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Hundert
Jahre lang standen Ärzten und Patienten nur drei prinzipielle Wirkstoffe gegen Schmerzen
zur Verfügung. Dies hat sich in der letzten Zeit geändert: Vor allem der modernen
molekularbiologischen Forschung ist es zu verdanken, daß die Palette hochwirksamer und
spezifisch wirkender Medikamente breiter wird. . |
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Ein
Schmerzmittel-Klassiker wurde in diesem Jahr hundert Jahre alt, die Acetylsalicylsäure,
besser bekannt als Aspirin. Auch zwei weitere gängige Schmerzmittel, Paracetamol und
Phenazon, wurden bereits im letzten Jahrhundert entwickelt. ,,Seitdem", sagt
Professor Kay Brune, Pharmakologe an der Universität Erlangen und Präsident des
Deutschen Schmerzkongresses 1998, ,,hat es keine wesentlichen Erweiterungen und
Verbesserungen bei diesen Medikamenten gegeben." Zwar gab es immer wieder Versuche,
die Wirkung dieser Substanzen durch gezielte Umbauarbeiten an ihrer Molekülstruktur zu
verbessern oder um ihre Nebenwirkungen zu mindern. Entsprechend stehen heute zahlreiche
Abkömmlinge dieser ersten Arzneimittel-Generation zur Verfügung. Von ihnen können
Patienten, die ein Mittel nicht vertragen, im Einzelfall durchaus profitieren. Doch
prinzipielle und grundsätzliche Neuerungen blieben aus. Alle Schmerzmittel", erklärt Brune, ,,hemmen zwei
Enzyme - die Cyclooxygenase 1 und 2 - die an der Bildung des
Schmerzstoffes Prostaglandin beteiligt
sind." Diese Enzyme sind im Körper unterschiedlich verteilt: Die Cyclooxygenase 1
,,arbeitet" überwiegend in den Schleimhäuten von Magen und Darm und in den
Blutplättchen, die Cyclooxygenase 2 ist im geschädigten und entzündeten Gewebe aktiv,
also dort, wo der Schmerz entsteht.
Aufgrund dieser molekularbiologischen Erkenntnisse wurde
in den letzten Jahren eine neue Medikamentengruppe entwickelt, sogenannte COX-2-Hemmer, die nur noch die Aktivität der Cyclooxygenase 2
unterdrücken. Die Produktion der schleimhautschützenden Prostaglandine im Magen-Darm-Trakt und die
Blutgerinnung wird durch diese Medikamente kaum beeinträchtigt, hoffen die Forscher,
sondern nur die Fabrikation der Entzündungs- und Schmerz-Botenstoffe. |
Trotz
Beschwerden
nicht zum ArztMedikamentöse
Therapie bei Migräne |
Die
Patienten rechnen jedoch offensichtlich nicht damit, daß ihnen der Arzt effektiv helfen
kann", folgert der Münchener Neurologe aus der nationalen PCAOM-Studie (Primary Care
of Migraine), initiiert und durchgeführt vom Pharma-Unternehmen MSD Sharp und Dohme GmbH,
Haar. Etwa die Hälfte der Migräne-Patienten (49 Prozent der Frauen und 63 Prozent der
Männer) befinden sich trotz ihrer Beschwerden nicht in hausärztucher Betreuung.
Ähnliche Beobachtungen machen die Experten auch bei Patienten mit Spannungskopfschmerz.
Pfaffenrath: ,,Mehr als 80 Prozent der Betroffenen gehen trotz ihrer Beschwerden nicht zum
Arzt." |
Gleiche
Wirkung
weniger Nebenwirkungen? |
Es
gibt Hinweise", so Brune, ,,daß diese neuen Medikamente bei erhaltener
Schmerzlinderung weniger Nebenwirkungen in Magen und Darm und bei der Blutgerinnung
verursachen." Andere unerwünschte Effekte, etwa Störungen der Nierenfunktion oder
allergische Reaktionen sind hingegen bislang nicht auszuschließen. ,,Wenn die neuen
Medikamente auch unter den Bedingungen des klinischen Alltages harmloser und genau so
wirksam sind wie die Klassiker", sagt Brune, ,,werden sie die herkömmlichen
Arzneistoffe in der Schmerztherapie ablösen." |
Irreführende
Werbung für
"natürliche" Schmerzmittel |
Kritisch
beurteilt der Erlanger Pharmakologe sogenannte Weidenrindenextrakte, die als
natürliche Salicylate" und ,,rein pflanzliche" Schmerzmittel in Drogerien
verkauft werden. Beworben werden diese Produkte als ,,wirksam" und
nebenwirkungsfrei". ,,Diese Aussagen sind irreführend", stellt Brune
fest. Salicylate aus Weidenrinde oder Pappelblättern sind sehr schwer vom Organismus zu
verarbeiten. ,,Um wirksame Konzentrationen zu erreichen, müssen große Mengen dieses
natürlichen Rohstoffes eingenommen werden." Unabhängig von der Quelle, können alle
Salicylate unerwünschte Arzneimittelwirkungen auslösen, wenn sie bestimmte,
pharmakologisch wirksame Konzentrationen im Körper erreichen. ,,Hinzu kommen bei Rinde
oder Rindenextrakten unerwünschte Wirkungen des Trägermaterials, also von lnhaltsstoffen
der Blätter und Rinde, die etwa zur Störung der Magen-Darm-Funktion führen
können", sagt Brune. |
Neues
Therapieprinzip
gegen Migräne |
1993
kam mit Sumatriptan das erste Medikament aus der Gruppe der sogenannten Triptane zur
Behandlung der Migräne auf den Markt. Von diesen neuen Mitteln profitieren vor allem jene
fünf Prozent der Migränekranken, die unter schweren Schmerzattacken leiden. Seit dem
vergangenen Jahr gibt es in Deutschland zwei weitere Vertreter dieser Medikamentengruppe,
Naratriptan und Zolmitriptan. Ein viertes Triptan, Rizatriptan genannt, wird in diesem
Monat zugelassen. In zahlreichen internationalen Studien haben Kopfschmerz-Experten diese
Substanzen untersucht sowie ihre Wirkungen und Nebenwirkungen miteinander verglichen.
,,Aufgrund der bisherigen Erfahrungen gehen wir davon aus, kommentiert der Präsident der
Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft' der Münchener Neurologe Dr. Volker
Pfaffenrath' ,,daß sich die Triptane bezüglich ihrer Wirkungen und Nebenwirkungen nicht
wesentlich unterscheiden. Die Auswahl zwischen mehreren Triptanen sowie unterschiedliche
Darreichungsformen machen es jedoch möglich, die Therapie auf die individuellen
Bedürfnisse eines Patienten zuzuschneiden." |
Manchen
Patienten
helfen auch Triptane nicht |
Allerdings
gibt es für Ärzte und Patienten beim Einsatz der neuen Medikamente auch Enttäuschungen:
Bei einem Viertel der Migräniker wirken die neuen Triptane überhaupt nicht. Dies
könnte, vermuten die Kopfschmerz-Spezialisten' mit den Bindungsstellen (Rezeptoren) für
diese Substanzen auf den Nervenzellen in Zusammenhang stehen. Pfaffenrath:
,,Möglicherweise haben diese Patienten ein anderes Rezeptor-Profil." Gleichwohl
raten die Experten, leichtere Attacken zunächst stets mit einem einfachen Schmerzmittel
zu behandeln, etwa mit Acetylsalicylsäure oder Paracetamol - erforderlich sind jeweils
1000 Milligramm - oder Ibuprofen (400 bis 600 Milligramm). Diese Medikamente sollten stets
mit einem Mittel gegen Übelkeit und Erbrechen kombiniert werden. Dieses unterdrückt
nicht nur die unangenehmen Begleiterscheinungen einer Migräne, sondern verbessert auch
die Aufnahme des Schmerzmittels im Magen. Nur bei mittelschweren und schweren Attacken,
raten die Experten zu stärkeren, verschreibungspflichtigen Medikamenten wie Ergotaminen
oder Triptanen. |
Auf
nicht-medikamentöse
Maßnahmen nicht verzichten |
Eine
Migräneattacke kann trotz medikamentöser Behandlung nach einigen Stunden wieder
durchbrechen. Dies kommt auch bei etwa einem Drittel der Patienten vor, die Triptane
nehmen. In solchen Fällen kann das Medikament erneut genommen werden. Doch mitunter
schieben die Patienten dadurch eine Attacke nur vor sich her. Pfaffenrath: ,,In solchen
Fällen ist es besser, erst einmal alle Arzneimittel abzusetzen." Vor allem warnen
die Experten davor, in den hochwirksamen Triptanen eine Art ,,Wunderwaffe" zu sehen,
die alle anderen Maßnahmen überflüssig machen: ,,Patienten sollten sich bei einer
Attacke nach Möglichkeit in einen ruhigen abgedunkelten Raum zurückziehen. Diese
Reizabschirmung lohnt sich1 weil die Attacke dann schneller vorüber geht." Als
Faustregel gilt: Patienten sollten nicht mehr als drei Tabletten pro Attacke einnehmen und
grundsätzlich nicht mehr als sechs Attacken pro Monat medikamentös behandeln -
unabhängig von der Art des Schmerzmittels. Vor allem empfehlen die Kopfschmerz-Experten
verschiedene nicht-medikamentöse Maßnahmen wie leichte Ausdauersportarten und
Entspannungsübungen' um einer Migräne vorzubeugen. Wenn Attacken häufiger auftreten
oder Patienten sogar täglich unter Kopfschmerzen leiden,
sollten sie von einem Spezialisten untersucht und behandelt werden. Oft steckt dahinter
ein langjähriger Schmerzmittel-Fehlgebrauch der ebenfalls ein
Thema auf dem Schmerzkongress ist. |
Kontakt: |
Prof.
Dr. med. Dr. h.c. Kay Brune, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft zum Studium des
Schmerzes, Institut für Pharmakologie und Toxikologie Universität Erlangen-Nürnberg,
Universitätsstraße 22, 91054 Erlangen Tel.: 09131-852-2292, Fax: 09131-206119 e-mail:
kb@macpost.pharmakologie.uni-erlangen.de
Dr. med. Voiker Pfaffenrath, Präsident der Deutschen Migräne- und
Kopfschmerzgesellschaft, Leopoldstraße 59/11, 80802 München Tel.: 089-334003, Fax:
089-332942 e-mail: Vpfa@aol.com |
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