aber auch biochemisch gibt es Überlegungen,
die übersensiblen Nervenzellen zu dämpfen. Möglich ist dies beispielsweise schon heute
mit Opioiden, Morphin und seinen synthetischen Abkömmlingen. Bei dieser
Medikamentengruppe "ist bei der Entwicklung noch viel drin", wie Sandkühler
meint. "Wir brauchen beispielsweise Opioide", ergänzt Zieglgänsberger,
"die keine Verstopfung mehr verursachen." Dies ließe sich beispielsweise durch
die Kombination mit einem anderen Wirkstoff bewerkstelligen, der die Opioid-Wirkung am
Darm aufhebt, nicht aber dessen Wirkung im Zentralnervensystem beeinträchtigt. |
Helfen, Opioide einzusparen.
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Hemmend auf die Aktivität von Nervenzellen wirken sich auch Substanzen
aus, die an den so genannten NMDA-Rezeptor auf den Neuronen binden und diesen dadurch
blockieren. Solche NMDA-Antagonisten werden bereits zur Behandlung anderer neurologischer
Erkrankungen eingesetzt. In einer sehr viel niedrigeren Dosierung könnten sie davon
sind die Experten überzeugt beispielsweise der so genannten Morphintoleranz (die Dosis
des Medikamentes muss in manchen Fällen nach einiger Zeit gesteigert werden, um weiterhin
eine ausreichende Schmerzlinderung zu erzielen) entgegen wirken. Ebenso gibt es, wie
Sandkühler weiß, "Versuche, sowohl den Morphin- als auch den NMDA-Rezeptor durch
einen einzigen Wirkstoff zu beeinflussen." |
Gegen Hitze und Entzündung.
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Eine weitere Zielstruktur für schmerzlindernde Mittel könnte auch der so
genannte Vanilloid-Rezeptor sein. Dabei handelt es sich um einen "Schmerzfühler",
der auf Hitze und auf Capsaicin, den Inhaltsstoff des Chilis reagiert. Substanzen, die
diesen Rezeptor blockieren mindern die Empfindlichkeit auf Hitzereize und vermindern
ebenfalls die Überempfindlichkeit auf Schmerzreize. Vor allem bei Entzündungsschmerzen,
bei denen die eigene Körperwärme als Hitzeschmerz empfunden wird, könnten solche
Ansätze zu neuen Medikamenten führen. Erforscht werden auch andere Substanzen, die in
Entzündungsprozesse eingreifen. Dazu gehören beispielsweise Wirkstoffe, die ein kurz
iNOS (induzierbare Stickoxid-Synthase) genanntes Enzym hemmen. Diese Hemmung lindert
zumindest im Tierexperiment Entzündungen und die dadurch verursachten Schmerzen.
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Wachstumsfaktoren bremsen.
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Wissenschaftler erforschen auch, ob man bestimmte Wachstumsfaktoren für
Nervenzellen hemmen kann, die bei einer Steigerung der Aktivität der Zellen ebenfalls
eine Rolle spielen und damit etwa bei Nervenschmerzen (neuropathischen Schmerzen . Zu
diesen Faktoren gehören beispielsweise der Nervenwachstumsfaktor (NGF) sowie ein anderer
kurz DFNF (= brain derived nerve growth factor) genannter Wachstumsförderer. Im
Tierexperiment konnten die Forscher diese Substanzen bereits mit Antikörpern, den
Abwehrstoffen des Immunsystems, blockieren. |
Den intelligenten Kombis gehört die Zukunft.
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Die Neurowissenschaftler sind sich einig, so Zieglgänsberger, "dass
die Suche nach Wirkstoffen nötig ist, die das Schmerzgedächtnis löschen können".
"Chronischer Schmerz", sagt Sandkühler, "ist jedoch keine Einheit, es gibt
verschiedene Schmerzarten, die wir an der Wurzel packen müssen." "Und
dabei", auch hier stimmen die beiden Hirnforscher überein, "brauchen wir
verschiedene Substanzen, die an verschiedenen Stellen im komplexen Geschehen
angreifen." Klartext: Das alleinige Heilmittel für alle Formen von quälenden
Dauerschmerzen dürfte es wohl nie geben. |
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