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Kongressbericht: Deutschen Schmerztag 1999 |
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Fortschritt
in der Schmerzbehandlung, Stagnation in der ärztlichen Berufspolitik, kontraproduktive
Gesundheitspolitik |
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siehe
auch "Vernachlässigte Schmerztherapie" |
Gute
Noten erteilt Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident des Deutschen Schmerztages
1999, dem diagnostischen und therapeutischen Fortschritt in der Schmerzbehandlung. Weniger
gut kommt in seiner Bilanz indes die ärztliche Berufspolitik weg, die aktuelle
Gesundheitspolitik beurteilt er als ,,kontraproduktiv". |
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,,Die
Schmerztherapie ist vielfältiger geworden", erklärt der Göppinger Schmerztherapeut
Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident des Schmerztherapeutischen Kolloquiums.
Diesen Fortschritt führt der Tagungspräsident des Deutschen Schmerztages 1999 auf die
Umsetzung neuer molekularbiologischer und psychologischer
Forschungsergebnisse in die Praxis sowie auf innovative Arzneimittel- und
Therapieentwicklungen zurück. ,,Vor allem ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von
Ärzten, Psychologen und Physiotherapeuten in der Schmerztherapie inzwischen fest
etabliert", so Müller-Schwefe.
In der Diagnostik profitieren die Schmerztherapeuten von den Erfahrungen ihrer Kollegen
aus den neuen Bundesländern: ,,Diese haben uns gezeigt, daß wir unseren Sinnen oft mehr
vertrauen können als apparativen Verfahren", meint der Schmerzspezialist. Gleichwohl
hätten in jüngster Zeit auch neue apparative Methoden zur Schmerzmessung das
diagnostische Spektrum bereichert. |
Treibstoff Forschung |
Die
Einsichten der Forscher in jene zellulären und molekuaren Prozesse, die Schmerzen zur
chronischen Pein machen, haben Diagnostik und Therapie ebenso beflügelt wie neue
Erkenntnisse über das komplexe Geschehen der Schmerzverarbeitung und der körpereigenen
Schmerzhemmung. |
Innovative
Medikamente
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,,Dieser
Fortschritt in der Forschung hat etwa zur Entwicklung innovativer Medikamente
geführt", stellt Müller-Schwefe fest. Ein Beispiel sind die Triptane, die in der
Migränebehandlung einen großen Fortschritt gebracht haben.
Noch in diesem Jahr wird in Deutschland auch die Zulassung des ersten sogenannten COX2-Hemmers erwartet. Diese neuen Substanzen lindern Schmerzen,
verursachen aber weniger Nebenwirkungen in Magen und Darm und bei der Blutgerinnung als
die Acetylsalicylsäure und deren Abkömmlinge. ,,Bedeutsam ist dies vor allem für Rheumapatienten, die entzündungshemmende
Schmerzmittel oft für lange Zeit einnehmen müssen", erklärt Müller-Schwefe.
Auch neue Einsichten in die Wirkung von anderen Substanzen, etwa der Cannabinoide oder des
Wirkstoffes Flupirtin bewegt die Szene der
Schmerzforscher: ,,Da diese Substanzen an anderen Stellen in das Schmerzgeschehen
eingreifen als beispielsweise Opioide oder andere Analgetika,
eröffnen sich neue Wege, verschiedene medikamentöse Behandlungsstrategien sinnvoll
miteinander zu kombinieren", so Müller-Schwefe. |
Bewährte
Substanzen verbessert
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Weiterentwicklungen
gibt es auch bei den Opioiden, den Abkömmlingen des Morphins:
Hier stehen vor allem neue, sogenannte retardierte Zubereitungsformen zur Verfügung, die
geschluckt oder als Pflaster auf die Haut geklebt werden können. Diese Darreichungsformen
geben den Wirkstoff langsam und kontinuierlich ab und sorgen damit für eine
gleichmäßige und kontinuierliche Linderung. ,,Diese Präparate", erklärt der
Dresdener Pharmakologe Professor Joachim Schmidt, ,,wirken über 24 Stunden und müssen
nur ein- bis zweimal täglich genommen werden." Ebenso wurden unerwünschte
Nebenwirkungen dieser Substanzen, beispielsweise Verstopfung und Übelkeit, durch die
Kunst der Pharmazeuten weiter reduziert.
Durch einen pharmazeutischen Kunstgriff wurde das halbsynthetische Opioid Tilidin mit der
Substanz Naloxon kombiniert, einem ,,Gegenspieler" der Opioidwirkung. Wird das
Medikament - wie vorgesehen - geschluckt, wird Naloxon in der Leber abgebaut und das
Opioid kann seine Wirkung entfalten. Würde die Tablette aufgelöst und injiziert, würde
Naloxon hingegen die Wirkung des Opioids aufheben. Dies macht eine mißbräuchliche
Verwendung von Tilidin unmöglich. Die Folge: Dieses stark wirksame Opioid unterliegt
nicht mehr der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung und kann auf einem normalen
Rezept verordnet werden.
,,Bei den Opioiden ist die Palette damit deutlich breiter geworden", sagt
Müller-Schwefe. ,,Dies macht es uns möglich, die Behandlung den Bedürfnissen der
Patienten und dem medizinisch Erforderlichen gleichermaßen besser anzupassen." |
Morphinverbrauch
steigt endlich auch in Deutschland
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,,Deutlich
gestiegen", so der Tagungspräsident des Deutschen Schmerztages, ,,ist in den
vergangenen zwei Jahren der Morphinverbrauch in Deutschland." Lange Zeit gehörte die
Bundesrepublik bei der Verordnung dieser Medikamente im internationalen Vergleich zu den
Schlußlichtern. Nun hat der Morphinverbrauch von 1996 bis 1998 um 30 Prozent zugenommen:
Pro Million Einwohner liegt er inzwischen bei 16,4 Kilogramm.
Damit ist Deutschland aber immer noch nicht auf jenem Niveau angelangt, auf dem sich
andere europäische Staaten wie Dänemark oder England schon seit Jahren befinden.
Hierzulande gibt es schätzungsweise 1,35 Millionen Patienten, die unter opioidpflichtigen
starken Schmerzen leiden. Die verordnete Opioidmenge reicht jedoch nur aus, um ein Viertel
der Patienten, die mittelstarke Opioide benötigen, zu versorgen. (Früher reichte die
Menge für 20 Prozent der Betroffenen.) Von den rund 550.000 Patienten, die stark wirkende
Opioide brauchen, erhalten sogar nur 3,6 Prozent die erforderliche Behandlung.
Müller-Schwefe macht für die leichten Verbesserungen zwei Gründe verantwortlich: ,,Zum
einen hat offenkundig das Aktionsprogramm Schmerztherapie gezündet, das von
internationalen Experten auf dem letzten Schmerztag beschlossen wurde. Zum anderen
dürften sich auch die relativen Erleichterungen bei der
Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung positiv ausgewirkt haben." Gleichwohl
fordern die Schmerzexperten nach wie vor, starke Opioide in retardierter Zubereitung ganz
aus der Verschreibungsverordnung herauszunehmen. |
Beharrung
statt Bewegung in der ärztlichen Ausbildung und Berufspolitik |
Mit
Blick auf die Politik der Ärzteschaft fragt sich Müller-Schwefe indes, ,,wer im
Mittelpunkt steht, der Arzt oder der Patient?" Noch immer ist die Schmerztherapie im
Medizinstudium und bei der Weiterbildung zum Facharzt unterrepräsentiert. Die
Zusatzbezeichnung ,,spezielle Schmerztherapie" wurde von den Standes-Organisationen
zwar auf den Weg gebracht, kann aber noch nicht in allen Bundesländern erworben werden,
da einige Landesärztekammern, etwa in Bayern, ihr Beharrungsvermögen demonstrieren ,,Nur
mit dem Blick auf die eigene Klientel wird um ärztliche Fachgebietsgrenzen gerangelt,
werden gewachsene Versorgungsstrukturen ängstlich geschützt, ohne die Interessen der
Patienten zu berücksichtigen", kritisiert Müller-Schwefe. |
Schlechte
Noten für die neue Bundesregierung
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,,Das
sogenannte Vorschaltgesetz der neuen Bundesregierung führt dazu, daß der Einsatz
innovativer Therapien zur Schmerzbehandlung die Existenz der Verordner gefährdet",
stellt Müller-Schwefe fest. Bei der Festlegung der Budgets für
Medikamente und Heilmittel blieben innovative Medikamente, die entsprechend teurer sind,
etwa die Triptane oder moderne Opioide, unberücksichtigt. Ebenso unberücksichtigt
blieben auch die steigenden Verordnungszahlen für starke Schmerzmittel.
Zwar können Ärzte, die überwiegend Schmerzpatienten betreuen, im Rahmen ihrer
Praxisbesonderheit höhere Arzneimittelbudgets erhalten als andere Ärzte ihrer
Fachgruppe. Doch selbst wenn sie daher für ihre Verordnungsweise persönlich nicht in
Regreß genommen werden, also die Mehrverordnungen aus ihrer eigenen Tasche zahlen
müssen, wird dadurch das gesamte Arzneimittelbudget belastet. Müller-Schwefe: ,,Wenn ich
als Spezialist meine Patienten angemessen und ausreichend behandle, geht dies also zu
Lasten der anderen Ärzte, die dann quasi dafür bestraft werden, daß ich das Budget
strapaziere." |
Schmerzbehandlung
außerhalb des Arzneimittelbudgets
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Darum
fordern die Schmerzspezialisten, daß die Verordnungen für chronisch Schmerzkranke nicht
dem Arzneimittelbudget angerechnet werden sollen. Müller-Schwefe: ,,Wenn dies bei der
Substitutionsbehandlung mit Methadon bei Drogenabhängigen möglich ist, sollte dies auch
bei der Behandlung schwerkranker Schmerzpatienten realisierbar sein." ,,Und während
Champagner, Austern und Kaviar mit einem reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent
belegt sind", legt der Göppinger Schmerztherapeut nochmals nach, ,,langt der Staat
bei Medikamenten mit dem vollen Satz kräftig zu und entzieht so den Krankenkassen
jährlich mehr als sieben Milliarden Mark." |
Rückfragen
an: |
Dr.
med. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident des Schmerztherapeutischen Kolloquiums e.V.
Deutschland, Tagungspräsident des Deutschen Schmerztages 1999, Schillerplatz 8/1, 73033
Göppingen, Tel.: 07161-976476, Fax:: 07161-976477 |
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