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Zecken verlieren ihren Schrecken |
PRI
B 4/97 (17) 30. Juli 1997 |
Impfstoff
gegen Lyme-Borreliose im Großversuch erfolgreich / In den USA ist er bereits zugelassen /
Für Europa noch Nachrüstung der Vakzine |
Endlich geht es den blöden Borrelien an den Kragen. Nachdem ich
so viel über die gelesen habe, bin ich so richtig sauer. Könnt ihr die bei mir nicht
auch vertreiben, dann brauchtet ihr auch keine Angst mehr vor uns Zecken zu haben. Wir
sind nämlich eigentlich ganz nett. |
Gegen
die häufigste durch Zecken übertragene Infektionskrankheit, die Lyme-Borreliose, ist in
den USA ein Impfstoff verfügbar. Er wurde von Wissenschaftlern des Freiburger
Max-Planck-Instituts für Immunbiologie sowie der Universität Heidelberg entwickelt und
ist nach erfolgreicher Generalprobe an rund 11 000 Personen in den USA durch
die dortige Gesundheitsbehörde zugelassen worden. Für den Einsatz in Europa wird die
Vakzine, die ein bestimmtes Oberflächen-Eiweiß des Borreliose-Erregers enthält, noch
erweitert. Denn die Struktur des als Impfstoff verwendeten Proteins ist bei den Erregern
diesseits des Atlantiks nicht so einheitlich ausgeprägt wie bei ihren amerikanischen
Vettern. Deshalb müssen der europäischen Vakzine, um lückenlosen Schutz zu erzielen,
noch Varianten des molekularen Erreger-Steckbriefs zugesetzt werden. |
Zecken
übertragen gefürchtete Krankheiten. |
Zecken sind nicht nur lästige, sondern auch gefährliche
Blutsauger. Denn sie können ihre warmblütigen Wirte, und so auch Menschen, mit
Krankheitserregern infizieren, die sie während ihrer Blutmahlzeit in die Stichwunde
absondern. Der Mensch hat vor allem zwei solche Gastgeschenke zu fürchten:
zum einen die mit Viren übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis oder kurz FSME, zum andern die Lyme-Borreliose,
die durch Bakterien - sogenannte Borrelien - ausgelöst wird. |
Impfung
gegen FSME |
Gegen
die FSME gibt es seit gut zehn Jahren einen Impfstoff,
der zuverlässig vor dieser ernsten, mitunter tödlichen Hirnentzündung schützt. Doch
gegen die sehr viel häufigere Lyme-Borreliose helfen bislang nur Vorsicht, Glück und
notfalls, wenn man doch infiziert wurde, Antibiotika - die allerdings nicht immer
anschlagen, da sich Borrelien recht tückisch verhalten. |
Borrelien
breiten sich nur langsam aus. |
Das
liegt zunächst daran, dass sich diese Keime im menschlichen Organismus nur langsam
vermehren und das menschliche Immunsystem
gegen die Infektion zu mild und zu gelassen reagiert. Diese Trägheit der Immunabwehr
nutzen die Borrelien, um sich gezielt in solchen
Geweben einzunisten, in denen sie dann vor dem Zugriff des Immunsystems und
möglicherweise auch vor Antibiotika weitgehend geschützt sind: in Nervengewebe, im Herzmuskel und in der Knorpelsubstanz von Gelenken. |
Zeichen
werden oft fehlinterpretiert. |
Das
einzig klare Zeichen einer akuten Borrelien-Infektion ist eine Entzündung der Haut, die
sich ringförmig um den Zeckenstich ausbreitet. Doch diese Wanderröte - ein Alarmsignal, das
unverzüglich zum Arzt führen sollte! - tritt nicht immer auf. Und die sonstigen, oft nur
milden Symptome der Infektion wie Abgeschlagenheit, leichtes Fieber, Gelenk- oder
Kopfschmerzen werden meist nur als Zeichen einer bloßen Erkältung oder eines grippalen
Infekts missdeutet. |
Beschwerden
können schubweise auftreten. |
Derart
verkannt und übersehen, kann sich die Infektion über Monate oder sogar Jahre hinweg zur
chronischen Lyme-Borreliose auswachsen. Dieses
Leiden - und deshalb spricht man von einer multisystemischen Krankheit - äußert sich in
vielerlei Beschwerden: etwa in schubweise wiederkehrenden Entzündungen einzelner Gelenke,
in Missempfindungen oder Taubheit äußerer Nerven, in Nervenschmerzen, Herzrhythmusstörungen oder Beklemmungen ähnlich
wie bei Angina pectoris. Gelegentlich treten auch schwerste Behinderungen auf, die an Multiple Sklerose denken lassen. |
Borrelien
sind weit verbreitet. |
Lyme
ist überall: Als eigenständige Krankheit wurde die Borreliose erstmals Mitte
der siebziger Jahre erkannt. Sie trat damals gehäuft in dem Städtchen Old Lyme in
Connecticut auf, nach dem sie dann auch benannt wurde. Schon bald wurde aber deutlich,
dass Lyme fast überall in nördlichen gemäßigten Breiten ist - auch in Deutschland:
Hier ist schätzungsweise jede zehnte, in manchen Flusstälern sogar jede dritte Zecke mit
Borrelien geladen, und etwa 100 000 Deutsche laborieren an einer chronischen
Borreliose - viele davon in der Meinung, es plage sie Rheuma oder Gicht. |
Immunologen
untersuchen die Eiweiß-Hülle des Bakteriums. |
Die
Lyme-Borreliose forderte die Grundlagenforschung heraus. In den USA wie in Europa rückten
vor allem Immunologen den Borrelien auf den Pelz, oder richtiger auf die Eiweiß-Hülle:
Das Ziel war, einen Impfstoff zu entwickeln, der dem Abwehrsystem gegen diese
immunologischen Leisetreter auf die Sprünge helfen und ihre dauerhafte
Einnistung im Organismus unterbinden sollte. |
Impfstoff
hat sich in den USA bewährt. |
In
den transatlantischen Wettbewerb um die Entwicklung einer solchen Vakzine trat vor zehn
Jahren auch eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Dr. Markus Simon am Freiburger
Max-Planck-Institut für Immunbiologie ein. Und diese Gruppe hat jetzt, in enger
Zusammenarbeit mit zwei weiteren Teams um Dr. Michael Kramer sowie Dr. Reinhard Wallach an
der Universität Heidelberg, ein entscheidendes Etappenziel erreicht: Ein von
den Freiburger und Heidelberger Forschern entwickelter Impfstoff gegen die Lyme-Borreliose
hat sich in allen klinischen Tests und in einer Generalprobe an rund 11 000
Personen in den USA bewährt und ist dort durch die nationale Gesundheitsbehörde bereits
zugelassen worden. |
In
Europa gibt es drei Sorten von Borrelien. |
Dieser
Erfolg kommt zunächst allerdings nur der nordamerikanischen Bevölkerung zugute. Das
liegt daran, dass die Borreliose-Erreger diesseits des Atlantiks, was den Wirkstoff und
die Zielstruktur der Vakzine angeht, nicht so einheitlich-uniform auftreten wie ihre
amerikanischen Verwandten: In Europa hat man es mit drei Sorten von Borrelien zu tun, die
sich auch hinsichtlich der Zielstruktur der Vakzine voneinander unterscheiden - und auf
diese Varianten muss der Impfstoff für Europa noch zusätzlich eingestellt werden. |
An Mäusen könnt ihr Menschen ruhig rumtesten. Von so einer habe
ich auch meine Borrelien gekriegt. Das fand ich gar nicht nett. |
Es
geht dabei um ein Protein, ein Eiweiß, das auf der Oberfläche der Borrelien sitzt, und
das unter dem Kürzel OspA läuft. Dieses Molekül hatten Simon, Kramer und Wallach Ende
der achtziger Jahre als möglichen Grundstoff für eine Vakzine aufgespürt. Sie hatten
OspA damals in Tierversuchen erprobt und gefunden, dass dieses Protein sowohl immunogen.
als auch protektiv wirkt. Immunogen heißt: OspA wird, wenn man es Tieren injiziert, vom
Immunsystem als Antigen, als körperfremde Struktur, erkannt und löst eine
Immunreaktion aus - es werden Antikörper
gebildet, also spezifisch auf die Struktur von OspA zugeschnittene Abwehr-Moleküle. Und
protektiv bedeutet, dass diese Antikörper auch tatsächlich Schutz bieten: Sogenannte
immundefiziente Mäuse, die normalerweise einer Borrelien-Infektion wehrlos preisgegeben
sind, kann man durch vorherige Gabe solcher Antikörper vor einer folgenden Infektion
beziehungsweise einer Erkrankung an Borreliose bewahren. |
Der
Impfstoff hat sich bewährt. |
Inzwischen
ist der Weg vom Tierversuch zur Anwendung am Menschen geschafft, hat sich OspA als
Impfstoff bewährt und damit die Erwartungen der Wissenschaftler erfüllt. Ein großer
englischer Pharma-Konzern hat die Lizenz auf die patentierte Vakzine erworben und die
Forschungsarbeiten in den vergangenen Jahren auch finanziell unterstützt. |
Kooperation
war ausschlaggebend für den Erfolg. |
Ausschlaggebend
für unseren Erfolg, so Simon, war vor allem die enge Kooperation mit den
Heidelberger Kollegen um Dr. Wallich und Dr. Kramer. Diese Gemeinsamkeit hat uns nicht nur
stark, sie hat uns auch schnell gemacht: So sind wir in der Minimalzeit von zehn Jahren,
die man für die Entwicklung eines Impfstoffs veranschlagen muss, über die Ziellinie
gegangen - und haben dabei noch mehrere Gruppen in den USA ausgestochen, die auf dasselbe
Ziel hinarbeiteten. |
Impfstoff
auch für Europa entwickeln. |
Nachrüstung
für Europa: Trotz dieses Erfolgs ist das Thema Borreliose für Simon und seine
Kollegen noch lange nicht erledigt. So geht es jetzt zunächst darum, die amerikanische
Vakzine für Europa nachzurüsten. Der amerikanische Impfstoff enthält nur eine bestimmte
Bauform des OspA-Proteins als wirksames Antigen, entsprechend der Tatsache, dass in
Nordamerika nur Borrelien eines Typs vorkommen, die sich in diesem Oberflächen-Merkmal
weithin gleichen. |
Verschiedenartigkeit
schafft Probleme. |
In
Europa hingegen treten drei verschiedene Borrelien-Stämme auf, und deren OspA-Strukturen
weichen so stark voneinander ab, dass man einen trivalenten Impfstoff
benötigt: eine Vakzine, die alle drei wesentlichen OspA-Varianten als immunogene
Wirkstoffe enthält. Arbeiten zu dieser Vakzine sind bereits im Labor von Dr. Lise Gern am
Zoologischen Institut der Universität Neuchatel/Schweiz durchgeführt worden. Nach diesen
erfolgreichen Tierversuchen stehen erste klinische Prüfungen am Menschen bevor - und in
den nächsten zwei bis drei Jahren hofft man dann in Europa so weit wie jetzt in den USA
zu sein. |
Vakzine
sollen auch in der Therapie nutzbar sein. |
Darüber
hinaus denken die Wissenschaftler am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie
noch an eine therapeutisch wirkende Vakzine: an einen Impfstoff, der nicht nur vorbeugend
schützt, sondern mit dem sich auch eine bereits bestehende, also eine chronische oder
persistierende Borrelien-Infektion beseitigen lässt. |
Infektion
ohne Erkrankung ist möglich. |
Dazu
Simon: Menschen können mit Borrelien infiziert sein, ohne an einer typischen
Borreliose zu erkranken, das heißt: Das Immunsystem kann zwar die Infektion nicht
abwehren, kann aber die Erkrankung unterdrücken oder kontrollieren. Doch gibt es
Hinweise, dass eine solche persistierende Borrelien-Infektion durch unspezifische Reizung
des Immunsystems zu Fernwirkungen im Organismus führt und entzündliche
Prozesse fördert und verstärkt. |
Borrelien
verändern ihre Oberflächenproteine im Menschen. |
Mit
einer Vakzine gegen OspA lässt sich zwar eine Infektion verhindern, nicht aber bereits
etablierten, persistierenden Borrelien beikommen. Das liegt daran, dass die
Erreger dieses Oberflächen-Protein nur in der Zecke tragen: Sobald sie auf den Menschen
übergehen, entledigen sie sich des OspA und prägen an dessen Stelle andere, ähnliche
Proteine aus - und eine Immunreaktion gegen OspA zielt dann ins Leere. |
Das finde ich aber toll. Dann krabbeln die blöden Borrelien nicht
mehr in mir rum. |
Deshalb,
so Simon weiter, wirkt die Vakzine gegen OspA nur vorbeugend, nur beim akuten
Zeckenbiss - und hier bereits in der Zecke: Sie schluckt mit den ersten Blutstropfen auch
Antikörper gegen OspA, die dann den Großteil der Erreger bereits im Zeckendarm
ausschalten, so dass es gar nicht erst zu einer Übertragung auf den Menschen kommt. |
Es
gibt noch viel zu tun. |
Gegen
Keime, die das OspA bereits abgeworfen und sich dauerhaft im menschlichen
Organismus eingenistet haben, ist eine aktive oder passive Impfung mit OspA
beziehungsweise mit OspA-spezifischen Antikörpern vergebens. Vielmehr muss eine Vakzine,
die vorbeugend und therapeutisch zugleich wirkt, neben OspA noch andere
Borrelien-spezifische Antigene enthalten: Damit ist ein Ziel umrissen, das für die
Grundlagenforscher am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie vielleicht weitere
zehn Jahre Arbeit bedeutet. Top |
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